Artikel • Bauchfell
Woher kommst du, wohin gehst du?
Prof. Dr. Andreas Schreyer, Leitender Oberarzt und Stellvertretender Direktor des Instituts für Röntgendiagnostik am Universitätsklinikum Regensburg, hat während seiner beruflichen Laufbahn schon unzählige Vorträge gehalten. Doch sein Beitrag auf dem diesjährigen Internationalen Symposium Mehrschicht CT war auch für den Experten auf dem Gebiet der Abdominalbildgebung etwas Besonderes, denn er sprach zum ersten Mal über das Thema „Peritoneum und abdominelle Ligamente“.
Man sollte die Dinge nicht einfach nur hinnehmen, sondern auch hinterfragen.
Prof. Dr. Andreas Schreyer
Keine leichte Aufgabe, aber eine spannende! Denn wer erst einmal verstanden hat, wie und warum das Bauchfell so aufgebaut ist wie es ist, der versteht auch, wie und warum sich pathologische Prozesse im Bauchraum so entwickeln wie sie es tun.
„Jeder Radiologe weiß, dass bestimmte Krankheitsbilder ganz typische Verlaufswege nehmen. Was nicht jeder Radiologe weiß ist, wieso das eigentlich so ist“, bringt es Prof. Schreyer auf den Punkt. „Man sollte die Dinge aber nicht einfach nur hinnehmen, sondern auch hinterfragen.“ Es habe ihm großen Spaß gemacht, so der Regensburger, sich für seinen Vortrag noch einmal intensiv mit der Thematik auseinanderzusetzen. Im Medizinstudium sei das aber noch anders gewesen, gibt er offen zu: „Ich glaube, es hat keiner von uns angehenden Ärzten damals wirklich verstanden, wie sich die Bauchorgane aus den biologischen Anlagen entwickeln und dann durch Drehungen und Bewegungen während der embryonalen Entwicklung in die peritonealen Strukturen eingebunden werden.“
Zweifelsohne stellt das Bauchfell nicht nur das größte, sondern auch das komplexeste System an Membranen im Körper dar. Es erstreckt sich vom Zwerchfell bis ins Becken und weist eine Gesamtfläche von 2 m² auf. Seine endgültige Form und Lage erhält es durch Dreh- und Kippbewegungen in den Eingeweiden des Ungeborenen. Schreyer erinnert sich an ein Bild, das sein damaliger Anatomieprofessor verwendet hat, um die Sache anschaulicher zu machen: „Er hat das Peritoneum mit einem Bettlaken verglichen, das zusammengelegt und dann noch dreidimensional in sich gedreht wird. Dadurch entstehen zum einen Falten, sprich Ligamente, welche die Organe untereinander verbinden und zum anderen zahlreiche Zwischenräume, sogenannte Kompartimente, ober- sowie unterhalb dieser abdominellen Ligamente.“
Die beiden wichtigsten Geweberäume sind das supramesocolische Kompartiment, das Leber, Magen und Milz beherbergt, und das inframesocolische Kompartiment, in dem sich Dünndarm, Kolon, Blase und die weiblichen Geschlechtsorgane befinden.
So lässt sich auch der ursprüngliche Sitz des Tumors zurückverfolgen, sollte dieser noch nicht bekannt sein.
Prof. Dr. Andreas Schreyer
Letztendlich können die Kenntnisse über die Entstehungsprozesse und topographische Anatomie der peritonealen Verhältnisse dabei helfen, Ausbreitungsmuster von Entzündungen, Abszedierungen, vor allem jedoch von bösartigen Tumoren, besser nachzuvollziehen und sogar vorauszusehen. Denn bestimmte Krebsarten tauchen typischerweise in bestimmten Kompartimenten auf. Dieses Wissen kann man sich bei der Differentialdiagnostik zu Nutzen machen, erklärt der Radiologe, und gibt ein Beispiel: „Wenn nur die retroperitonealen Lymphknoten befallen sind, dann handelt es sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um einen gynäkologischen oder urologischen Tumor, der typischerweise über das Kompartiment direkt vor der Wirbelsäule nach oben wandert. Auf diese Weise lässt sich auch der ursprüngliche Sitz des Tumors zurückverfolgen, sollte dieser noch nicht bekannt sein.“ Dabei ist zu berücksichtigen, dass pathologische Zellen immer den Weg des geringsten Widerstandes gehen, also dort entlang, wo Geweberäume vorhanden sind. Man könnte auch sagen, dass sie die Entwicklungsprozesse des Peritoneums in umgekehrter Reihenfolge durchlaufen. Bevor es so weit kommt, sind die pathologischen Zellen jedoch lange Zeit auf ein Kompartiment begrenzt, was die Chancen auf eine kurative Behandlung erhöht.
Die Computertomografie ist die stabilste und hochauflösendste Methode, um die Zusammenhänge zwischen den peritonealen Strukturen darzustellen. Das Peritoneum selbst ist allerdings so hauchdünn, dass es sich nicht direkt visualisieren lässt, sondern nur in Abgrenzung zu anderen Organen oder Flüssigkeitsansammlungen wie sie mit Aszites oder Peritonealkarzinosen üblicherweise einhergehen. Genauso indirekt wie es bei der Diagnose hilft, so indirekt lässt es sich auch erkennen.
Profil:
Prof. Dr. Andreas Schreyer ist seit 15 Jahren in der Radiologie am Institut für Röntgendiagnostik, Universitätsklinikum Regensburg, tätig, wo er seit 2010 als Stellvertretender Direktor agiert. Er habilitierte zum Thema „Moderne MRT-Bildgebung des Gastrointestinaltraktes“ und verfügt über einen zusätzlichen MHBA-Abschluss (Master of Health Business Administration). Zudem ist er Vorsitzender der AG Gastrointestinal-/Abdominaldiagnostik in der Deutschen Röntgengesellschaft (2014-2016) und Mitglied der Zertifizierungskommission der deutschen Darmkrebs- und Pankreaszentren. Schreyer wurde u.a. mit dem Excellence Preis 2008 der Bayerischen Röntgengesellschaft und dem Vortragspreis der RWRG (Radiologie Kongress Ruhr) 2014 ausgezeichnet.
22.01.2016