Artikel • Lebenserhaltende Maßnahmen

Therapiezieländerung und Patientenwille auf Intensivstationen

Etwa jeder achte Todesfall ereignet sich in Deutschland auf Intensivstationen, in den meisten Fällen bereits absehbar. Trotz immer neuer Therapiemöglichkeiten, selbst todkranke oder ältere Menschen am Leben zu erhalten, bleiben offene Fragen, ob dieser große Behandlungsaufwand für den betroffenen Patienten zu einer für ihn akzeptablen Lebensqualität führt.

Bericht: Thomas Wandelt

Der enorme Fortschritt in der Intensivmedizin führt nicht selten zu einer Übertherapie. Wichtig ist deshalb, im Vorfeld den eigenen Patientenwillen über die lebenserhaltenen Therapien und Maßnahmen vor Ereigniseintritt zu äußern. Konkrete Gespräche mit Angehörigen und in der Patientenverfügung festgelegten Betreuer über den Behandlungswunsch bei verminderter oder vollständigen Geschäftsunfähigkeit können helfen, die Entscheidungen der Ärzte auf Intensivstationen zu erleichtern.

Im Jahre 2016 verstarben in Deutschland 910.900 Patienten, davon 419.400 im Krankenhaus, das sind 46 Prozent aller Todesfälle. Auf Intensivstationen wurden im Jahre 2016 etwa 2,1 Millionen Patienten behandelt, dabei verstarben circa 104.850 Patienten auf einer Intensivstation.

portrait of uwe janssens
Professor Dr. med. Uwe Janssens ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St. Antonius- Hospital Eschweiler und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Internische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DIVI)

Auf Intensivstationen kommt das Sterben meistens voraussehbar und nicht plötzlich oder überraschend. „In vielen Fällen geht dem Sterben auf der Intensivstation ein Behandlungsverzicht voran – lebenserhaltende Maßnahmen werden also bewusst beendet, begrenz oder gar nicht erst begonnen“ sagt Professor Dr. med. Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St. Antonius- Hospital Eschweiler und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Internische Intensivmedizin und Notfallmedizin. Die Entscheidungen über die Therapien erfolgt neben der ärztlichen Indikationsstellung auf der Basis des Patientenwillens. Im Idealfall ist der Patient ansprechbar und selbst in der Lage, seinen Willen zu äußern. Hier kann er in Behandlungen einwilligen oder diese ablehnen. 

Kann der Patient seinen Willen nicht bekunden, kommt die Patientenverfügung zum Tragen. Ein gut ausformuliertes Dokument, das präzise den Patientenwunsch für oder gegen Behandlungsmaßnahmen in verschiedenen Situationen abbildet, hilft, dem Behandlungsteam eine patientenzentrierte Entscheidung zu treffen. Vorgefertigte Formulare, wie sie im Internet verfügbar sind, stellen keine ausreichende Sicherheit dar, weil diese häufig unkonkret gehalten und nur durch das Ankreuzen der möglichen Ereignisse auszufüllen sind. „Hier besteht die Gefahr, dass dem Patienten nicht alle Konsequenzen seiner Wünsche wirklich bewusst sind“, betont Professor Janssens. Allerdings können trotz sorgfältiger und konkreter Formulierung in einer Patientenverfügung nicht alle möglichen intensivmedizinischen Szenarien erfasst werden. Die Komplexität der Krankheitsbilder, aber auch die umfangreichen Möglichkeiten der Intensivmedizin kann tatsächlich nicht durch eine Patientenverfügung umfänglich dargestellt werden. „Bei der Erstellung einer Patientenverfügung ist es sinnvoll, sich vom Arzt – idealerweiser der Hausarzt – oder anderen fachkundigen Personen beraten zu lassen. Auch wenn eine Patientenverfügung nicht alle möglichen Behandlungsfälle abdecken kann, sollte sie dennoch vorliegen, da sie eine wichtige Grundlage bei der Ermittlung des Patientenwillen bietet“, sagt Janssens.

Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren

Liegt nun keine Patientenverfügung vor und ist der Patient selbst nicht mehr entscheidungsfähig, wird ein Vorsorgebevollmächtigter oder Betreuer in die Entscheidungsfindung der Intensivbehandlung einbezogen. Idealerweise sollten diese juristischen Stellvertreter vorher vom Patienten bestimmt werden. Ist eine solche Vorausverfügung nicht bekannt, muss ein Betreuer gerichtlich bestimmt werden. Auch Gespräche mit den Angehörigen können zielführend sein. Deshalb ist es ratsam, sich bereits frühzeitig mit Angehörigen, Bekannten und Freunden über seine Vorstellungen zu Leben, Krankheit, aber auch zum Sterben zu unterhalten. Sind die Wertevorstellungen eines Patienten zur Lebensqualität, seine Lebensentwürfe dem persönlichen Umfeld bekannt, können Entscheidungen während einer intensivmedizinischen Behandlung besser getroffen werden.

Es ist auf jeden Fall anzuraten, vor Operationen und medizinischen Intensiveingriffen sowie bei chronischen Erkrankungen mit schweren Verläufen eine detaillierte Patientenverfügung zu verfassen. Hierbei sollten genaue Formulierung gewählt werden, ab welchen Zeitpunkt oder in welchen Situationen eine weitere Behandlung oder lebensverlängernde Maßnahme nicht mehr gewünscht wird. Das Durchspielen bestimmter Situationen, die eintreten könnten, wäre hilfreich um zu erkennen, was der Betroffene möchte. Hilfreich ist auch hier immer das Gespräch mit einem Arzt des Vertrauens im Verlauf einer chronischen Krankheit zu suchen.

Abschließend kann festgestellt werden, dass die Möglichkeit eines selbstbestimmten Sterbeprozess auf Intensivstationen und Palliativeinrichtungen des Patienten in dessen Händen liegt. Dem „Gespenst“ der Übertherapie, das in Deutschland häufig diskutiert wird, könnte mit einer vorzeitigen Patientenverfügung oder Einsetzung einer Vertrauensperson zur Durchsetzung des eigenen Willens wirkungsvoll entgegengewirkt werden.

04.07.2019

Verwandte Artikel

Photo

News • Weaning

Weg vom Beatmungsgerät: Lungenärzte begrüßen Gesetzesentwurf

Mit dem Gesetzesentwurf zum „Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz“ will Gesundheitsminister Jens Spahn die Versorgung der Betroffenen deutlich verbessern und die Fehlentwicklungen und…

Photo

News • Projekt „ICU-Support“

Mehr Sicherheit auf der Intensivstation durch bessere Kommunikation

Bessere Kommunikation für mehr Patientensicherheit auf der Intensivstation: Das Projekt „ICU-Support“ setzt auf intensiveren Austausch im Team durch strukturierte Kommunikation.

Photo

News • Studie zur Verweildauer von Patienten

Mangel an Pflegekräften verlängert Krankenhaus-Aufenthalte

Weil es nicht genug Pflegeheimplätze gibt, bleiben Betroffene im Schnitt 3-4 Tage länger im Krankenhaus, zeigt eine Studie. Damit steigen sowohl die Kosten, als auch das Risiko für die Patienten.

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren