Interview • Individuelle Therapiekonzepte

Weltkrebstag: Blick auf moderne Krebsbehandlung

Das Motto des Weltkrebstags 2025 lautet „Gemeinsam einzigartig“. Es betont, dass sowohl jeder Patient als auch jede Krebserkrankung individuell ist. Warum ist das so wichtig?

Portraitfoto von Prof. Dr. Rainer Claus
Prof. Dr. Rainer Claus ist Oberarzt an der II. Medizinischen Klinik am UKA.

Bildquelle: Universität Augsburg

Ein Interview mit Prof. Dr. Rainer Claus, Oberarzt der II. Medizinischen Klinik am Universitätsklinikum Augsburg, zur Augsburger Krebsforschung. 

Prof. Claus: „Jeder Mensch ist einzigartig – das gilt auch für seine Krebserkrankung. Früher wurde beispielsweise Brustkrebs als eine einzige Krankheit betrachtet. Heute wissen wir jedoch, dass es viele unterschiedliche Arten von Brustkrebs gibt, die sich stark voneinander unterscheiden können. Manche Tumore haben sogar große Ähnlichkeiten mit Krebsarten, die von anderen Organen ausgehen, wie z. B. in der Lunge oder Leber. Das bedeutet, dass nicht jede Brustkrebserkrankung mit der gleichen Therapie behandelt werden sollte. Dank moderner Forschung und Diagnostik können wir genau untersuchen, welche besonderen Merkmale ein Tumor hat. So können Ärzte eine gezielte Therapie wählen, die genau zu dieser speziellen Krebsart passt. Dadurch lassen sich unwirksame Behandlungen vermeiden, und die Erfolgschancen für den Patienten steigen.“

In Augsburg wird intensiv an der sogenannten molekularen Diagnostik geforscht. Was genau bedeutet das?

„Molekulare Diagnostik bedeutet, dass Tumorgewebe auf kleinster Ebene – also auf der Ebene der Gene – untersucht wird. Gene sind wie eine Art „Bauanleitung“ für unsere Zellen. Krebs entsteht oft dadurch, dass sich Fehler (Mutationen) in bestimmten Genen einschleichen. Durch die molekulare Diagnostik können Wissenschaftler diese Veränderungen genau bestimmen. In einer einzigen Untersuchung können wir gleichzeitig mehrere hundert Gene analysieren, um herauszufinden, welche Mutationen eine Rolle bei der Entstehung oder dem Wachstum des Tumors spielen. 

Diese Erkenntnisse helfen Ärzten, eine individuell angepasste Therapie auszuwählen. Ein Expertenteam, bestehend aus Fachärzten verschiedener Disziplinen, wertet die Ergebnisse aus und entscheidet gemeinsam, welche Behandlung die beste Erfolgsaussicht für den jeweiligen Patienten hat. Zusätzlich zur klassischen Gewebeuntersuchung verfügt Augsburg über ein großes Flüssigbiopsie-Programm (Liquid Biopsy). Diese Methode ermöglicht es, genetische Informationen des Tumors aus einer einfachen Blutprobe zu gewinnen. Dadurch können Ärzte den Tumor laufend überwachen und Erkenntnisse darüber gewinnen, wie sich der Tumor verändert, ohne dass mehrfache Gewebeentnahmen nötig sind. Dies ist eine vielversprechende Methode, um die Krebsbehandlung noch individueller und präziser zu gestalten.“

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Krebsforschung ist Teamarbeit. Wie funktioniert diese interdisziplinäre Zusammenarbeit in Augsburg?

„Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist eine Grundvoraussetzung sowohl in der Krebsversorgung als auch in der Forschung. Die wichtigsten Erkenntnisse in der Onkologie stammen aus vielen großen Forschungsprojekten, an denen Expertinnen und Experten aus verschiedenen Fachbereichen gemeinsam arbeiten. Nur durch den Austausch unterschiedlicher Expertisen lassen sich innovative Behandlungsmethoden entwickeln. Diese Zusammenarbeit wird in Augsburg ganz besonders dadurch gefördert, dass viele Krebsforscher aus unterschiedlichen Fachrichtungen in einem großen Labor (Interdisziplinäres Labor für Experimentelle Krebsforschung, InLEC) direkt zusammenarbeiten und somit in ständigem Austausch stehen. 

Dank moderner Diagnostik, interdisziplinärer Zusammenarbeit und überregionaler Vernetzung können Krebspatienten heute individueller und gezielter behandelt werden als je zuvor

Rainer Claus

Auch in der Patientenversorgung ist diese Interdisziplinarität entscheidend. Eine moderne Krebstherapie erfordert den Austausch verschiedener Fachrichtungen. Zum Beispiel wird Brustkrebs heute nicht von einem einzelnen Arzt behandelt, sondern von einem Team aus Gynäkologen, Onkologen, Strahlentherapeuten, Radiologen und weiteren Spezialisten. Diese Experten analysieren gemeinsam die individuelle Erkrankungssituation und entwickeln zusammen die bestmögliche Behandlungsstrategie. 

Ein besonderes Beispiel für interdisziplinäre Zusammenarbeit, insbesondere in der molekularen Medizin, ist das Molekulare Tumorboard (MTB). Hier kommen Spezialisten aus der Onkologie, Pathologie, Molekularpathologie, Humangenetik, Bioinformatik und anderen Bereichen zusammen, um molekulare Veränderungen des Tumors zu bewerten. Dadurch können neue, gezielte Therapieansätze identifiziert werden – besonders für Patienten, bei denen die Standardtherapien nicht mehr wirken oder die eine seltene Krebsart haben.“

Können Krebspatienten selbst zur Forschung beitragen? Hat das einen direkten Nutzen für sie?

„Ja, Patienten können aktiv an der Forschung teilnehmen – insbesondere durch die Teilnahme an klinischen Studien. Dabei geben sie ihr Einverständnis, neue Medikamente oder Therapieansätze zu testen, die noch nicht regulär zugelassen sind. Klinische Studien sind ein Schlüsselelement des medizinischen Fortschritts. Viele der heutigen Standardtherapien sind erst durch frühere Studien ermöglicht worden. Erkrankte, die sich für eine Studie entscheiden, erhalten nicht nur Zugang zu innovativen Behandlungsmöglichkeiten, sondern leisten auch einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Krebsmedizin. 

Eine weitere Möglichkeit, sich aktiv einzubringen, bietet der Patienten- und Angehörigenbeirat. Hier können Patienten ihre Erfahrungen teilen und mitgestalten, wie Krebsforschung und -versorgung weiterentwickelt werden. In Augsburg ist dieser Beirat direkt in Entscheidungsprozesse eingebunden und stellt sicher, dass die Perspektiven der Betroffenen berücksichtigt werden.“

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Augsburg ist Teil eines großen Forschungsnetzwerks. Was bedeutet das für Patienten?

„Unsere starke überregionale Vernetzung verbessert nicht nur die Forschung, sondern auch die direkte Patientenversorgung. Das Universitätsklinikum Augsburg und die Universität Augsburg sind Teil des Bayerischen Zentrums für Krebsforschung (BZKF), in dem sechs Universitätskliniken gemeinsam an neuen Krebstherapien arbeiten. Gleichzeitig ist Augsburg in der CCC-WERA-Allianz vertreten, einem Zusammenschluss der Krebszentren in Würzburg, Erlangen, Regensburg und Augsburg. Diese Allianz ist als onkologisches Spitzenzentrum ausgezeichnet und bietet Patienten die Möglichkeit, von modernster Diagnostik und Therapie auf höchstem wissenschaftlichem Niveau zu profitieren. 

Auch im Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) ist Augsburg mit der CCC-WERA-Allianz aktiv. Durch diesen Zusammenschluss ist sichergestellt, dass neueste Therapieansätze standortübergreifend in Studien geprüft werden können und dass Patienten schnell Zugang zu neuesten, individuell zugeschnittenen Therapien erhalten. Diese Netzwerke sind ein entscheidender Schritt nach vorne – sowohl für die Forschung als auch für die Versorgung. Sie ermöglichen es, wissenschaftliche Erkenntnisse noch schneller in die klinische Praxis zu übertragen und damit die Behandlungsmöglichkeiten für Patienten kontinuierlich zu verbessern.“

Fazit: Warum ist das wichtig für Patienten?

„Forschung und exzellente Patientenversorgung gehen Hand in Hand. Fortschritte in der Wissenschaft führen zu besseren Behandlungsmöglichkeiten, und gleichzeitig liefern die Erfahrungen aus der Praxis wertvolle Erkenntnisse für die Forschung. Dank moderner Diagnostik, interdisziplinärer Zusammenarbeit und überregionaler Vernetzung können Krebspatienten heute individueller und gezielter behandelt werden als je zuvor. Das Ziel ist klar: mehr Behandlungserfolge, bessere Lebensqualität und langfristige Fortschritte in der Krebsmedizin.“ 


Quelle: Universitätsklinikum Augsburg

04.02.2025

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