Interview • Die Herzschädigungs-Detektive

Warum Biomarker in der Diagnostik unverzichtbar sind

Prof. Stefan Holdenrieder, Leiter des Instituts für Laboratoriumsmedizin am Deutschen Herzzentrum in München, berichtet im Interview mit Healthcare in Europe von neuen Test-Methoden und erklärt, wie Biomarker die diagnostische Zukunft verändern.

Interview: Lena Petzold

Herr Holdenrieder, was ist neu in der Biomarker-Szene?

Stefan Holdenrieder: Neu ist zum einen, dass die Sensitivität und damit die Qualität der zur Frühdiagnose von Herzerkrankungen verwendeten Biomarker-Tests immer besser wird. Zum anderen werden verstärkt Markerverläufe und Markerkombinationen in der Diagnostik eingesetzt, um noch genauere Ergebnisse zu bekommen.

shutterstock/Pruser

Die Diagnostik wird also zu einem Spiel auf vielen Tastaturen?

Richtig, bei kardiologischen Erkrankungen geraten neben Troponin verstärkt weitere Biomarker wie beispielsweise Copeptin ins Blickfeld, um schneller Ergebnisse zu erhalten, was gerade in der Notaufnahme essentiell ist.

Aber Troponin bleibt ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik?

Absolut. Besonders da man mittlerweile über hochsensitive Troponin-Tests verfügt, mit denen man innerhalb einer Stunde einen Herzinfarkt diagnostizieren kann.

Die hochsensitiven Tests zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch sehr niedrige Werte noch präzise messen. Troponine brauchen eine gewisse Zeit, bis sie deutlich ansteigen. Früher musste ein Patient mit typischen Brustschmerzen, aber unauffälligem EKG und unauffälligen Troponin-Werten bis zu drei Stunden warten, bis ein erneuter Test eine Veränderung der Troponine zeigte. Die hochsensitiven Tests weisen – sofern ein Infarkt vorliegt – schon nach nur einer Stunde Veränderungen aus. Dadurch kann man frühzeitig intervenieren – oder bei unauffälligen Werten mit hoher Sicherheit sagen, dass kein kardiales Geschehen vorliegt und der Patient nach Hause darf. Diese neue Test-Klasse agiert also zugleich schneller und präziser. Außerdem kann sie auch im Nachhinein noch Herzschädigungen nachweisen.

Solche hochsensitiven Tests stehen in Deutschland aber nicht überall zur Verfügung.

Das ist richtig. Allerdings sind sie leichter zu beschaffen als zum Beispiel ein 3-Tesla-MRT, denn die Geräte, mit denen die Tests absolviert werden, sind relativ weit verbreitet. Das Aufspielen der neuen Tests ist deutlich unkomplizierter als der Erwerb moderner Ausrüstung. Dennoch gibt es natürlich weiterhin Stellen, an denen der Test noch nicht eingesetzt werden kann, wie zum Beispiel beim Hausarzt, da es bisher keine POCT-Geräte gibt, die diesen abbilden können. Das ist aber sicherlich eine Weiterentwicklung, die in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird.

Werden andere Marker wie das Copeptin überhaupt noch gebraucht, wenn das Troponin so präzise gemessen werden kann?

portrait of Stefan Holdenrieder
Professor Stefan Holdenrieder ist Leiter des Instituts für Laboratoriumsmedizin am Deutschen Herzzentrum in München.

Ja, denn wir versuchen bei Erkrankungen natürlich, so früh wie möglich zu intervenieren. Wir haben immer noch eine zeitliche Lücke zwischen dem Auftreten der Symptome und dem Nachweis der Troponine beziehungsweise dem Start einer Therapie. In dieser Zeit verstopfen die Herzkranzgefäße. Das Copeptin kann helfen, diese Lücke zu verkleinern. Copeptin ist ein Prohormon, das bei endogenem Stress innerhalb von Minuten seitens der Hypophyse freigesetzt wird. 

Das können natürlich ganz unterschiedliche Stressauslöser sein, ein Unfall, eine Entzündung – aber eben auch ein Herzinfarkt. Dieser Marker ist bereits erhöht, wenn das Troponin noch unauffällig ist und kann somit wertvolle Zeit verschaffen, therapeutische Maßnahmen vorzubereiten. Er bestätigt zwar nicht die Diagnose Herzinfarkt, ist aber ein wichtiger Warnhinweis auf eine vorliegende Erkrankung. Gleichzeitig kann ich bei der Kombination aus unauffälligem Copeptin- und gleichbleibendem Troponin-Wert mit 99-prozentiger Sicherheit sagen, dass kein Herzinfarkt vorliegt.

Wo könnten Biomarker noch zum Einsatz kommen?

Da kommen viele Bereiche in Frage. In der Kardiologie gibt es zwei zuverlässige Biomarker, die auf eine Herzinsuffizienz hinweisen: das Protein BNP und das Vorläufer-Fragment NT-proBNP. Diese zeigen an, wie hoch die Wandspannung im Herzen ist. Eine erhöhte Wandspannung ist ein klares Zeichen für eine Herzinsuffizienz, sind die beiden Marker erhöht, muss eingegriffen werden. Welcher Marker speziell gemessen wird, ist jedoch für die Erstdiagnose zweitrangig.

BNP hat eine kürzere Halbwertszeit im Blut, deshalb ist die Bestimmung des NT-proBNP genauer, aber bei einer akuten Herzinsuffizienz sind beide Werte deutlich erhöht. Erst zur Verlaufskontrolle wird mittlerweile oft NT-proBNP bevorzugt, da bestimmte Therapien dessen Metabolisierung beeinflussen und so der Therapieerfolg messbar wird. Sinkt das NT-proBNP, schlägt die Therapie an. Mit ST2, galectin-3 und GDF-15 stehen bereits weitere vielversprechende Marker in den Startlöchern.

Wie sieht die Zukunft der Biomarker-Diagnostik aus?

Ob in der Genetik oder Epigenetik, ob Lipide oder Mikro-RNAs, die Möglichkeiten sind immens

Stefan Holdenrieder

Das Potential von Biomarkern ist noch weit davon entfernt, ausgeschöpft zu sein. Es gibt momentan eine Vielzahl an Studien, die sich damit beschäftigen, wo Biomarker noch unterstützen könnten. Ob in der Genetik oder Epigenetik, ob Lipide oder Mikro-RNAs, die Möglichkeiten sind immens. Bei Arteriosklerose hat sich beispielsweise gezeigt, dass Mikro-RNAs einen Hinweis darauf geben können, ob ein weiterer Infarkt wahrscheinlich ist. Dadurch könnte besonders bei Risikopatienten die Prognostik deutlich verbessert werden. Das ist aber noch Neuland, da dies auch den Umgang mit großen informationstechnischen Datensätzen voraussetzt. Letztendlich werden wir uns aber vor allem damit beschäftigen, was dem Patienten wirklich hilft.


Profil:

Professor Stefan Holdenrieder ist Leiter des Instituts für Laboratoriumsmedizin am Deutschen Herzzentrum in München. Zuvor war er am Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie an der Universität Bonn aktiv. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt in der Entwicklung und Evaluierung neuer labordiagnostischer Biomarker und Technologien für Kardiologie, Onkologie, Immunologie und Neurologie. Ein besonderer Fokus liegt zudem auf zirkulierenden zellulären Nukleinsäuren (CNA) und deren genetische und epigenetische Ausprägungen.

13.10.2017

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