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Studie belegt Fehlentwicklung im deutschen Gesundheitswesen
Mindestens 50 Operationen pro Jahr empfiehlt die deutsche Prostatakrebsleitlinie als Orientierungswert für Zentren, die eine komplette operative Entfernung der Prostata anbieten. Doch eine Studie belegt, dass diese Empfehlung in Deutschland zunehmend ignoriert wird. Die wissenschaftliche Arbeit aus der Klinik und Poliklinik für Urologie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden weist nach, dass immer häufiger Krankenhäuser diese Radikaloperationen vornehmen, obwohl sie die dafür empfohlene Mindestfallzahl unterschreiten.
Im Untersuchungszeitraum von 2006 bis 2013 hat sich der Anteil dieser Krankenhäuser von 49 auf 67 Prozent erhöht. Die Dresdner Urologen fordern deshalb Maßnahmen, um die Patientenversorgung zu zentralisieren. Denn eine Operation in Häusern mit hohen Fallzahlen steigert die Patientensicherheit und führt seltener zu schweren Nebenwirkungen wie Impotenz oder Inkontinenz.
„Viele Gesundheitssysteme im Ausland nutzen bereits verbindliche Mindestmengenkataloge, um eine Zentralisierung von komplizierten Operationen zu erreichen. In Deutschland gibt es eine solche Regelung bisher aber erst für sechs Verfahren wie Leber- und Nierentransplantationen, operativen Eingriffen an den Herzkranzgefäßen oder bei Operationen von Bauchspeicheldrüse und Speiseröhre. – Die Radikaloperation der Prostata gehört nicht dazu“, beschreibt Privatdozent Dr. Johannes Huber die Problematik. Ohne Mindestmengenkataloge sind die Kliniken nicht an die Empfehlungen der von der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) ausgearbeiteten Deutschen Prostatakrebsleitlinie gebunden. Begünstigt durch einen Rückgang bei der Gesamtzahl aller in Deutschland vorgenommenen Eingriffe um etwa ein Drittel kommt es dadurch zu einer deutlichen Dezentralisierung der Eingriffe. Das belegt die neue, von den Urologen des Dresdner Uniklinikums im Journal der nature-Gruppe veröffentlichte Studie „Robots drive the German radical prostatectomy market“.
„Die Studie zeigt sehr deutlich, dass es im deutschen Gesundheitswesen einen großen Nachholbedarf in der Frage der Qualitätssicherung durch Mindestmengen gibt. Andere Länder sind uns hier weit voraus. Von der Konzentration komplexer Therapien auf hochspezialisierte und sehr erfahrene Krankenhäuser profitieren nicht nur die Patienten, sondern auch das Gesundheitswesen insgesamt. Denn ein Effekt der Mindestmengen sind geringere Komplikationsraten, die sich positiv auf die Kosten auswirken“, sagt Prof Michael Albrecht, Medizinischer Vorstand des Dresdner Universitätsklinikums. Als Krankenhaus der Maximalversorgung ist das Uniklinikum auf hochkomplexe Eingriffe spezialisiert. Als einziger Partnerstandort des in Heidelberg gegründeten Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) gehört das Klinikum auf dem Gebiet der Krebsmedizin zu den führenden Einrichtungen. Ein Beleg dafür ist die Zertifizierung als Prostatakarzinomzentrum durch die Deutsche Krebsgesellschaft. In Sachsen gibt es lediglich vier Zentren, die die Versorgungsqualität und -strukturen gemäß der Vorgaben des Nationalen Krebsplans erfüllen. Neben dem Uniklinikum Dresden sind dies das Diakonissenkrankenhaus sowie je eine Klinik in Chemnitz und Leipzig.
28 Prozent der Operationen erfolgen an Kliniken mit zu geringer Expertise
Statt der gebotenen Zentralisierung der Versorgung werden immer mehr Patienten in Kliniken operiert, die weniger als die empfohlenen 50 Eingriffe pro Jahr vornehmen.
Dr. Johannes Huber
Die Untersuchung der Klinik für Urologie belegt erstmals, dass sich das deutsche Gesundheitswesen immer weiter von der Leitlinienempfehlung für Radikaloperationen der Prostata entfernt. Studienleiter Privatdozent Dr. Johannes Huber fasst die Analyse aller 221.000 Eingriffe in Deutschland von 2006 bis 2013 so zusammen: „Statt der gebotenen Zentralisierung der Versorgung werden immer mehr Patienten in Kliniken operiert, die weniger als die empfohlenen 50 Eingriffe pro Jahr vornehmen. Zwischen 2006 und 2013 hat sich der Anteil dieser Patienten von 16 auf 28 Prozent fast verdoppelt.“ Das hat beträchtliche Auswirkungen auf die Patientensicherheit und die Versorgungsqualität in Deutschland. Denn es existieren gute Belege dafür, dass die Ergebnisse in erfahreneren Zentren deutlich besser sind. Diese Erkenntnis trifft insbesondere für die Radikaloperation der Prostata bei Prostatakrebs zu. Daher empfiehlt die deutsche Prostatakrebsleitlinie ganz ausdrücklich, dass die komplette Entfernung der Prostata nur in Einrichtungen mit mindestens 50 Operationen pro Jahr erfolgen soll. „Dieses Ziel hat die Leitliniengruppe mit dem höchsten Empfehlungsgrad und auf der Basis von sehr belastbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen formuliert”, bekräftigt Prof. Manfred Wirth, Direktor der Klinik für Urologie am Uniklinikum und Vorsitzender der für die Leitlinie zuständigen Steuergruppe.
Neben der Eingriffszahl können Patienten erfahrene Behandlungszentren wie etwa das Universitätsklinikum Dresden auch am Vorhalten eines OP-Roboters und an der Zertifizierung als Prostatakarzinomzentrum erkennen. Diese wird seit 2007 im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft vorgenommen und fordert – wie auch die deutsche Prostatakrebsleitlinie – eine Fallzahl von mindestens 50 Eingriffen pro Jahr. Die aktuelle Studie der Klinik für Urologie konnte die Wirksamkeit dieser Qualifikationen auf die im Jahr 2013 erreichten Fallzahlen genauer bestimmen: Mit einem Multiplikationsfaktor von 7,3 wirkte sich das Vorhalten eines OP-Roboters am stärksten aus, das heißt statistisch führte eine Klinik mit OP-Roboter siebenmal so viele Eingriffe durch wie eine vergleichbare Einrichtung ohne diese aufwändige Infrastruktur. Die Zertifizierung als Prostatakarzinomzentrum hatte mit einem Multiplikationsfaktor von 1,6 einen deutlich schwächeren Effekt auf die Fallzahlen. Die Studie am Universitätsklinikum wurde durch das Förderprogramm MeDDrive der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden ermöglicht und finanziert.
Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum Dresden
Die Klinik und Poliklinik für Urologie am Universitätsklinikum Dresden verfügt bereits seit 2006 über das Da-Vinci-System zur roboter-assistierten Chirurgie und ist seit 2007 als Prostatakarzinomzentrum zertifiziert. Im Jahr 2013 konnten diese beiden Qualifikationen nur 28 deutsche Kliniken nachweisen. Zusammen mit der hohen jährlichen Fallzahl von ca. 400 Eingriffen bewegt sich die Urologie der Dresdner Hochschulmedizin damit im Top-Bereich und stellt für ihre Patienten die bestmöglichen Behandlungsergebnisse sicher.
Publikation
Christer Groeben, Rainer Koch, Martin Baunacke, Manfred P. Wirth, Johannes Huber (2016) Robots drive the German radical prostatectomy market: a total population analysis from 2006 to 2013. Prostate Cancer Prostatic Dis. doi 10.1038/PCAN.2016.34, http://www.nature.com/pcan/journal/vaop/ncurrent/full/pcan201634a.html
Quelle: Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
03.10.2016