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Koronare Herzerkrankung – invasiv war gestern
Wenn es um neue Verfahren zur Charakterisierung koronarer Herzerkrankungen geht, stehen Artifical-Intelligence-Verfahren im Fokus.
Bericht: Daniela Zimmermann
Uwe Schoepf, Professor für Radiologie, Kardiologie und Kinderheilkunde und Direktor der Cardivascular-Imaging-Abteilung der Medizinischen Universität South Carolina, erläutert die Vorteile des Zusammenspiels zwischen morphologischer und funktioneller CT-Bildgebung. Früher wurden zur Bestimmung der Durchblutung des Herzmuskels Untersuchungsmodalitäten wie die Dual-Energy-Computertomographie, die myokardiale Perfusionsbildgebung oder das pharmakologische Stress-CT eingesetzt. Bei diesen Verfahren war für die Diagnosestellung das menschliche Auge oder eine quantitative Messung ausschlaggebend. Neue Methoden setzen jetzt auf Computer mit künstlicher Intelligenz, um die Flussverhältnisse vor und hinter einer Stenose in den Koronararterien zu berechnen.
Das Prinzip
Wie gehabt, wird zunächst eine diagnostische koronare CT-Angiographie durchgeführt. Auf diesen morphologisch erhobenen Datensatz wird ein Computer angesetzt. Er wurde vorher anhand abertausender synthetischer CT-Untersuchungen trainiert, um spezifisch analysieren zu können, welchen Druckabfall eine bestimmte Konfiguration einer Engstelle innerhalb einer Koronararterie bewirken würde und welche Auswirkung dies auf die Flussverhältnisse innerhalb der Koronararterie hätte. Das Ergebnis der Berechnungen sind numerische Werte, die die CT-fraktionelle Flussreserve darstellen, ein seit Langem etabliertes Maß in der Kardiologie. Ist der Wert innerhalb der Koronararterie pathologisch abgefallen, wird der Patient einer Revaskularisierung zugeführt, die Stenose wird mit einem Stent oder einem Bypass behoben.
Das Besondere
Bisher musste zur Bestimmung der Flussreserve eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt werden. Ein Druckdraht wurde über die Stenose geschoben, um den Druck vor und nach der Stenose zu messen. Schoepf dazu: „Dieses invasive Verfahren ist nicht nur aufwändig und teuer. Wegen potenzieller Komplikationen ist es auch riskant.“ Im Rahmen der pharmakologischen Therapie musste zudem das Stressmittel direkt in die Koronararterie gespritzt werden; ein Vorgehen, das für den Patienten relativ unangenehm ist. Die neue Methode dagegen ist nicht invasiv und kommt daher auch völlig ohne pharmakologische Stressmedikamente wie Adenosin oder Dobutamin aus. „Ein elegantes Verfahren mit sehr guten Ergebnissen“, so Schoepf. In mehreren Studien wurde festgestellt, dass diese Methode gleichwertig ist zur bisherigen invasiven Bildgebung mittels Herzkatheter. Die Werte, die auf nicht-invasive Weise ermittelt wurden, stimmen mit denen des invasiven Herzkatheters überein, so dass sichergestellt ist, dass keine pathologische Stenose übersehen wird. Die neue Herangehensweise hilft zudem, unnötige diagnostische Katheteruntersuchungen zu vermeiden – nach aktuellen Studien etwa 60 Prozent. „Das ist eine deutliche Verminderung der Invasivität und damit auch des Komplikationsrisikos sowie der Kosten. Ganz zu schweigen von der sehr viel angenehmeren Untersuchung für den Patienten“, ist Schoepf überzeugt.
Weniger Herzkatheter, mehr personelle Kapazitäten
Es ist absehbar, dass die Anzahl der diagnostischen Herzkatheteruntersuchungen daher deutlich sinken wird. „Eine Entwicklung, die von den kardiologischen Fachgesellschaften im In- und Ausland begrüßt wird“, so Schoepf. Und auch die tätigen Kardiologen selbst hätten kein vornehmliches Interesse an diagnostischen Herzkathetern. Ihr Ziel sei vielmehr die Revaskularisierung, also die Intervention zur Wiederherstellung der Durchblutung des Gewebes. Zudem ergab sich ein weiterer Effekt: Durch den Einsatz des nicht-invasiven Verfahrens konnte die Effektivität eines Katheterlabors gesteigert werden. Denn die auf diese Weise frei werdenden personellen Ressourcen können für die Patienten genutzt werden, die tatsächlich eine Intervention benötigen.
Noch nicht angekommen
Mittlerweile gibt es kommerzielle Anbieter, die die fraktionelle Flussreserve in den Koronararterien mithilfe von Großcomputern berechnen können. Dennoch werden derlei Dienste in anderen europäischen Ländern sehr viel stärker im klinischen Alltag genutzt als in Deutschland, zum Beispiel in Skandinavien. In Großbritannien wurden vor Kurzem die sogenannten NICE-Guidelines erlassen. Sie setzen das CT an den Anfang der diagnostischen Kette bei koronaren Herzerkrankungen. Die zögerliche Anwendung in Deutschland hat prozedurale und vor allem versicherungstechnische Gründe. So gibt es in Deutschland derzeit offenbar keine Möglichkeit, die Kosten für die Berechnung der fraktionellen Flussrate von der Krankenkasse ersetzt zu bekommen. Schoepf abschließend: „Das ist wohl der Haupthinderungsgrund, warum das Verfahren trotz seiner offensichtlichen Vorteile in Deutschland noch nicht wirklich Fuß gefasst hat.“
Profil:
Aufgewachsen in München, studierte Prof. Dr. Uwe J. Schoepf hier Medizin und absolvierte seine Facharztausbildung am Institut für Klinische Radiologie der Ludwig-Maximilians-Universität. 2001 verließ er Bayern, im Gepäck sein leidenschaftliches Interesse an kardio-thorakaler Bildgebung und im wahrsten Sinne des Wortes bereits ausgezeichnete Kenntnisse. Schoepf siedelte an die Ostküste der USA um: Bis 2004 in Massachusetts als Radiologe am Brigham & Women’s Hospital tätig, ist er inzwischen in Charleston Professor für Radiologie, Kardiologie und Kinderheilkunde, Vice Chairman für Forschung, und Direktor der Cardiovascular-Imaging-Abteilung der Medizinischen Universität South Carolina.
Veranstaltung:
Donnerstag, 18.01.2018,
11:00-11:20 Uhr
Strukturelle und funktionelle CT-Bildgebung der koronaren Herzerkrankung
Uwe J. Schoepf, USA-Charleston
Session: Kardiovaskuläre CT
15.01.2018