News • Geschlechtsunterschiede im Krankheitsverlauf
Vogelgrippe-Virus H7N9: Männer stärker betroffen
Ein interdisziplinäres Team des Leibniz-Instituts für Virologie (LIV) in Hamburg, des Chinesischen Nationalen Influenza-Zentrums des Chinesischen Zentrums für Seuchenkontrolle und -prävention (China CDC) und der School of Public Health (Shenzhen), Sun Yat-sen University, zeigt erstmals, dass eine Infektion mit dem Vogelgrippevirus H7N9 die Hormonachse von Männern, nicht aber von Frauen angreift.
Die Wissenschaftler analysierten retrospektiv eine der größten humanen H7N9-Vogelgrippevirus Kohorte und zeigten, dass ein niedriger Testosteronspiegel mit der Entwicklung einer schweren oder sogar tödlichen Erkrankung bei Männern verbunden ist. Im Gegensatz dazu hatte die saisonale H1N1- oder H3N2-Influenza keine signifikanten Auswirkungen auf die Hormonachse bei männlichen oder weiblichen Patienten. Diese Studie identifiziert niedrige Testosteronwerte, die durch eine H7N9-Infektion verursacht werden, als einen schlechten Prognosemarker bei Männern. Die Ergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.
Aviäre Influenzaviren des H7N9-Subtyps (H7N9-Vogelgrippeviren) zeichnen sich durch ein großes epidemisches und pandemisches Potenzial aus. Im März 2013 haben H7N9-Vogelgrippeviren zum ersten Mal Speziesbarrieren übersprungen und sind von Vögeln auf den Menschen übergegangen. Hierbei waren Männer häufiger betroffen als Frauen. In den folgenden fünf Epidemiewellen war die Inzidenz von H7N9 bei Männern wiederholt höher als bei Frauen.
Um die Mechanismen hinter diesen geschlechtsspezifischen Unterschieden zu entschlüsseln, analysierte das deutsch-chinesische Team Patienten mit einer im Labor bestätigten H7N9-Infektion und verglich sie mit H7N9-negativen engen Kontaktpersonen sowie mit Patienten mit einer saisonalen Grippeinfektion. Die Wissenschaftler zeigen, dass eine H7N9-Infektion die Hormonachse bei Männern spezifisch angreift, bei Frauen jedoch nicht. Bei Männern führt eine H7N9-Infektion zu einem niedrigen Testosteronspiegel, der mit einem schweren und sogar tödlichen Ausgang korreliert. In Mausmodellen bestätigen die Autoren den kausalen Zusammenhang zwischen H7N9-Infektion und Testosteronmangel bei Männern. Sie zeigen außerdem, dass sich das Vogelgrippevirus H7N9 in den Hoden von Mäusen repliziert und eine lokale und systemische Entzündung auslöst, die wahrscheinlich die Testosteronproduktion beeinträchtigt.
Die strenge Überwachung und die massive Impfung von Geflügel haben bisher eine weitere Ausbreitung des H7N9-Virus auf den Menschen verhindert. Aber Vogelgrippeviren entwickeln sich weiter und erfordern hohe Wachsamkeit
Yuelong Shu
Bislang ist nur sehr wenig über die molekularen Mechanismen bekannt, die zu geschlechtsspezifischen Krankheitsverläufen bei Infektionen mit Atemwegsviren führen. Diese Studie könnte als Blaupause für die Untersuchung von Geschlechtsunterschieden bei anderen Atemwegsinfektionen dienen, einschließlich SARS-CoV-2, wie es bei der aktuellen Pandemie beobachtet wurde. „Vogelgrippeviren stellen weiterhin ein hohes epidemisches und pandemisches Risiko dar. Die Saison 2021/2022 war die größte Vogelgrippe-Epidemie, die weltweit einschließlich Europa verzeichnet wurde. Daher ist das Verständnis der molekularen Mechanismen, die den geschlechtsspezifischen Krankheitsverlauf vermitteln, für ein individuelles Patient:innenmanagement von entscheidender Bedeutung", erklärt Prof. Gülşah Gabriel, Leiterin der LIV-Forschungseinheit Virale Zoonosen - One Health und Professorin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover.
„Die strenge Überwachung und die massive Impfung von Geflügel haben bisher eine weitere Ausbreitung des H7N9-Virus auf den Menschen verhindert. Aber Vogelgrippeviren entwickeln sich weiter und erfordern hohe Wachsamkeit", sagt Prof. Yuelong Shu, ehemaliger Direktor des Chinesischen Nationalen Influenzazentrums beim Chinesischen CDC.
Quelle: Leibniz-Institut für Virologie
16.11.2022