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Artikel • Geschlechtergemischte Chirurgenteams als Chance
Schneiden Frauen besser ab?
Kanadische Wissenschaftler haben jüngst herausgefunden, dass Frauen, die von männlichen Chirurgen operiert werden, ein um bis zu 15 Prozent höheres Risiko für Komplikationen haben als Frauen, die von weiblichen Chirurgen behandelt wurden. Die Gründe dafür lassen sich bisher nur vermuten. Fest steht aber für Prof. Dr. Natascha Nüssler, dass sich im Fachgebiet der Chirurgie insbesondere bei der Nachwuchsförderung dringend etwas ändern muss.
Artikel: Sonja Buske
In der Viszeralchirurgie beträgt der Anteil an weiblichen Medizinern gerade mal 30 Prozent, in Führungspositionen sind es sogar nur 10 Prozent. Dass sich das nachteilig auf weibliche Patienten auswirkt, belegt die Studie aus Kanada, für die die Daten von 1,3 Millionen Erwachsenen ausgewertet wurden. An der fachlichen Kompetenz liegt es nicht, dass weibliche Patienten mehr von Ärztinnen profitieren, ist sich Nüssler sicher. Die Chefärztin der Klinik für Allgemein-, Viszeralchirurgie und Koloproktologie der Klinik Neuperlach in München sieht die Gründe eher auf einer anderen Ebene: „Männer und Frauen interpretieren Befunde unterschiedlich, und Männer nehmen die Beschwerden von Patientinnen anders wahr als Frauen“, so die Expertin. „Zudem öffnen sich Patientinnen einem männlichen Arzt nicht so, wie sie sich einer Frau öffnen. Zum Teil trauen sie sich gar nicht erst, ihre Beschwerden in Gänze zu beschreiben.“
Um dem entgegenzuwirken, spricht sie sich für geschlechtergemischte Ärzteteams aus. Doch für dieses Konzept gibt es aktuell zu wenige weibliche Chirurginnen. „Das Fachgebiet der Chirurgie scheint für Frauen nicht attraktiv genug zu sein“, mutmaßt sie. „Mit 70 Prozent ist die überwiegende Anzahl an Medizinstudenten weiblich. Für die Chirurgie entscheiden sich aber die wenigsten.“
Weibliche Chirurgen sind in der Öffentlichkeit nicht präsent
Ein Grund dafür ist für Nüssler, wie sich die Chirurgie in der Öffentlichkeit präsentiert. „Teilnehmer und Vortragende auf Kongressen sind fast immer Männer. Daraus entsteht der Eindruck, dass Frauen in dem Fachgebiet keinen Platz und keine Chance auf Karriere haben. Das muss sich grundlegend ändern, und dafür reicht nicht nur ein Teilzeitangebot. Es gibt genug kompetente Chirurginnen, sie müssen nur sichtbar gemacht werden.“
Chirurgie bedeutet heutzutage nicht mehr nur, den ganzen Tag im OP zu stehen und körperlich anstrengende Arbeit zu verrichten. Davor schrecken nämlich viele Frauen zurück
Natascha Nüssler
Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie vergibt Sitzungsleitungen daher in diesem Jahr zum ersten Mal immer sowohl an einen Mann als auch an eine Frau. Ein erster Schritt. Um das gesellschaftliche Rollenbild zu ändern, muss aber noch mehr geschehen. „Es herrschen immer noch große Vorurteile gegenüber weiblichen Chirurginnen“, beklagt Nüssler. „Es gibt Studien die belegen, dass niedergelassene Ärzte – selbst weibliche – ihre Patienten lieber an männliche Chirurgen überweisen. Frauen wird einfach nicht zugetraut, dass sie die Aufgaben genauso gut übernehmen können wie Männer, und deshalb zweifeln die Studentinnen dann selbst daran. Zudem fördern Führungskräfte am liebsten den Nachwuchs, in dem sie sich selbst wiedererkennen. Deshalb unterstützen männliche Ober- oder Chefärzte auch lieber männliche Studenten und Assistenzärzte.“ Ein Teufelskreis. Um diesen zu durchbrechen, braucht es einen anderen Blickwinkel auf das gesamte Fach der Chirurgie. „Chirurgie bedeutet heutzutage nicht mehr nur, den ganzen Tag im OP zu stehen und körperlich anstrengende Arbeit zu verrichten. Davor schrecken nämlich viele Frauen zurück. Chirurgie ist viel mehr als das. Erst seit Kurzem wird zum Beispiel der Vorbereitung auf einen Eingriff deutlich mehr Aufmerksamkeit gewidmet und die perioperative Medizin wird immer wichtiger.“
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Ganzheitlicher Blick auf den Patienten
Die perioperative Medizin befasst sich mit allen Aspekten einer Behandlung sowohl vor als auch nach einem chirurgischen Eingriff. Ernährungstherapie, Behandlung einer Blutarmut, Physiotherapie oder auch eine psychologische Begleitung können dazu beitragen, den Allgemeinzustand eines Patienten vor einer Operation so zu verbessern, dass er die Belastungen der Operation besser verkraftet und hinterher schneller wieder fit wird. Auch die anschließende Schmerztherapie oder die Verordnung von Rehabilitationsmaßnahmen zählen zu dem Konzept dazu. „Die Ausweitung des chirurgischen Spektrums und der Aspekt der Ganzheitlichkeit könnte das Fachgebiet für Frauen interessanter machen“, glaubt Nüssler. Doch es gibt einen Haken: Diese zusätzlichen Leistungen sind im DRG-System nicht vorgesehen und werden somit nicht vergütet. Das könnte die Begeisterung wieder bremsen.
10.05.2022