Interview • Highlights des Dreiländertreffens

„Neurorehabilitation hat eine multiprofessionelle DNA“

„Unter einem D-A-CH: Evidenz, Praxis und Innovation“ ist das diesjährige Motto der gemeinsamen Jahrestagung der DGNR, OeGNR und SGNR vom 4.-6. Dezember in Freiburg.

Portraitfoto von Prof. Thomas Platz
Prof. Dr. Thomas Platz, Greifswald, Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation e. V. (DGNR)

Bildquelle: DGNR

Was sind die Topthemen beim Dreiländertreffen? Wie läuft der Erfahrungsaustausch der an der Neurorehabilitation beteiligten Berufsgruppen in der stationären und der ambulanten Versorgung? Prof. Dr. Thomas Platz, Greifswald, Kongresspräsident der Deutschen Gesellschaft für Neurorehabilitation e. V. (DGNR), gibt Einblicke in Schwerpunkte und Highlights des Kongresses.

„Evidenz, Praxis und Innovation“ sind Schwerpunkte für den medizinischen Wissensaustausch beim Dreiländertreffen. Was ist aktuell in der Diskussion?

Prof. Platz: „Wichtige Ansatzpunkte für eine spannende Diskussion liegen in der Vielfalt von aktuellen Forschungsergebnissen, die in ihrer Gesamtheit sehr viel Potenzial bieten. Da gibt es einerseits das Wissen aus der aktuellen klinischen Forschung, das betrifft auch Rehabilitationstechnologie, ferner Informationen aus der Versorgungsforschung. All das dient dazu, die Praxis in der Neurorehabilitation neu in den Blick zu nehmen und Chancen für eine Weiterentwicklung der Versorgung zu identifizieren. Das Wissen allein aber reicht nicht, es bedarf der Umsetzung. Und auch das wird diskutiert: Wie schaffen wir es, Wissen in die Praxis zu bringen, wie kann Implementierung gelingen?“ 

Welche Chancen sehen Sie im berufsgruppenübergreifenden Austausch?

„Neurorehabilitation hat eine multiprofessionelle DNA. Das Gehirn ist so komplex, dass eine Profession allein die rehabilitative Betreuung nicht abbilden kann. Nur im multiprofessionellen Team mit seinen verschiedenen Professionen kann ein Optimum an Förderung für Personen mit neurologischen Erkrankungen erreicht werden. Der Berufsgruppen-übergreifende Austausch findet in vielfältiger Weise auf dem Kongress statt. Wir haben Symposien, die die Zusammenarbeit direkt thematisieren und wir haben wissenschaftliche Symposien, die primär von den therapeutischen Berufsgruppen gestaltet werden. Wir haben in unseren Sitzungen eingeladen Referenten wie auch junge Wissenschaftler der verschiedenen Professionen, die neue Ergebnisse vorstellen. Wir haben in unseren Fortbildungsmodulen sowohl die Theorievermittlung als auch Praxismodule, die berufsgruppenübergreifend den Übertrag in die Praxis unterstützen sollen.“ 

Wie ist die Neurorehabilitation im Vergleich in der Versorgung aufgestellt?

„Sicherlich haben wir in Deutschland – und das trifft auch für Österreich und die Schweiz zu – im weltweiten Vergleich eine sehr gute Aufstellung in der medizinischen Versorgung. In Deutschland zum Beispiel haben wir die neurologische Frührehabilitation inklusive Beatmungsentwöhnungzentren, die neurologische Anschlussrehabilitation und auch eine ambulante Versorgung. In all diesen Bereichen gibt es aber auch ständige Veränderungen der Rahmenbedingungen und immer wieder die berechtigte Sorge: wie kann die Neurorehabilitation zukunftssicher in das Versorgungssystem integriert werden? Ich denke etwa an die Krankenhausreform und ihre Auswirkungen, an die anders und spezifisch in die Gesundheitsversorgung eingebettete Rehabilitation außerhalb des Krankenhaussektors. Ich denke an die ambulante Versorgung, wo eine multiprofessionelle, Team-basierte Therapie im Großen und Ganzen leider noch nicht umgesetzt ist. So ergeben sich auch hier Chancen und Risiken, die auch beim Kongress mit thematisiert werden.“

Was sind Herausforderungen für die Neurorehabilitation in den nächsten Jahren?

„Neurologische Erkrankungen, dazu zählen der Schlaganfall insbesondere, aber auch neurodegenerative Erkrankung wie die Parkinson-Erkrankung oder Demenzen, wie auch Schädel-Hirn-Traumata und Multiple Sklerose sind führende Ursachen für Alltagsbehinderungen weltweit und so auch bei uns. Mit den demographischen Veränderungen wird die Anzahl der Personen in unserer Gesellschaft, die von neurologisch bedingter Behinderung betroffen sind, deutlich zunehmen. Neurorehabilitation ist die Form der Medizin, die die Aufgabe hat und erreichen kann, dass trotz einer neurologischen Erkrankung Alltagsbewältigung weiterhin selbstständig gelingt und Pflegebedarf vermieten werden kann. Sie wird also immer wichtiger. Die große Herausforderung wird sein: Wie können wir diese Form der medizinischen Behandlung zukunfts- und demografiesicher machen? Hierfür bedarf es der Gewinnung von Fachkräften und deren Ausbildung, des Einsatzes von Technologie, aber auch der politischen Rahmenbedingungen, um das Versorgungssystem entsprechend weiterzuentwickeln.“ 

Welche Bedeutung hat Künstliche Intelligenz (KI) für die Neurorehabilitation?

Künstliche Intelligenz ist noch nicht sehr im klinischen Alltag in der Neurorehabilitation angekommen, was sich aber in den nächsten Jahren massiv ändern wird

Thomas Platz

„Künstliche Intelligenz ist ein breites Feld möglicher Methoden. Die Möglichkeiten von KI entwickeln sich rasant und werden innerhalb weniger Jahre alle gesellschaftlichen Bereiche massiv beeinflussen und transformieren. Auf dem Kongress wird zum Beispiel künstliche Intelligenz beim Einsatz in der Sprachtherapie thematisiert. Ein anderer Vortrag wird über sehr moderne Forschung berichten, wie durch Hirnaktivität und vermittelt durch künstliche Intelligenz Exoskelette gesteuert und für Bewegungen genutzt werden können. Insgesamt kann man aber sagen, dass künstliche Intelligenz noch nicht sehr im klinischen Alltag in der Neurorehabilitation angekommen ist, was sich aber in den nächsten Jahren massiv ändern wird. Insofern ist es wichtig, diese Thematik in den Blick zu nehmen.“

Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren

Photo

News • Themenkanal

Blickpunkt: KI in der Medizin

Künstliche Intelligenz soll menschliche Denkprozesse nachbilden und die Arbeit fast aller medizinischer Teilgebiete erleichtern. Doch was geht im Inneren eines KI-Algorithmus vor, worauf basieren seine Entscheidungen? Kann man einer Maschine gar eine medizinische Diagnose anvertrauen?

Gibt es Kongress-Highlights, auf die Sie sich besonders freuen?

„Mir liegen alle Themen des Kongresses sehr am Herzen, alles, was ich bisher ausgeführt habe. Ich möchte aber weitere Aspekte ergänzen. Wir haben zum ersten Mal mit Moderation durch Ulrike Anna Oemisch, einer Expertin für partizipative Aktivitäten, zwei partizipative Symposium geplant, in denen wir mit einer „Zukunftswerkstatt Neurorehabilitation“ multiprofessionell und über die Landesgrenzen hinweg für den D-A-CH-Raum überlegen, wie ist die aktuelle Situation in der Neurorehabilitation? Wo sehen wir Entwicklungsbedarf für die nächsten Jahre und welche Aktivitäten werden uns helfen, diese Ziele im Sinne der Betroffenen zu erreichen? Das wird eine besondere Möglichkeit darstellen, die Erfahrungen und Kompetenzen der Teilnehmenden für die gemeinsame Entwicklung für die Zukunft zu nutzen. Ich freue mich auch, dass Themen, die den üblichen Rahmen wissenschaftlicher Betrachtung erweitern, in den Kongress integriert werden konnten. So etwa die Frage der Relevanz von Spiritualität für Neurorehabilitation. Mit Dr. Sebastian Winter haben wir einen Referenten der Weltgesundheitsorganisation, der über Brain Health und rehabilitationsspezifische Aktivitäten der WHO weltweit referieren wird. Wir haben mit Professor Derick Wade einen prominenten Experten aus England, der darüber spricht, was die Kernkompetenzen von in der Rehabilitation Tätigen sind und warum. Das werden sicherlich zusätzliche Highlights sein, die unseren Kongress bereichern. Entsprechend bin ich allen, ob jungen Wissenschaftlern, ob eingeladene Referenten, unseren engagierten und diskussionsfreudigen Teilnehmern, unserer Kongressorganisation wie auch der Industrie, die ihre neuen Produkte vorstellt, dankbar, dass bei der Tagung gemeinsam ein Austausch stattfinden kann, der uns hilft, die Zukunft der Neurorehabilitation weiter zu gestalten.“ 


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation 

02.12.2025

Verwandte Artikel

Photo

News • Neue Erkenntnisse zum Corpus callosum

Hirnforschung: Schon eine schmale Brücke reicht zur Kommunikation

Schon wenige Nervenfasern genügen, damit die beiden Hirnhälften miteinander kommunizieren können: Diese Erkenntnis liefert wichtige Impulse für die Rehabilitation nach Hirnverletzungen.

Photo

News • Forschung zu EEG-Neurofeedback

Schlaganfall-Reha: Roboter liest Hirnströme und macht Beine wieder beweglich

Forscher wollen einen Reha-Roboter mit EEG-Hirnströmen koppeln, um nach einem Schlaganfall die eingeschränkte Beweglichkeit der Beine wiederherzustellen.

Photo

News • Neue Erkenntnisse zu Erholungs-Mechanismen

Nach Schlaganfall: Wie holt sich das Gehirn die Sprache zurück?

Eine Studie zeigt, wie sich das Gehirn in den ersten Monaten nach einem Schlaganfall reorganisiert, um das Sprachvermögen wieder zu verbessern. Davon könnten auch künftige Therapien profitieren.

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren