Sind wir Menschen zu langsam für die Digitalisierung?

Quelle: PD Dr. Dominik Pförringer

Interview • Drohnen oder Datenkabel?

Sind wir Menschen zu langsam für die Digitalisierung?

Als Gipfel der Digitalisierung im Gesundheitswesen wird zurzeit gerne auf die eindrucksvolle Entwicklung der Drohnen verwiesen. Und einige Gruppen testen, ob Drohnen Defibrillatoren schnell und sicher zu den Betroffenen bringen oder auch ob sie Laborproben bzw. Blutprodukte von Punkt A nach B transportieren können. Diese Entwicklungen erzeugen viel Aufmerksamkeit, gehen aber am Kern des Problems vorbei, ist PD Dr. Dominik Pförringer, Unfallchirurg am Münchner Universitätsklinikum Rechts der Isar, überzeugt: „Drohnen gehören auf meiner persönlichen Wunschliste der Digitalisierung nicht mal zu den Top 100. Sie sind ein gutes plastisches Beispiel für Innovation, aber nichts, womit wir uns aktuell befassen müssen oder wollen.“

Interview: Sascha Keutel

Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ähnelt dem Sex im Teenageralter: 1. Alle reden darüber; 2. Jeder denkt, alle anderen sind ihnen voraus; 3. Niemand weiß, wie es wirklich funktioniert

PD Dr. Dominik Pförringer

Was sind die Grundvoraussetzungen für eine fortlaufende Digitalisierung von Krankenhäusern - und welche Barrieren gibt es?
Endlich fragt jemand nach der Basis, statt nach den Endausbaustufen. Zunächst bedarf es einer technischen Infrastruktur, die einen raschen, sicheren und effizienten - das heißt reibungsarmen Datenaustausch - ermöglicht. Für all das braucht es ein Budget, das ich noch nicht allokiert sehe. Zudem gilt es, die Menschen auf das Thema strukturiert vorzubereiten und sie nicht allein auf diese Reise in die Zukunft zu schicken. Konkret bedeutet das eine fortlaufende Aus- und Weiterbildung. Die meisten Mediziner, vom Studenten bis zum Chefarzt haben Ressentiments, die auf einem Mangel an Ausbildung und Information basieren.

Für Barrieren, die wohlgemerkt alles andere als unüberwindbar sind, halte ich den mangelnden Ausbau der Datennetze, den partiell unklar ausgelegten Datenschutz und die Heterogenität des Einsatzes von Technik. Während der Patient digital zunehmend offener wird und einige Praxen technisch sehr weit sind, lebt die Basis noch hinter dem Mond. Es fehlt an drahtloser Kommunikation, es mangelt an Soft- und Hardware, um die Heilberufe zu entlasten. Beispielsweise verfügt ein Großteil der Kliniken noch nicht über ein funktionierendes, flächendeckendes drahtloses Netzwerk zum Austausch medizinisch relevanter Daten.

Wie verändern digitale Technologien die Art und Weise, wie wir Gesundheitsfürsorge, insbesondere in Krankenhäusern, anbieten?

Die Omnipräsenz von Daten macht die Medizin komplexer und eröffnet uns zugleich ein weites Feld an Möglichkeiten, gerne belegt mit dem etwas abgegriffenen Zitat „Daten sind das Öl des 21. Jahrhunderts“. Oft wird vergessen, diesen Vergleich zu Ende zu denken: ebenso wie Rohöl sind Daten per se nur beschränkt nützlich, der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Raffinierung, der Verarbeitung in höherwertige Zwischen- und Endprodukte. Wenn wir die bestehenden Daten und die dazugehörigen Technologien (besser als momentan) im Interesse der Medizin und somit des Patienten zum Einsatz bringen (wiederum besser als augenblicklich), dann profitieren alle involvierten Parteien davon. Der Patient durch eine höhere Behandlungssicherheit ebenso wie der Arzt. Zudem besteht das Potenzial, die ambulante und stationäre Versorgung besser zu verzahnen und zu verbinden.

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PD Dr. Dominik Pförringer fungiert als Advisor in den Bereichen Venture Capital und Private Equity sowie in der Erarbeitung digitaler Strategien im Gesundheitswesen.

Welche technologischen Fortschritte werden die größten Auswirkungen auf das Gesundheitssystem haben?
Die Digitalisierung ist generell kein Prozess mit einem definierten Anfang, geschweige denn einem Ende. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens hat nicht erst gestern begonnen, sie ist in vollem Gange und das seit Jahren, nur in einem relativ heterogenen Ausmaß.

Technisch basierte Fachrichtungen wie die Radiologie sind historisch bereits früher digital gestaltet worden. Davon können andere Disziplinen lernen. Wenn wir beispielsweise Bild- und Spracherkennung sinnvoll einsetzen, bleibt wieder mehr Zeit für die Medizin.  Die größten Auswirkungen erwarte ich von der Datenanalyse, dem Datenaustausch und der damit verbundenen Prozessoptimierung. Das Radiologie Startup Smart Reporting beschäftigt sich mit strukturierter Befundung von Bildern und stellt ein gutes Beispiel für den zielführenden Einsatz digitaler Innovation im klinischen Alltag dar.

Kann Technologie die Qualität und Leistungsfähigkeit von medizinischem Personal und dem Gesundheitswesen verbessern?

Definitiv kann und wird sie das, und zwar in zweierlei Hinsicht: physisch und kognitiv. Man nehme als Beispiel ein Exoskelett, das die Krankenschwester dabei unterstützt, den Patienten zu heben. Oder auch intelligente Schwesternrufsysteme wie beispielsweise die des Startups Cliniserve, die helfen, Wege zu sparen und somit die Effizienz der Behandlung zu steigern. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Sichtung von Befunden kann die Präzision und damit die Behandlungsqualität steigern. Caspar Health, ein Startup, das digital basierte Rehabilitationsmaßnahmen anbietet, ermöglicht die kontinuierliche Beübung und Rehabilitation vor und nach dem stationären Aufenthalt des Patienten. Durch das spezifische Better-in-Better-Out Programm können Behandlungsabläufe gestrafft und bessere Ergebnisse erzielt werden.

Kann das medizinische Personal mit der technologischen Innovationswelle Schritt halten?
Das Verhalten der Menschen ähnelt wie so oft einer Gauss’schen Verteilungskurve. Ein großes Mittelfeld kommt gut zurecht, die beiden Long Tails sind zum einen die technikaffinen Online-Fans, zum anderen die völlig nicht digital Agierenden. Es gilt nun, alle Menschen zu integrieren und ihnen den Einsatz moderner Technologien zu vereinfachen, also die sogenannten „barriers to entry“ systematisch abzusenken.

Professor Harald Schmidt prophezeit das Ende der Medizin, wie wir sie kennen. Er begründet dies unter anderem auch mit dem technologischen Fortschritt. Sehen Sie das auch so?
Wie definieren wir das Ende der Medizin, wie wir sie kennen? Die Interaktion zwischen Menschen, also zwischen Arzt und Patient, stellt seit jeher das Fundament der Medizin dar und das wird so bleiben. Der Mensch braucht den Menschen, um gesund zu werden. Die Technologie hilft beiden Partnern. Sie stellt keine Bedrohung, sondern eine Brücke, eine Chance dar. Die Digitalisierung wird den Arzt unterstützen und ergänzen, jedoch niemals ersetzen.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie wird die Medizin zukünftig aussehen?
Als Optimist zeichne ich ein positives Bild der Medizin von morgen. Ärzte und Pfleger werden von repetitiven, hirnfreien Aufgaben durch Maschinen und Technologie entlastet. Der Zeitaufwand für Bürokratie nimmt nach Jahrzehnten des kontinuierlichen Wachstums endlich wieder ab. Behandlungsabläufe können optimiert und beschleunigt werden. Nehmen wir das Beispiel der Rezeptierung in Analogie zu Flugreisen. Ein verschwindend geringer Anteil an Menschen reist heute mit einem Papierticket, davon können wir als Mediziner lernen. Ich freue mich auf eine Welt, in der ich das Rezept digital ausstellen, dem Patienten übermitteln und dieser damit einen Bestellvorgang in seiner Apotheke auslösen kann.

Am Ende sind es, wie immer, wir Ärzte, die die Richtung definieren dürfen, aber auch müssen. Was heißt das? Es ist unsere Aufgabe, uns frühzeitig mit Innovation zu befassen, die Chancen zu begreifen, die Risiken zu verstehen und zu minimieren sowie uns an den Hippokratischen Eid zu erinnern: Das Beste im Interesse des Patienten und seiner Heilung zu tun. Dabei wird uns die Digitalisierung behilflich sein.

Profil:
Priv.-Doz. Dr. med. habil. Dominik Pförringer studierte Medizin in Regensburg und promovierte in München, wo er auch seine chirurgische Facharztausbildung begann. Der heutige Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie absolvierte 2009 das full-time MBA Programm am INSEAD in Fontainebleau und Singapur. 2010 begann Pförringer für Bain & Company in deren Healthcare Practice als Unternehmensberater zu arbeiten. Seit 2013 ist Dr. Pförringer als Unfallchirurg und DRG-Beauftragter am Münchner Universitätsklinikum “Rechts der Isar” tätig und fungiert als Advisor in den Bereichen Venture Capital und Private Equity sowie in der Erarbeitung digitaler Strategien im Gesundheitswesen. Dr. Pförringer ist Co-Vorsitzender der AG Digitalisierung der DGOU (Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie).

21.02.2019

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