Was ist schon normal?
Anomalien und Malformationen der Schilddrüse
Mit etwa 30 Prozent – ab dem 50. Lebensjahr sogar etwa 50 Prozent – stellen der Schilddrüse
vergrößerte oder verknotete Schilddrüsen ein häufig anzutreffendes Krankheitsbild
dar.
Morphologische Veränderungen der Schilddrüse und krankhafte Funktionszustände haben im Rahmen der Bildgebung und auch bei der Anwendung jodhaltiger Kontrastmittel eine große Bedeutung. Diese Aspekte werden ausführlich in der Session „Was der Radiologe über die Schilddrüse wissen muss“ auf dem diesjährigen Bayerischen Röntgenkongress behandelt. PD Dr. Michael Cordes, Sprecher der Geschäftsführung des Radiologisch-Nuklearmedizinischen Zentrums in Nürnberg und Visiting Professor an der Wroclaw Medical University, konzentriert sich dabei speziell auf Lage- und Formanomalien.
„Zunächst einmal gibt es bei vielen Erkrankungen der Schilddrüse eine ausgeprägte Abhängigkeit zum Alter der Patienten. Während bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen Schilddrüsenerkrankungen vergleichsweise selten auftreten, steigt die Inzidenz mit zunehmendem Alter der Patienten – weshalb Radiologen relativ oft mit der Schilddrüsenveränderung konfrontiert werden“, so Dr. Cordes. Und nicht selten finden sich Ursachen einer gestörten Schilddrüsenfunktion in Kombination mit einer Anomalie der Lage oder der Form des Organs.
Viele Lage- und Formanomalien erfordern das Verständnis der Entwicklungsphysiologie: Im normalen embryonalen Entwicklungsprozess muss die Schilddrüse von der Schlundtasche zu ihrer endgültigen Lage im vorderen Halsdreieck „wandern“. Michael Cordes: „Bei manchen Menschen findet dieser Wanderungsprozess jedoch gar nicht oder fehlerhaft statt, die Schilddrüse verbleibt in der Zungengrundregion – ein Phänomen, das wir Zungengrundstruma nennen.“
Ein weiteres relativ häufig auftretendes Phänomen ist die Aplasie eines Schilddrüsenlappens, bei dem statt der üblichen zwei lediglich ein Lappen vorhanden oder voll ausgeprägt ist. Auch die Nebenschilddrüse findet sich nicht bei allen Menschen an dem vorgesehenen Ort, sondern kann sich während der Entwicklung im Mediastinum angesiedelt haben. „Neben diesen angeborenen Anomalien führen natürlich auch Operationen zu Formanomalien, weil sich aufgrund der OP Schilddrüsengewebe möglicherweise woandershin verlagert oder ein Bereich entfernt wurde. Das ist fast trivial, sollte aber nicht aus den Augen verloren werden“, so Cordes.
Auch auf den wichtigen Komplex der Tumor- und Metastasenbildung wird der Radiologe und Nuklearmediziner abschließend eingehen: „Schilddrüsentumoren metastasieren häufig zunächst in Lymphknoten im Halsbereich, die als vergrößerte Lymphknoten diagnostiziert werden können. Physiologisch betrachtet, gibt es in der Halsregion etwa 300 Lymphknoten und entsprechend variabel ist deren Lokalisation. Andererseits kann die Schilddrüse auch von Metastasen anderer Organe befallen sein. Hier ist es sicherlich hilfreich zu wissen, welches Tumorspektrum sich in der Schilddrüse manifestieren kann.“
Der Schwerpunkt der Ausführungen Cordes’ wird – naturgemäß – auf den Möglichkeiten der Darstellung mittels verschiedener Bildgebungsmodalitäten liegen. „Gerade Anomalien können häufig mithilfe des Ultraschalls detektiert werden, dabei handelt es sich oft nur um einen Zufallsbefund. Aber auch CT und MRT spielen eine Rolle. Bei der Lokalisation und Quantifizierung von Metastasen des Schilddrüsengewebes kommt auch die PET-CT zum Einsatz – insbesondere dann, wenn der Tumormarker Thyreoglobulin erhöht ist, jedoch kein Jod gespeichert wird“, schließt Dr. Cordes und empfiehlt in diesem Zusammenhang auch die Vorträge seiner Kollegen Prof. Torsten Kuwert zum Thema der Funktionszustände und PD Dr. Johann Rendl zur jodinduzierten Schilddrüsenüberfunktion.
I M P R O F I L
PD Dr. Michael Cordes ist gebürtiger Kölner und wurde zum Facharzt für Radiologie und Nuklearmedizin ausgebildet. Seine beruflichen Stationen führten ihn von Offenbach über Wiesbaden, Berlin und Vancouver nach Nürnberg. Als Sprecher der Geschäftsführung ist er hier im Radiologisch-Nuklearmedizinischen Zentrum (RNZ) tätig. Er hat als Visiting Professor einen Lehrauftrag an der Medizinischen Universität in Wroclaw. Michael Cordes ist Mitglied in verschiedenen Kommissionen der Bayerischen Landesärztekammer. Er ist als Oberstarzt d. R. an das Institut für Radiobiologie der Bundeswehr in München beordert.
01.10.2012