Weniger Herzkatheter durch Kardio-CT

Das Kardio-CT hat sich vom bildgebenden Diagnose-Instrument für Spezialfragen zum verlässlichen Hilfsmittel in der täglichen Klinikroutine entwickelt. In den vergangenen Jahren ist es darüber hinaus gelungen, die Strahlenbelastungen für Patient und Untersucher erheblich zu reduzieren. Ein Interview mit Prof. Dr. Michael Lell.

Photo: Weniger Herzkatheter durch Kardio-CT

Wozu braucht es die Kardio-CT in der Diagnostik überhaupt? Können ähnliche oder vielleicht bessere Erkenntnisse nicht mit den modernen Ultraschallmethoden erzielt werden – und das auch noch mit weniger Aufwand, weniger Belastungen für den Patienten und zu geringeren Kosten?

Prof. Michael Lell: Die Kardio-CT wird bei einer Vielzahl klinischer Indikationen eingesetzt. In einem Konsensuspapier wurden in diesem Jahr eine Übersicht und eine Bewertung der Indikationen zusammengestellt. Sicherlich ist der transthorakale Ultraschall die Standarduntersuchung in der Herzdiagnostik und auch eine kostengünstige nichtinvasive Methode. Allerdings lassen sich die Koronararterien mit der Ultraschalluntersuchung nicht ausreichend beurteilen. Die Koronardiagnostik ist also nach wie vor die Domäne der Herzkatheteruntersuchung. Aber die Kardio-CT ist zum Ausschluss einer koronaren Herzerkrankung eine ernst zu nehmende Alternative, die nichtinvasiv mit recht geringer Belastung für den Patienten und im Vergleich zum Herzkatheter deutlich kostengünstiger die Diagnostik der Herzkranzgefäße erlaubt.

Bei welchen Fragestellungen wird die Kardio-CT heute eingesetzt?

Lell: Bei der Kardio-CT muss man zwischen zwei Untersuchungen unterscheiden: dem Kalk-Scoring, das der Abschätzung des koronaren Risikos dient, und der CT-Angiographie, bei der über eine periphere Vene Kontrastmittel appliziert werden, um das Lumen der Koronargefäße darzustellen. Die bevorzugte Indikation zur CT-Angiographie ist der Ausschluss einer koronaren Herzerkrankung. In vielen Studien mit großen Patientenkollektiven konnte gezeigt werden, dass der negative prädiktive Wert sehr nah bei 100 Prozent liegt. Das bedeutet, dass keine koronare Herzkrankheit (KHK) vorliegt, wenn im CT-Bild keine Veränderungen an den Herzkranzgefäßen nachzuweisen sind.
Andere Einsatzgebiete der Kardio-CT sind die Planung komplexer Interventionen wie der kathetergestützte Aortenklappenersatz (TAVI) oder die Vorhofablation bei Herzrhythmusstörungen. Die Darstellung der Koronarvenen zur Planung der Implantation eines biventrikulären Schrittmachersystems stellt eine weitere Indikation für die Kardio-CT dar. Einen festen Stellenwert hat die CT-Angiographie bei Patienten mit Aortendissektion – vor allem wenn beurteilt werden soll, ob die Koronararterienabgänge mit betroffen sind.

Die Komplexität interventioneller Eingriffe nimmt zu. Damit steigt die Zeit, in der Patienten und medizinisches Personal ionisierender Strahlung ausgesetzt sind, deutlich an. Welche Entwicklungen gibt es, dieser verstärkten Exposition entgegenzuwirken?

Lell: Unsere Arbeitsgruppe beschäftigt sich seit vielen Jahren mit den unterschiedlichsten Methoden zur Dosisreduktion in der Computertomographie. Beispielhaft sind die Entwicklung und die klinische Evaluierung der anatomiebasierten Röhrenstrommodulation. Das ist ein Verfahren, bei dem in Abhängigkeit von der Patientenanatomie die Quantenabgabe reguliert wird. In Regionen mit geringer Schwächung wird wenig Dosis appliziert und in Regionen mit hoher Schwächung, zum Beispiel auf Höhe des Schultergürtels, wird die Dosis angehoben. So können abhängig von der Körperregion bis zu 40 Prozent der Strahlendosis eingespart werden. Zugleich wird aber auch die Bildqualität verbessert, weil durch das Absenken und Anheben der Dosis in unterschiedlichen Projektionen das Bildrauschen homogener wird.

Wie wird die Dosisanpassung reguliert?

Lell: Die Dosisanpassung erfolgt schwächungsbasiert sowohl aus Informationen des Topogramms als auch permanent während der Untersuchung anhand der gemessenen Schwächungswerte am Detektor. Die gewonnenen Daten werden genutzt, um für die individuelle Patientenanatomie die Dosis für den nächsten Umlauf festzulegen. Diese Korrekturen erfolgen sehr schnell: Bei der Kardio-CT dauert ein Umlauf weniger als 0,3 Sekunden.
Durch die Entwicklung unterschiedlichster Techniken konnte die Dosis in der Koronar-CT-Angiographie in den vergangenen Jahren um den Faktor 10 bis 15 gesenkt werden. Allein mit dem sogenannten Step-and-Shoot-Modus kommen wir zum Beispiel auf Werte von 3 bis 4 mSv. Das ist weniger als ein Drittel der früher üblichen Werte. Mit dem High-Pitch-Modus – das ist ein sehr schneller Spiralmodus, der aktuell nur auf Dual-Source-Geräten möglich ist, die zwei Detektorröhrensysteme in einem Gehäuse vereinen – lässt sich die Exposition auf 1 mSv reduzieren.
Ein Verfahren, das zunehmend häufiger angewendet wird, ist die iterative Bildrekonstruktion, ein sehr rechneraufwendiges Verfahren. Mittlerweile gibt es aber Varianten, die schnell genug sind, um in der klinischen Routine eingesetzt zu werden. Diese Verfahren führen zu einer Reduktion des Bildrauschens, was zu einer weiteren Absenkung der Dosis genutzt werden kann. Der Beitrag dieser Methode zur Dosisreduktion in der Koronar-CT wird derzeit evaluiert.

Ein Ziel der bildgebenden Verfahren in der Kardiologie ist, die Belastungen der Patienten durch unnötige Katheteruntersuchungen möglichst gering zu halten. Was kann die Kardio-CT in diesem Kontext leisten? Ist die nichtinvasive Fractional-Flow-Reserve-(FFR-)Messung bereits eine praxistaugliche Alternative?

Lell: Deutschland ist nach wie vor Weltmeister bei der Durchführung von Herzkatheteruntersuchungen. Laut Bruckenberger-Bericht haben wir 872 Linksherzkathetermessplätze und mehr als 880.000 Untersuchungen pro Jahr, die bei weniger als der Hälfte eine Intervention nach sich ziehen. Die Aufgabe der Kardio-CT ist hier, die Anzahl der rein diagnostischen Herzkatheteruntersuchungen zu senken. Das erfordert eine strukturierte Qualifizierung der Anwender und eine standardisierte Durchführung und Auswertung der CT-Angiographie.
Zur FFR-Messung: Die nichtinvasive FFR-Messung mittels CT ist ein hochinteressantes Verfahren – allerdings noch in einem frühen Stadium. Es gibt zwar erste Multicenterstudien, die zeigen konnten, dass das Verfahren der CT-Angiographie in der Bestimmung ischämierelevanter Stenosen überlegen ist, der Nachweis der Praxistauglichkeit muss aber erst noch erbracht werden.

Im Profil
Prof. Dr. Michael Lell ist Leitender Oberarzt am Radiologischen Institut der Universitätsklinik Erlangen. Sein Medizinstudium absolvierte er an der Universität Regensburg und an der Technischen Universität München, ehe er 1997 nach Erlangen wechselte. Dort erhielt er 2003 seine Anerkennung als Facharzt für Diagnostische Radiologie. Im selben Jahr wurde Lell Funktionsoberarzt für den Bereich Chirurgie und Gefäßchirurgie im Radiologischen Institut der Universitätsklinik Erlangen und 2005 Oberarzt für die Abteilung in den Medizinischen Kliniken. Im Jahr 2009 wurde er zum ständigen Vertreter des Institutsdirektors ernannt, 2011 folgte die Ernennung zum außerplanmäßigen Professor.
Prof. Lell ist Mitglied diverser Wissenschaftsgesellschaften wie der Deutschen Röntgengesellschaft, der European Society of Radiology und der Cardiovascular and Interventional Radiological Society of Europe. Für zahlreiche Fachzeitschriften fungiert er als Gutachter, so für „Circulation“, dem Journal des American College of Cardiology oder auch für „Investigative Radiology“.
 

24.10.2012

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