„Totgeschossen und vergiftet“
Über die Schwierigkeiten, dem Leberkrebs beizukommen
Innovative Verfahren zur Behandlung von Leberkrebs sind dringend erforderlich, denn bei dem hochgradig malignen hepatozellulären Karzinom (HCC) ist die Prognose auch nach der Tumorresektion sehr schlecht. Auch Lebertransplantationen sind leider nur bedingt erfolgreich, da bei der Entnahme häufig Tumorzellen im Körper verbleiben, die zur Bildung von neuen Karzinomen führen können.
Die Transarterielle Chemoembolisation (TACE) und die Radioembolisation mit der SIRT-Therapie sind zwei vielversprechende Ansätze zur Palliativbehandlung von Leberkrebs und Lebermetastasen. Derzeit sind beide Embolisationsverfahren noch konkurrierende, möglicherweise gleichwertige Methoden, deren exakte Indikation und Wirkung noch im Rahmen wissenschaftlicher Studien erforscht werden müssen. Univ.-Prof. Dr. Johannes Lammer von der Universitätsklinik Wien wird in seinem Vortrag „Intervention I – Embolisation“ beide Verfahren en détail vorstellen.
Beim HCC erzielt die klassische Embolisationstechnik nur unzureichende Ergebnisse, denn während die gutartigen Tumoren, zum Beispiel Uterusmyome, keine neuen Gefäße öffnen, ist die aktive Gefäßrekrutierung ein Charakteristikum des malignen Tumors. „Ein bösartiger Tumor“, erläutert Prof. Lammer, „wächst schnell und braucht daher extrem viel Sauerstoff und Nährstoffe. Um diese Versorgung zu gewährleisten, müssen die Tumoren ständig neue Gefäße rekrutieren. Die Tumorzellen geben daher Substanzen frei, die die Vaskularisierung triggern. Allerdings senden die Zellen auch bei einer Embolisation, quasi noch im Absterben, diese Signale aus. Mit der Chemoembolisation und der Radioembolisation versuchen wir also nicht nur, die Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr zum Tumor abzuschneiden, sondern den Tumor darüber hinaus mit einem Chemotherapeutikum beziehungsweise mit Iridium abzutöten. Er wird, wie wir es nennen, ‚totgeschossen und vergiftet‘.“
Bei der Chemoembolisation werden zunächst unter Röntgenbildgebung Embolisationskügelchen mit einem Chemotherapeutikum – entweder Doxorubicin oder Irinotecan – beladen und dann unter lokaler Betäubung mit einem Katheter in die tumorversorgende Leberarterie eingebracht. Von dort werden die Kügelchen in den Tumor gespült, wo sie sich ablagern und das Therapeutikum abgeben. „Dieses Verfahren“, so Lammer, „hat zwei wesentliche Vorteile: Erstens erzielen wir damit eine extrem hohe Konzentration des Therapeutikums, wie wir sie mit einer systemischen Chemotherapie nie erzielen könnten, und zweitens gelangt das Therapeutikum nur dorthin, wo es wirken soll. Das heißt, wir haben eine sehr geringe systemische Belastung des Patienten.“
Die Chemoembolisation ist für das hepatozelluläre Karzinom indiziert, das in Europa verstärkt auftritt. Häufig entwickelt es sich aus einer Leberzirrhose, die nicht nur als Folge von Alkoholkonsum, sondern auch als Folge chronischer Hepatitis entstehen kann. Da bis vor etwa 20 Jahren Bluttests das Hepatitis-C-Virus noch nicht identifizieren konnten, haben heute viele Patienten, die sich durch Blutprodukte mit Hepatitis C infiziert haben, mit den Folgeschäden zu kämpfen. Die Chemoembolisation ist zwar auch für die Behandlung von Lebermetastasen geeignet, allerdings nur für solche, die auf Doxorubicin oder Irinotecan ansprechen. Die derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnisse mit TACE sind deshalb rar und beziehen sich vor allem auf die Metastasen von kolorektalen Karzinomen, von endokrinen Tumoren und von Melanomen.
Der Vorteil der Radioembolisation – auch als Selektive Interne Radiotherapie (SIRT) bezeichnet – ist dagegen gerade die Unabhängigkeit von Chemotherapeutika. Die technische Vorgehensweise bei diesem Verfahren ist der Chemoembolisation ähnlich: Partikel, die nicht mit einem Chemotherapeutikum, sondern mit Iridium beladen sind, werden mithilfe des Katheters von der Leiste in die tumorversorgenden Gefäße der Leberarterie gebracht. Dort lagern sie sich ab und bestrahlen den Tumor von innen. Iridium ist als hochaktiver β-Strahler nur im Umfeld von wenigen Millimetern aktiv, gefährdet also die weiteren Umgebungsstrukturen nicht. Das heißt, man kann auch mit der Radioembolisation hepatozelluläre Karzinome und Metastasen hoch dosiert behandeln.
Im Profil
Univ.-Prof. Dr. Johannes Lammer war Stellvertretender Leiter der Abteilung für Spezielle Röntgendiagnostik der Universitätsklinik für Radiologie (CT, Ultraschall, Angiografie) in Graz, bevor er 1992 die Leitung der Klinischen Abteilung für Kardiovaskuläre und Interventionelle Radiologie an der Universitätsklinik für Radiodiagnostik, Wien, übernahm. Er war unter anderem Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Angiologie (1999–2000) und der CIRSE (2005–2007). Zu seinen Hauptinteressengebieten gehören die diagnostische Abdominalradiologie, die diagnostische und interventionelle Neuroradiologie sowie die vaskuläre und nicht vaskuläre interventionelle Radiologie.
Veranstaltungshinweis
Freitag, 8. Oktober 2010,
11:00 Uhr–12:00 Uhr: Leber
Vorsitz: R. Adamus, Nürnberg, und F. Karnel, Wien
11:00 Uhr: Intervention I – Embolisation
J. Lammer, Wien
06.10.2010