Quelle: Siemens Healthineers
Interview • Digitalisierung im Gesundheitswesen
Plattformlösung mit Teamgeist
Anfang des Jahres hat Siemens Healthineers in Zusammenarbeit mit IBM eine digitale Plattformlösung gestartet, die klinische Prozesse vereinfachen, vereinheitlichen und beschleunigen soll. Thilo Mahr, verantwortlich für Market Access Digital Health Services bei Siemens Healthineers, erklärt im Interview, wie die Lösung mit dem Namen Teamplay Digital Platform Connect funktioniert, wer besonders von ihr profitiert und welche Rolle offene Standards dabei spielen.
Interview: Daniela Zimmermann
Mahr: „Unsere Plattform vernetzt Akteure des Gesundheitswesens miteinander. Dazu gehören neben den Kliniken auch Leistungserbringer des sogenannten zweiten Gesundheitsmarktes, regionale Gesundheitsnetzwerke sowie der ambulante Sektor. Bei einem derart weiten Umfang muss auch das Angebot eine große Bandbreite abdecken: Zu den Systemen zählen neben zentraler Software wie KIS, RIS und LIS/LAB auch das zentrale Datenarchiv der Klinik. Letztendlich hängt die Wahl der Systeme stark von der bestehenden IT-Infrastruktur des Kunden ab.
Wir wollen mit dieser Plattform eine sehr hohe Reichweite erzielen, nicht für Privatanwender, sondern explizit für Mediziner und alle, die professionell im Gesundheitswesen tätig sind. Aktuell läuft die Anbindung der ersten Krankenhäuser an das System. Das Angebot funktioniert nach dem ‚Pay-per-use‘-Prinzip: Um an die Plattform angebunden zu werden, muss ein Nutzer – etwa ein Krankenhaus – eine einmalige Gebühr an Siemens Healthineers bezahlen. Die Nutzung der Dienste wird anschließend in Transaktionspaketen abgerechnet.“
Worin besteht der Vorteil – sowohl für die Endnutzer, aber auch für die Firmen, ihre Inhalte über diese Plattform auszuspielen?
„Der wichtigste Punkt ist die einfachere Kommunikation zwischen den Anbietern und denen, die ihre Dienste nutzen wollen. Der Integrationsaufwand verringert sich, weil alles auf einer Plattform stattfindet. Das wird etwa im Rahmen des neuen Krankenhauszukunftsgesetzes (KHZG) eine wichtige Rolle spielen, denn zur Erfüllung der Fördertatbestände müssen Kliniken auf eine ganze Reihe neuer Softwarelösungen zurückgreifen. Wenn jedes dieser Produkte einzeln in die Krankenhaus-IT eingebunden werden müsste, wäre das ein erheblicher Aufwand, der mit der Plattform reduziert wird. Und natürlich profitieren die Drittanbieter von der zusätzlichen Reichweite, die eine solche Plattform bietet.
Perspektivisch wollen wir zudem Daten, die von einem der teilnehmenden digitalen Dienste erfasst werden, auch anderen Partnern auf der Plattform zur Verfügung stellen. Dafür ist selbstverständlich die vorherige Zustimmung des Patienten ebenso Voraussetzung wie die Einhaltung der Datenschutzgesetze. Doch kann so ein Ökosystem entstehen, in dem Daten nicht jedes Mal von neuem erfasst werden müssen. Mit der Markteinführung der Plattform sind bereits die ersten Dienste von Drittanbietern verfügbar, weitere werden nach und nach folgen. Wir sind überzeugt, dass der Mehrwert umso größer wird, je mehr Dienste sich an der Plattform beteiligen.
Quelle: Siemens Healthineers
Mit einer App für Mobilgeräte kann beispielsweise das Onboarding, also die prästationäre Aufnahme von Patienten begleitet werden. Damit erhält der Patient relevante Informationen für seinen bevorstehenden Klinikaufenthalt und kann sich entsprechend vorbereiten. Auch bei der Aufnahme selbst und allen folgenden Prozessen bis hin zum Entlassmanagement werden die Prozesse deutlich vereinfacht. Dabei kommen beispielsweise in die Plattform eingebundene Partnerlösungen wie die Patient Journey App und Recare zum Einsatz.“
Können auf der Plattform relevante Datensätze eines Patienten zusammengeführt werden? Beispiele wären radiologische und Labordaten, Arztbefunde oder Therapieempfehlungen.
„Ja! Dafür werden wir Dienste von Drittanbietern oder eigene Lösungen bereitstellen. Darin liegt der Nutzen dieser Plattform: Wir stellen Daten, die an einer Stelle generiert werden, an anderer Stelle zur Verfügung und reduzieren den Aufwand bei der Integration und vor allem bei der Nutzung. Auch mit der Telematik-Infrastruktur der elektronischen Patientenakte (ePA) ist die Plattform voll kompatibel. Technologisch haben wir das bereits bei der Umsetzung des ePA-Pendants in Österreich und der Schweiz erprobt und sind damit erfolgreich gewesen, auch was die Skalierbarkeit angeht.“
Damit ist die Plattform wie ein digitaler Marktplatz, auf dem es Kommunikation und Datenaustausch unter einer gemeinsamen Struktur gibt, richtig?
„Das ist die Idee dahinter. Und deshalb ist ein zentrales Element der Plattform die konsequente Nutzung internationaler, offener Standards, ohne proprietäre Lösungen. Hier hat bei Siemens Healthineers ein Umdenken stattgefunden, denn wir haben in der Vergangenheit durchaus auch auf den Einsatz selbst entwickelter, proprietärer Schnittstellen gesetzt – aber diese Zeiten sind vorbei. Das bringt einige Vorteile mit sich, unter anderem eine schnellere Anbindung an die Plattform – sowohl von Kunden als auch von Anbietern der sogenannten Mehrwertdienste.
Wir stellen die Straße bereit, über die Kunden und Anbieter zueinander finden
Thilo Mahr
Ein wichtiger Aspekt dieses Marktplatzes ist: Zur Nutzung der Dienste wird ein Vertrag zwischen dem Kunden und dem Anbieter abgeschlossen, denn Siemens Healthineers als Betreiber der Plattform kann bei den Inhalten weder Funktionalität noch rechtliche Verantwortung gewährleisten. Da es hier manchmal auch um Medizinprodukte geht, ist eine Kontrolle von unserer Seite nicht durchführbar. In anderen Worten: Wir stellen die Straße bereit, über die Kunden und Anbieter zueinander finden.“
Über welche Standards reden wir dabei? Und wie wird die Kompatibilität sichergestellt?
„Alle im Klinikumfeld etablierten Standards werden unterstützt: IHE, FHIR, HL7, um nur einige zu nennen. Bislang sah die Praxis oft so aus, dass Kliniken sich zwar zunächst an diesen Standards orientieren, diese aber irgendwann mit großem Aufwand an ihre jeweiligen Bedürfnisse anpassen. Damit ist das System zwar exakt zugeschnitten, aber im Zweifelsfall nicht mehr mit anderen kompatibel. Genau das wollen wir vermeiden. Deshalb verfolgen wir mit unserer Plattform auch nur den Anspruch, rund 80% der Bedürfnisse zu erfüllen. Die Anbindung eines Kunden beschleunigt sich damit und kann innerhalb eines Monats erfolgen.
Um dieses Prinzip konsequent umzusetzen, wollen wir sicherstellen, dass unsere Lösung auch mit Plattformen anderer Anbieter kompatibel ist, die Systeme untereinander also in einer gemeinsamen Sprache kommunizieren. Das ist letztendlich im Sinne der Nutzer, die sich damit frei entscheiden können, welche Lösung am besten zu ihnen passt.“
Vielen Dank für das Gespräch.
Profil:
Thilo Mahr ist für Business Development und Market Access Digital Health Services - mit dem Fokus auf Deutschland - bei Siemens Healthineers verantwortlich. In dieser Rolle begleitet er aktuell die Etablierung einer bundesweiten Plattformlösung. Zuvor hatte er unterschiedliche Führungsfunktionen im Unternehmen inne, unter anderem die Geschäftsverantwortung für das Digital Health und Enterprise Services Geschäft in Deutschland und der Schweiz. Thilo Mahr hat einen betriebswirtschaftlichen Background mit dem Schwerpunkt Gesundheitsökonomie.
06.07.2021
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