Neue Hypothese zur Entstehung der Multiplen Sklerose

Eine heute publizierte Studie in der Fachzeitschrift Nature mit deutscher Beteiligung wirft neues Licht auf die genetischen Ursachen der chronischen Krankheit Multiple Sklerose. Die Patienten weisen einen veränderten TNF-Rezeptor-1 auf, der nun als Schlüsselprotein im Krankheitsgeschehen in Frage kommt. „Diese Rezeptorvariante ist spezifisch für MS-Patienten und darum Ansatzpunkt für die Entwicklung verbesserter Therapien“, erklärt Professor Ralf Gold, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und Direktor der Neurologischen Klinik an der Ruhr-Universität Bochum.

Uta Herbert  / pixelio.de
Uta Herbert / pixelio.de

Er ist mit seinem Team an dieser Studie beteiligt, die vom Immunologen Lars Fugger an der Universität Oxford initiiert wurde.

Rund 130 000 Menschen leben nach Schätzungen allein in Deutschland mit einer Multiplen Sklerose (MS), weltweit sind es 2,5 Millionen. Frauen sind zwei- bis dreimal häufiger betroffen als Männer. Die Erkrankung beginnt oft im jungen Erwachsenenalter, der Erkrankungsgipfel liegt zwischen dem 20. und dem 45. Lebensjahr. Die MS wird allgemein als Autoimmunerkrankung verstanden. Trotz intensiver Forschung in den vergangenen Jahren ist nur wenig über die Entstehungsmechanismen bekannt. Diskutiert werden Umweltfaktoren, vor allem virale Infektionen, ebenso wie der Vitamin-D-Spiegel im Blut und die Sonneneinstrahlung. Außerdem beeinflussen genetische Varianten das Krankheitsgeschehen.

Moderne Screening-Methode

So genannte Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) sind wichtig für das Verständnis der Krankheit und für die therapeutische Forschung. GWAS werden durchgeführt um Genvarianten, die Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP, single nucleotide polymorphism), nachzuweisen. Durch die aktuelle GWAS bei MS wurde ein neuer genetischer Zusammenhang entdeckt: Ein ganz bestimmter SNP, der zu einer TNF-Rezeptor-1-Variante führt, ist mit Multipler Sklerose assoziiert, jedoch nicht mit anderen Autoimmunerkrankungen wie Rheumatoide Arthritis, Psoriasis oder Morbus Crohn. Die Wissenschaftler entdeckten bei MS-Patienten einen Austausch in einem Gensegment des TNF-R1. Ihre Hypothese lautet nun: TNF-R1 wird dadurch löslich und bindet den im Gehirn aktiven Tumornekrosefaktor-Alpha (TNF-Alpha), der als eines der wichtigsten Zytokine lokale und systemisch Entzündungsreaktionen steuert. Dieses „Antagonisieren“ des TNF-Alpha könnte die Autoimmunreaktionen bei der MS-Erkrankung erklären.

DNS-Banken bestätigen die Ergebnisse

Befunde aus den DNS-Banken der MS-Patienten, die in der Neurologischen Klinik am St. Josef-Hospital der Ruhr-Universität Bochum behandelt wurden, zeigen identische Resultate und untermauern somit diese neuen Studiendaten.

„Im klinischen Alltag stellen wir fest, dass Medikamente, die TNF-Alpha antagonisieren, nur bei der Multiplen Sklerose, aber nicht bei anderen Autoimmunerkrankungen zu einer Verschlechterung des Krankheitsverlaufes führen“, berichtet Professor Gold. Dagegen ist diese Antagonisierung bei anderen autoimmunen Erkrankungen, wie starkes Rheuma, ein wesentlicher Stützpfeiler der Therapie. Diese Erkenntnisse zeigen, dass das Zytokin TNF möglicherweise ein sinnvoller Ansatzpunkt in der MS-Therapie ist. Die Ergebnisse weiterer GWAS könnten die Bedeutung von TNF zusätzlich hervorheben.

Literatur
Gregory AP et al.: Functional effect of a predisposing TNF receptor 1 common genetic variant mirrors outcome of anti-TNF therapy for multiple sclerosis. Nature 2012, published online July 8, 2012.
Fachlicher Kontakt
Prof. Dr. med. Ralf Gold
Direktor der Neurologischen Klinik an der Ruhr-Universität Bochum
Gudrunstraße 56, 44791 Bochum
Tel.: +49 (0) 23 45 09-2410
Fax.: +49 (0) 23 45 09-2414
E-Mail: Ralf.Gold@rub.de

 

16.07.2012

Mehr zu den Themen:
Mehr aktuelle Beiträge lesen

Verwandte Artikel

Photo

News • Sensoren, Stimulatoren, Stammzellen

Innovative Technologien für die Parkinson-Therapie vorgestellt

Symptom-Tracking per App, Neuroprothesen bei Gangstörungen, Stammzelltherapien: Auf dem DPG-Kongress werden vielversprechende Ansätze für die Parkinson-Krankheit vorgestellt.

Photo

News • Erhöhte Gefahr für Infektionen

Immunschwäche nach Schlaganfall und Herzinfarkt: Ursache entdeckt

Nach einem Schlaganfall oder Herzinfarkt steigt das Risiko für Infektionen – bislang war jedoch kaum bekannt, warum. Forscher fanden nun eine bisher unbekannte Ursache – und einen Therapieansatz.

Photo

News • Infektions-Diagnostik

Per KI der Ursache von Entzündungen auf der Spur

Ein Forschungsteam hat ein Verfahren entwickelt, das mithilfe von Blutproben und künstlicher Intelligenz erkennt, ob Infektionen durch Bakterien, Viren oder andere Faktoren verursacht werden.

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren