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Mechanische Thrombektomie: Die Grenzen werden ausgelotet
Der große Durchbruch in der Behandlung von Schlaganfällen liegt mittlerweile fast fünf Jahre zurück: Im ersten Halbjahr 2015 wurden fünf prospektiv randomisierte Studien publiziert, die eine Überlegenheit der mechanischen Thrombektomie beim Verschluss eines großen hirnversorgenden Gefäßes im Vergleich zur damaligen Standardtherapie, der IV-Thrombolyse, belegten. Seither hat sich einiges auf diesem Gebiet getan: Zum einen musste die flächendeckende Versorgung in speziellen Zentren rund um die Uhr sichergestellt werden, zum anderen wurde die Methode selbst weiter verbessert, etwa durch die Kombination von Stent-Retriever und Aspiration. Zudem wurde eine Reihe weiterer wissenschaftlicher Studien veröffentlicht, die zeigten, dass die Methode bei weit mehr Patienten angewandt werden kann, als dies in den ersten Studien gehandhabt wurde. „In diesen Untersuchungen wurden die Grenzen der mechanischen Thrombektomie ausgelotet“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Hannes Deutschmann, Leiter der Klinischen Abteilung für Neuroradiologie, vaskuläre und interventionelle Radiologie der Universitätsklinik für Radiologie an der Medizinischen Universität Graz.
Der in seinen Augen wichtigste Fortschritt dabei ist die Ausweitung des Zeitfensters. Die ursprünglichen Studien zeigten, dass Patienten sechs bis acht Stunden nach Symptombeginn von der mechanischen Thrombektomie profitieren, während die IV-Lyse nur bis zu viereinhalb Stunden nach dem Gefäßverschluss etabliert ist. Mittlerweile haben zwei weitere Studien gezeigt, dass unter bestimmten Bedingungen eine mechanische Thrombektomie noch deutlich später durchgeführt werden kann und dem Patienten einen Benefit bringt: bis zu 16 Stunden laut der DEFUSE 3-Studie, bis zu 24 Stunden laut der DAWN-Studie. „Trotz dieses erweiterten Zeitfensters hat die goldene Regel ,time is brain‘ nach wie vor ihre Gültigkeit“, betont Deutschmann. Schlaganfallpatienten müssten also nach wie vor so rasch wie möglich einer Behandlung zugeführt werden. Man könne nun aber auch jene Patienten behandeln, die es aus unterschiedlichen Gründen nicht innerhalb des Sechs-Stunden-Fensters ins Krankenhaus geschafft haben.
Ausweitung des Sechs-Stunden-Fensters
„Wichtig dabei ist, dass eine erweiterte Bildgebung mittels MRT oder CT durchgeführt wird“, unterstreicht Deutschmann. Das heißt, dass das Ausmaß des bereits bestehenden Infarkts – der Infarktkern – und entsprechend DEFUSE 3 auch das noch rettbare Hirngewebe – die Penumbra – dargestellt werden müssen. Sowohl in der DAWN-, als auch in der DEFUSE 3-Studie zeigte sich, dass Patienten mit einem deutlichen Missverhältnis zwischen Infarktkern und klinischer Symptomatik bzw. zwischen Infarktkern und rettbarem Gewebe auch noch außerhalb des Sechs-Stunden-Fensters von einer mechanischen Thrombektomie profitieren.
Auch in anderer Hinsicht wurde der Kreis der Patienten erweitert: In die ursprünglichen Studien waren nur Patienten eingeschlossen, die eine sehr schwere Symptomatik aufwiesen (NIHSS-Score >6). Dennoch gab es immer wieder Patienten, die zwar einen großen Gefäßverschluss, aber zunächst eine nur milde Symptomatik hatten, weil das betroffene Hirnareal weiterhin durch Kollateralen versorgt wurde. Bei diesen Patienten kam es dann oft Stunden später zu schweren Symptomen, wenn die Kollateralzirkulation schließlich doch noch zusammenbrach. „Daraufhin wurde damit begonnen, jeden großen Gefäßverschluss, auch wenn nur eine milde Klinik vorliegt, mechanisch zu thrombektomieren“, berichtet Deutschmann. Diese Vorgehensweise wurde mittlerweile in mehreren Studien und einer darauf basierenden Metaanalyse bestätigt.
Auch was die Behandlung von Patienten betrifft, bei denen der Gefäßverschluss nicht im vorderen, sondern im hinteren Kreislauf auftritt, werden derzeit die Grenzen neu ausgelotet. „Für die mechanische Thrombektomie im hinteren Kreislauf gibt es noch keine Evidenz aus randomisierten Studien“, erklärt Deutschmann. Vom laufenden BASICS-Trial liegen noch keine publizierten Ergebnisse vor, eine chinesische Studie wurde vorzeitig abgebrochen. Der Grund: de facto wird bei den meisten Patienten mit einem Gefäßverschluss im hinteren Kreislauf eine mechanische Thrombektomie durchgeführt. „Diese Verschlüsse haben eine sehr schlechte Prognose, die Mortalität liegt teilweise über 50 Prozent. Wenn es unter diesen Umständen eine Methode gibt, mit der effektiv rekanalisiert werden kann, dann wird das einfach gemacht“, sagt der Grazer Radiologe. Die Leitlinien jedenfalls besagen, dass Patienten mit akutem Basilarisverschluss mit einer mechanischen Thrombektomie behandelt werden sollten, wenn keine Kontraindikationen vorliegen.
Blutdruck darf nicht zu stark abfallen
Das Ergebnis einer ganz aktuellen Studie, an der das Team von Deutschmann beteiligt war, besagt, dass ein Blutdruckabfall während der mechanischen Thrombektomie mit einem schlechten funktionellen Outcome assoziiert ist. Der Hintergrund: Ob die Patienten während einer mechanischen Thrombektomie eine Allgemeinnarkose oder lediglich eine Analgosedierung erhalten sollen, wird kontrovers diskutiert. Es stand der Verdacht im Raum, dass Patienten mit Allgemeinnarkose schlechter abschneiden als Patienten, die nur sediert werden. „Wir haben uns gedacht: Vielleicht hängt es nicht von der Narkose an sich ab, sondern vom Abfall des Blutdrucks, der damit oft verbunden ist“, erzählt Deutschmann. Tatsächlich zeigte sich in der untersuchten Patientenkohorte, bei der der Blutdruck während der Thrombektomie durchgehend überwacht wurde, dass ein Abfall des mittleren arteriellen Blutdruckes unter 60 mm Hg während der Thrombektomie mit einem schlechteren klinischen Zustand nach drei Monaten assoziiert war. „Man sollte unbedingt auf diesen Parameter achten und Vorsorge tragen, dass der Blutdruck während der Thrombektomie nicht zu stark abfällt“, betont Deutschmann abschließend.
Profil:
Univ.-Prof. Dr. Hannes Deutschmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Vaskuläre und Interventionelle Radiologie sowie stellvertretender Vorstand der Universitätsklinik für Radiologie an der Medizinischen Universität Graz. Der Neuroradiologe und interventionelle Radiologie, der sein Studium und seine Facharztprüfung in seiner Geburtsstadt Graz absolvierte, ist amtierender Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neuroradiologie (ÖGNR) und Vizepräsident der Österreichischen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie (ÖGIR). Seine klinischen Schwerpunkte sind interventionelle Neuroradiologie und interventionelle Radiologie, seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Diagnostik und endovaskuläre Behandlung von akuten Schlaganfällen sowie die endovaskuläre Behandlung von zerebralen Aneurysmen und Stenosen.
Veranstaltungshinweis:
Samstag, 28. September 2019, 12:30-12:45 Uhr
Raum: Rosenheim
Session: Symposium 15 – FFF Schlaganfall (Modul E)
Aktuelle Studienlage zur mechanischen Thrombektomie mit besonderer Berücksichtigung des späten Zeitfensters
Prof. Dr. Hannes Deutschmann (Graz)
27.09.2019