Artikel • Glioblastom
Therapieassoziierte Phänomene erschweren Diagnostik
Das Glioblastom ist der häufigste bösartige, hirneigene Tumor bei Erwachsenen. Aufgrund seines infiltrativen Charakters in das Gewebe des Zentralnervensystems (ZNS) ist eine radikale Entfernung nicht möglich.
Zudem ist man im ZNS sehr zurückhaltend mit einer radikalen Operation, da man fürchtet, wichtige Funktionen wie Motorik oder Sprache zu beeinträchtigen. Die Standardtherapie ist daher die Gabe von Temozolomid und Bestrahlung. Sie haben erhebliche Auswirkungen auf das ZNS, die das Monitoring im MRT stark erschweren und in den letzten Jahren zu einem Umdenken bei der Bewertung des Therapiensprechens der Glioblastome geführt haben.
„Die Hauptsäule zur Beurteilung von Tumorprogress oder Therapieansprechen bei Glioblastomen ist neben dem klinischen Erscheinungsbild des Patienten die MR-Bildgebung. Dort können Phänomene auftreten, die suggerieren, dass ein Tumor wächst, ohne dass er das de facto tut. Das liegt an therapiebedingten Veränderungen. Die Therapie kann eine Bluthirnschrankenstörung und entzündliche Reaktionen provozieren, die im MRT wie Tumore aussehen. Man erkennt Anreicherungen, Ödeme und raumfordernde Effekte, die allein durch die Therapie hervorgerufen werden, ohne dass diesen Phänomenen Tumorgewebe zugrunde liegen muss. Das kann man bildgebend nicht voneinander unterscheiden“, schildert Uni.-Prof. Elke Hattingen, Fachärztin für Radiologie und Neuroradiologie und leitende Oberärztin am Universitätsklinikum Bonn.
Die Diagnose des Glioblastoms wird weiter dadurch erschwert, dass es nicht klar begrenzt und sehr inhomogen ist, der Tumor oftmals auch über die Kontrastmittelanreicherung hinaus diffus im Hirn wachsen kann. „In seinem Inneren ist viel Nekrose und an den Rändern weiß man nicht, wo er aufhört, selbst im gesund erscheinenden Gewebe kann er unerkannt weiterwachsen“, so die Oberärztin. Lange Zeit führte dies zu irrtümlichen und gefährlichen Schlussfolgerungen. Gemäß den MacDonald Kriterien gilt allein die Anreicherung mit Kontrastmittel als Indikator für das Ansprechen oder Scheitern einer Therapie. Dabei steht eine Zunahme der anreichernden Querschnittsfläche von mehr als 25 Prozent für einen Tumorprogress, bei einer Kontrastmittelabnahme von 50 Prozent und mehr geht man von einem partial response aus. Bei vielen Patienten wurde die zunehmende Kontrastmittelanreicherung für einen Progress gehalten, obwohl es sich bei ungefähr 20 Prozent der therapierten Patienten tatsächlich um therapieassoziierte Veränderungen handelte.
„Nicht zuletzt wurden sogar wirksame Therapien aufgrund einer falschen Diagnose abgesetzt. 2010 hat man diesem Irrtum Rechnung getragen und die MacDonald Kriterien durch die RANO-Kriterien (Radiology assessement in neuro-oncology) ersetzt. Denn insbesondere in den ersten drei Monaten nach Beginn der Strahlentherapie sind Pseudo-Progresse am häufigsten. Daher sollte die Therapie in dieser Zeit nicht umgesetzt werden“, erklärt die Neuroradiologin, die rät zuerst weitere Bildkontrollen zu machen. Wenn sich das klinische Bild des Patienten vorher stark verschlechtert, so kann auch eine Biopsie Klarheit geben.
Nach den neu begründeten RANO-Kriterien werden nunmehr auch T2-gewichteteSequenzen in die Tumorevaluation miteinbezogen, um auch weitere radiologische Phänomene wie nicht anreichernden Tumorprogress (so genanntemT2/FLAIR-Progress) und Pseudoregression zu berücksichtigen. Es gibt inzwischen auch andere Verfahren, die früher als die Standard MR-Bildgebung den Pseudo-Progress erkennen können, wie die MR-Perfusion, die PET mit Aminosäure und die Spektroskopie, allerdings sind diese noch nicht im klinischen Alltagangekommen. „Auch die RANO-Kriterien sind noch nicht voll ausgereift, um das Problem der richtigen Beurteilung der Tumorentwicklung zu lösen. Es ist daher wichtig, die Patienten in spezialisierten Zentren zu untersuchen und zu behandeln.“
Ein großes Problem in der Diagnostik stellt auch das Fehlen einer Standardbildgebung im MRT dar. Vergleichbare Aufnahmen sind eher die Ausnahmeals die Regel. Hattingen: „Es gibt zwar Empfehlungen, aber keine vorgeschriebenen Protokolle. Wenn jede untersuchende Einheit unterschiedliche Schichtenaufnimmt, wird die Beurteilung des Verlaufs schwierig. Kostspielige Doppeluntersuchungen sind die Folge.“ Diese Problematik, ob die Bildgebung der Fragestellung gerecht wird oder nicht, gibt es nicht nur in der Neuroradiologie, aber die Glioblastom-Patienten trifft es besonders. Uni.-Prof. Hattingen sieht deshalb eine große Notwendigkeit, politischen Druck auszuüben, durch die Fachgesellschaften und soweit möglich auch von ihr selbst.
Profil:
Uni.-Prof. Dr. Elke Hattingen ist leitende Oberärztin der Funktionseinheit Neuroradiologie des Universitätsklinikums Bonn. Zuvor war sie über zehn Jahre im Institut für Neuroradiologie des Universitätsklinikums Frankfurt als wissenschaftliche Mitarbeiterin und dann als Oberärztin tätig. Einer ihrer Schwerpunkte ist die MR Bildgebung und die neuen Bilgebungsverfahren bei Hirntumoren. Zu diesem Thema hat sie viele wissenschaftliche Publikationen, Übersichtsartikel und Buchbeiträge geschrieben und sie zudem Herausgeberin eines entsprechenden Englischsprachigen Fachbuches.
Veranstaltungshinweis:
Raum: Congress-Saal
Freitag, 04.11.2016, 09:15-10:30 Uhr
Therapieassoziierte Phänomene und RANO
Elke Hattingen, Bonn
Session: Gut und Böse ZNS
03.11.2016