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Neue Immunmodulatoren gegen Rheuma
Gentechnisch hergestellte Eiweißstoffe haben zur Jahrtausendwende die Therapie von Rheumaerkrankungen revolutioniert.
Artikel: Brigitte Dinkloh
Sogenannte Biologika konnten bei vielen Patienten das Immunsystem wieder stabilisieren, indem sie gezielt bestimmte entzündungsfördernde Substanzen des Immunsystems abfangen und ausschalten oder ihre Bindungsstellen blockieren. Jetzt ist ein weiterer Meilenstein in der Rheumatherapie erreicht: Seit dem letzten Jahr sind in Europa Substanzen zugelassen, die die Signalübertragung in der Zelle selbst verhindern und dass ohne Spritzen oder Infusionen. Es handelt sich nicht um Eiweiße, sondern um kleine Moleküle, die als Tabletten verabreicht werden.
Biologika mit unterschiedlichem Wirkungsgrad
„1998 wurden die ersten Biologika zugelassen, die gezielt in die Krankheitsaktivität eingreifen, indem sie die Entzündung an ganz bestimmten Schlüsselpunkten neutralisieren. Inzwischen gibt es zehn verschiedene Biologika, die für die Behandlung der rheumatoiden Arthritis zugelassen sind und verschiedene Angriffspunkte im Bereich des Immunsystems haben“, schildert Prof. Dr. Hendrik Schulze-Koops, Leiter der Rheumaeinheit am Klinikum der Universität München und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh). Alle Biologika zeigen bei der rheumatoiden Arthritis eine gute Wirksamkeit bis auf den Interleukin-1 Blockierer, der bei dieser Erkrankung des rheumatischen Formenkreises unwirksam, bei anderen hingegen aber hoch effizient ist.
Täuschend ähnlich in der Zellkommunikation
Die seit Frühjahr 2017 in Europa zugelassenen Wirkstoffe Tofacitinib (Zulassung März 2017) und Baricitinib (Zulassung Februar 2017) aus der Gruppe der Januskinase-Inhibitoren greifen nicht mehr eine bestimmte Schlüsselproteinfunktion an, die ein Signal von Zelle zu Zelle überträgt, sondern verhindern die Signalübertragung innerhalb einer Zelle. Ähnlich wie die Schallwellen, die im Ohr ankommen und bis zur Aktivierung einer Zelle im Gehirn eine Signalkaskade auslösen, so erfolgt die Signalübertragung durch Zytokine von der Außenwand der Zelle bis zu ihrem Kern. Prof. Schulze-Koops: „Zytokin-Rezeptoren haben keine eigene Enzymaktivität und benötigen daher Kinasen, um intrazelluläre Signalkaskaden zu aktivieren. Diese Kinasen gehören zur Familie der Januskinasen (JAK). Beim Andocken eines Signalmoleküls an den Rezeptor werden die JAK unter Spaltung von ATP phosphoryliert. Das aktiviert sie und sie können das nächste Molekül der Signalkaskade phosphorylieren und damit aktivieren. Januskinase-Inhibitoren ähneln dem ATP. Wenn sie aber die Bindungsstelle des als Enzym wirkenden Signalmoleküls besetzen, dann kann die Januskinase kein ATP binden und es findet keine Übertragung von Phosphatgruppen auf das nächste Molekül der Signalkaskade statt. Damit wird die Signalübertragung in der Zelle verhindert.“
Für die Patienten stehen damit erstmalig Substanzen zur Verfügung, die langfristig gezielt in die Entzündung eingreifen, ohne dass sie sich diese spritzen müssen. Denn anders als die Biologika, die vom Verdauungstrakt als Proteine erkannt und abgebaut werden, sind die chemisch hergestellten Wirkstoffe stabil und werden erst im Organismus durch die Leber verstoffwechselt. Im Gegensatz zu den gespritzten Biologika haben die Januskinase-Inhibitoren eine wesentlich kürzere Halbwertzeit von 3 bis 6 Stunden. Bei einer schweren Infektion oder vor einer Operation können sie abgesetzt und die Immunhemmung somit damit rasch aufgehoben werden. Beim Abbau in der Leber müssen Rheumatologen jetzt allerdings viel stärker auf potentielle Interaktionen mit anderen Medikamenten achten.
Sicherheit und Nebenwirkungen
Die Substanzen wirken extrem schnell, einigen Patienten geht es schon nach 24 Stunden besser
Hendrik Schulze-Koops
Bislang sind die beiden Wirkstoffe für die rheumatoide Arthritis, die bei weitem häufigste Rheumaerkrankung, zugelassen. Schulze-Koops ist davon überzeugt, dass Indikationen und Wirkstoffe bald erweitert werden können. Gegenwärtig laufe schon die Testung von Tofacitinib und Baricitinib für die Psoriasis-Arthritis und auch bei den Kollagenosen und Vaskulitiden werden sie sicher zum Einsatz kommen, auch wenn Studienergebnisse noch etwas dauern werden. Weitere Wirkstoffe, wie Filgotinib, Peficitinib oder Upadicitinib, sind derzeit in der klinischen Prüfung. Wenig dokumentiert sind bislang die Langzeitwirkung und die Langzeitsicherheit der Wirkstoffe. Während Tofacitinib immerhin seit 2012 in den USA zugelassen ist, hat die FDA bei Baricitinib weitere Fragen zur Sicherheit gestellt. „Das heißt nicht, dass die Substanz unsicher ist, allerdings müssen bestimmte Interpretationen der Daten zusätzlich geliefert werden. Wir stehen hier am Anfang der Sicherheitssituation“, schildert der Rheumatologe.
Auch die neuen Medikamente kommen nicht ganz ohne unerwünschte Wirkungen aus. Eine wichtige unerwünschte Reaktion ist die Reaktivierung von Herpesviren, die einer klinischen Behandlung bedürfen. Wird es erst mal einen Herpesvirusimpfstoff geben, ist das Problem hinfällig. Weitere Nebenwirkungen können abnehmende weiße und rote Blutkörperchen oder steigende Leberwerte sein. Die Sicherheitsdaten dieser Substanzen sind nicht bedenklich, obgleich die Patienten zusätzlich überwacht werden müssen. „Die Substanzen wirken extrem schnell, einigen Patienten geht es schon nach 24 Stunden besser. Da sie eine kurze Halbwertszeit haben, müssen diese Substanzen allerdings auch täglich eingenommen werden. Dadurch wird der Patient täglich an seine Krankheit erinnert, wohingegen einige Biologika nur alle 6 Monate gegeben werden müssen. Im Allgemeinen akzeptieren die Patienten das Medikament, da sie nach derzeitiger Erkenntnis unbegrenzt wie z.B. ein Blutdruckmittel eingenommen werden können, ohne dass die Wirkung nachlässt. Die Patienten kommen damit besser ins Leben zurück und das ist etwas, was wir am Anfang des Jahrtausends dank der Biologika erstmals erlebt haben“, freut sich Schulze-Koops.
Profil:
Seit November 2006 ist Prof. Dr. Hendrik Schulze-Koops Leiter der Sektion Rheumatologie und Klinische Immunologie der Medizinischen Klinik und Poliklinik IV am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seine ärztliche Ausbildung begann an der Universität Hamburg. 1990 wurde er Post-Doktorand der klinischen Arbeitsgruppe für Rheumatologie/Immunologie der Max-Planck-Gesellschaft in Erlangen, von 1993-1997 forschte er am Harold C. Simmons Arthritis Research Center in Dallas/USA. Nach der Rückkehr nach Erlangen habilitierte er im Jahr 2000 über „T-Zellen in der Pathogenese von Autoimmunerkrankungen des Menschen.
14.03.2018