Artikel • Garmisch Symposium International 2022

Radiologie zwischen Tradition und Wandel

Alles bleibt anders. Auch 2022 wird das Garmisch-Symposium pandemiebedingt leider nur virtuell stattfinden können. Dennoch haben sich die Organisatoren viel vorgenommen, um die Veranstaltung so lebendig und diskussionsfreudig wie eh und je zu gestalten.

Bildquelle: Shutterstock/SvedOliver

Im Fernsehstudio werden neben dem bewährten Gastgeber-Duo Prof. Dr. Clemens Cyran und Prof. Dr. Max Seidensticker diesmal auch die Moderatoren der Sessions live vor Ort sein. Die physische und die digitale Welt rücken dadurch näher zusammen, sodass mehr Raum für eine natürliche Kommunikation entsteht. 

Auch sonst geht Garmisch mit der Zeit. Schließlich steht der Kongress bereits seit über 20 Jahren für Innovation und Fortschritt in der Radiologie und bildet auf diesem Gebiet die neuesten Entwicklungen in Wissenschaft und Praxis ab. Diesem Fahrplan folgend, startet die aktuelle Edition mit modernisiertem Konzept und Namen durch: aus dem im jährlichen Wechsel stattfindenden CT-/MR-Symposium Garmisch wird das Garmisch Symposium International. Von jetzt an finden also beide Bildgebungsmodalitäten und die gesamte klinische Radiologie gemeinsam im Fortbildungsprogramm ihren Platz.

portrait of jens ricke
Prof. Dr. Jens Ricke

Bildquelle: LMU München

Was genau hinter dieser Entscheidung steckt, kann wohl niemand besser erläutern als Tagungspräsident Prof. Dr. Jens Ricke, Direktor der Klinik und Poliklinik für Radiologie am Klinikum der Universität München: „Die Neuausrichtung des Symposiums ist unsere Antwort darauf, dass sich der Fokus der Radiologie zunehmend von der Technik zurück zum Menschen verschiebt. Die entscheidende Frage, die uns im Kern umtreibt, lautet eben nicht: Braucht der Patient ein MR oder ein CT? Sondern: Welche Behandlung ist die richtige für ihn? Der Weg hin zu dieser Antwort führt über die integrative Diagnostik, also über Informationen aus unterschiedlichen Datenquellen, die zusammengenommen die klinische Lösung eines Gesundheitsproblems ergeben.

Die Therapie ist das Ziel

Je komplexer die Technologie über die letzten Jahrzehnte wurde, desto mehr haben wir Radiologen möglicherweise aus den Augen verloren, was wir eigentlich sind und im Grunde schon immer waren: klinisch denkende und klinisch handelnde Ärzte. Ein wirklich guter Radiologe ist fachklinisch auf Augenhöhe mit dem Arzt, dem er zuarbeitet. Soll heißen, wer beispielsweise mit einer orthopädischen Klinik oder Niederlassung zusammenarbeitet, tut gut daran, sich in der Technik muskuloskelettaler Bildgebung genauso gut auszukennen wie in der Diagnostik und Therapie von Störungen des Bewegungsapparates. Nur wenn wir uns in die klinischen Zusammenhänge hineindenken und nicht technikverliebt agieren, können wir den Zuweisern den entscheidenden Hinweis geben, den sie brauchen, um jedem Patienten die optimale Therapie zukommen zu lassen. 

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Diese gezielte Therapiesteuerung setzt voraus, dass die Grenzen zwischen den apparativen Untersuchungsmethoden genauso aufgebrochen werden wie Kommunikationshürden zu den anderen Fachdisziplinen. Im Rahmen unserer praktischen und theoretischen Weiterbildung müssen wir Radiologen uns deshalb darauf konzentrieren, uns in bestimmte klinische Teilgebiete intensiv einzuarbeiten und unser Wissen zu vertiefen, wie es etwa der Onkologe, Kardiologe oder Pneumologe tut. Die Organisation einer modernen radiologischen Einrichtung sähe dann nicht länger vor, am CT, MRT oder im konventionellen Röntgen zu arbeiten, sondern in einem fachklinisch orientierten Team, das sich beispielsweise auf Tumoren, Herz oder Lunge spezialisiert hat. Dennoch geht es nicht zwingend um organzentriertes, sondern im Kern um zuweiserorientiertes Arbeiten.

Vom Könner zum Spezialisten

Im Augenblick pendelt sich die Erwartungshaltung gegenüber Künstlicher Intelligenz auf ein realistisches Maß ein und das ist gut so

Letzteres bedeutet, dass wir nicht die ganzheitliche Radiologie aus den Augen verlieren dürfen. Es wäre weder praktikabel noch sinnvoll, wenn wir nicht mehr in der Lage wären, das große Ganze zu sehen und eine komplette Befundung zu leisten. Das Ziel ist, Generalist zu bleiben und trotzdem Spezialist in wenigen Fachgebieten zu sein. Niemand wird heute ohne Fokussierung herausragend in einem klinischen Fachgebiet werden. Gerade in den Schlüsselpositionen unserer Kliniken und Praxen brauchen wir brillante und spezialisierte Köpfe. Das gilt im Übrigen nicht nur für Ärzte, sondern auch für MTRA. 

Obwohl die Automatisierung von Prozessen weiter voranschreitet, sind wir weit entfernt von einer Arbeitswelt, in der die Maschinen das Denken für uns übernehmen. Für den überwältigenden Teil der Untersuchungen und Diagnosen, die uns an den drei Tagen unserer Fachtagung beschäftigen werden, gibt es aktuell und auch in absehbarer Zukunft keine Software, die sich komplett selbst steuert, überwacht und im Anschluss eine Therapieempfehlung ausspuckt. Natürlich wird uns das Thema Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen zunehmend bestimmen. Nach der anfänglichen Euphorie – und beim ein oder anderen vielleicht auch Skepsis – folgt jetzt die Ernüchterung darüber, dass sich vieles im Zusammenhang mit KI-Anwendungen doch komplizierter gestaltet als zunächst gedacht. Im Augenblick pendelt sich die Erwartungshaltung auf ein realistisches Maß ein und das ist gut so.

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Neue Arbeitswelten

Ich glaube zutiefst daran, dass künftige KI ein nutzbringendes Werkzeug sein wird, das uns ein effizienteres und sichereres Arbeiten ermöglichen wird. Dabei wird auf lange Sicht die Kombination aus Arzt und Algorithmus die bessere Alternative sein als der Radiologe oder der Algorithmus für sich allein. Der Mensch bleibt an vielen Stellen unentbehrlich. Sei es die freundliche Assistenzkraft, die den Patienten auf die Untersuchung vorbereitet, und ihm so die Nervosität nimmt; sei es die MTRA, die irgendwo abends in einem Reihenhaus in Schwaben sitzt und einen MR-Scanner in München steuert und überwacht, während die Kinder bereits ins Bett gebracht sind; oder sei es eben der Radiologe, der aufgrund seines Wissens und seiner Erfahrung die richtigen Schlüsse im Sinne dessen zieht, was der Patient braucht und sich wünscht. Zudem wird es auf lange Zeit eine gewaltige Herausforderung für digitale Infrastrukturen bleiben, die Fülle unterschiedlicher Datenquellen – nicht nur einer Patientenhistorie! – maschinenlesbar mit dem Schatz an klinischer und emotionaler Erfahrung zu verbinden, auf die der Mensch täglich bei der Entscheidungsfindung zurückgreift.  Es bleibt also für Radiologen und MTRA viel zu tun, wenn wir die klinische und unsere emotionale Expertise als Erfolgsfaktor erkennen! 

Das Garmisch Symposium International bietet eine hervorragende Gelegenheit, um von erstklassigen Experten zu lernen und so selbst einer zu werden. Unser wissenschaftliches Programm bietet ein vielfältiges Angebot an Vorträgen zu den verschiedensten spannenden Teilgebieten. Wir freuen uns, wenn Sie durch Ihre Teilnahme die vor uns liegende chancenreiche Zukunft aktiv mitgestalten! Packen wir es an!“

20.01.2022

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