Artikel • Debatte zu Deep Learning
Nachhaltige KI in der Medizin: zwischen Datenriesen und Ethik-Paradoxa
Ausgefeilte medizinische KI-Modelle liefern mittlerweile beeindruckende Ergebnisse – allerdings häufig auf Kosten einer miserablen Umweltbilanz. Auf der Medica 2024 betrachteten Experten die ökologischen Auswirkungen von Deep-Learning-Algorithmen und schlugen einen nachhaltigeren Ansatz vor.
© 8machine_ – unsplash.com
Auf Deep Learning basierende KI-Modelle haben sich in kürzester Zeit ihren Weg in die Medizin gebahnt, wusste Univ.-Prof. Dr. Peter Boor zu berichten: Zwischen den ersten wissenschaftlichen Abhandlungen zur Technik bis zur Marktreife der ersten kommerziellen Produkte liegen nur wenige Jahre – für die Medizin ein geradezu schwindelerregendes Tempo, ordnete der Oberarzt am Institut für Pathologie und Lehrstuhlinhaber für Translationale Nephropathologie an der RWTH Aachen ein. Dabei zeigte sich schnell: Je mehr Datensets für die Algorithmen bereitstehen, desto bessere Ergebnisse liefert die KI ab. „Dabei hat zunächst niemand auf den Aspekt der Nachhaltigkeit geachtet“, so der Experte. Das ändert sich allmählich1, denn die Kehrseite der Medaille lautet: Je mehr Daten verarbeitet werden, desto größer auch der CO2-Fußabdruck einer KI. Der Knackpunkt ist dabei zum einen der hohe Energieverbrauch, zum anderen die Abwärme, die durch die enorme Rechenleistung erzeugt wird. In diesem Zusammenhang fällt auch der hohe Verbrauch von Kühlwasser ins Gewicht, um diese Abwärme zu kompensieren.
Gerade im Bereich der digitalen Pathologie, in dem Gewebeproben oft um ein Vielfaches höher aufgelöst sind als etwa radiologische Bilddaten2, ist die schlechte Umweltbilanz ein zunehmendes Problem.
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KI in der Pathologie: Experten warnen vor hohen CO₂-Emissionen
Eine neue Studie der Uniklinik RWTH Aachen zeigt, welche enormen ökologischen Konsequenzen die Nutzung von Deep Learning in der Pathologie haben kann.
Angesichts der enormen Vorteile, die Deep Learning für die Medizin mit sich bringt3, sei es keine Option, einfach auf die Technologie zu verzichten, erklärte Boor. Stattdessen müssten neue, effizientere Lösungen gefunden werden. Als Beispiel nannte der Experte spezialisierte Lernmodelle, die mit einem begrenzten Datensatz trainiert sind, um ihre Aufgabe effizient zu bewältigen. „Aktuell werben viele KI-Unternehmen mit der Größe ihrer Datensätze“, gab Boor zu bedenken. „Aber nur weil ein Modell größer ist, liefert es nicht automatisch bessere Ergebnisse.“
Denkbar wäre für ihn auch die Einführung eines Energielabels für KI-Modelle, wie es sie bereits für elektronische Geräte gibt. „Wir benötigen neue Metriken, um die Leistung und Nachhaltigkeit von Deep-Learning-Modellen sinnvoll abbilden zu können“, betonte Boor. Das Problem sei jedoch erstaunlich komplex: So könne etwa ein Cloud-Computing-Dienst eine sehr gute Energiebilanz aufweisen – etwa durch die Nutzung erneuerbarer Energiequellen – diesen Vorteil jedoch durch lange Transportwege der Daten wieder zunichtemachen.
Die ethische Perspektive
Die paradoxe Rolle des Gesundheitswesens für den Klimawandel beleuchtete anschließend Dr. Tijs Vandemeulebroucke. Denn einerseits werde die Medizin immer wichtiger, um die gesundheitlichen Folgen der globalen Erwärmung zu behandeln – etwa das erhöhte Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen4. Andererseits trage das Gesundheitswesen mit einem Anteil von 4,4% der globalen Treibhausgas-Emissionen selbst zur Umweltkrise bei.5
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Klimawandel & Gesundheit: Grün ist die Hoffnung
Auf der Medica sprachen Experten über die Ursachen und gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise, aber auch über Lösungen, mit denen Mediziner, Klinikleiter und die Industrie der globalen Erwärmung entgegenwirken können.
Wie der Vortrag von Prof. Boor deutlich machte, verschärft der zunehmende Einsatz von KI in der Medizin das Problem weiter. „Künstliche Intelligenz ist in den gleichen sozio-ökonomischen Strukturen verwurzelt, die auch die aktuelle Umweltkrise verursachen“, erklärte der Experte. Einerseits könne die Technologie viele Aspekte in der Gesundheitsversorgung zum Positiven verändern – zum Beispiel durch bessere Diagnostik oder weniger administrative Belastung für Mediziner. Andererseits bringe KI zugleich neue Probleme mit sich, etwa die Verstärkung menschlicher Fehlbewertungen (Bias), mangelnde Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse oder beim Datenschutz.
Mediziner sollten nicht nur die Gesundheit des aktuellen Patienten im Blick haben, wenn sie KI einsetzen – auch die Gesundheit jedes einzelnen Menschen auf der Welt wird durch die Technik beeinflusst
Tijs Vandemeulebroucke
Auch hinsichtlich der Nachhaltigkeit sei KI ein zweischneidiges Schwert, so Vandemeulebroucke: Die Algorithmen könnten den Energieverbrauch von Kliniken genauer aufschlüsseln und Therapien besser auf den jeweiligen Patienten zuschneiden und damit zu einer nachhaltigeren Versorgung beitragen. „Bei der Implementierung muss jedoch darauf geachtet werden, dass die KI selbst nachhaltig betrieben und die entstehende Belastung der Natur auf ein Minimum reduziert wird.“
Da die globale Erwärmung letztlich die Gesundheit aller Menschen gefährde, müsse beim Einsatz von KI in der Medizin auch diese Ebene mitgedacht werden, gab der Ethik-Experte abschließend zu bedenken: „Mediziner sollten nicht nur die Gesundheit des aktuellen Patienten im Blick haben, wenn sie KI einsetzen – auch die Gesundheit jedes einzelnen Menschen auf der Welt wird durch die Technik beeinflusst.“
Profile:
Univ.-Prof. Dr. Peter Boor ist Oberarzt am Institut für Pathologie und Lehrstuhlinhaber für Translationale Nephropathologie an der RWTH Aachen. Er leitet außerdem die Abteilung für digitale Pathologie und Elektronenmikroskopie. Seine Gruppe, das LaBooratory of Nephropathology, konzentriert sich auf digitale Pathologie und KI, diagnostische Biomarker, Nierenbildgebung und In-vivo-Modellierung von chronischen Nierenerkrankungen und Fibrose. Prof. Boor ist Autor zahlreicher Originalarbeiten, Rezensionen und Leitartikel zu diesen Themen.
Dr. Tijs Vandemeulebroucke ist Forscher am Sustainable AI Lab des Instituts für Wissenschaft und Ethik an der Universität Bonn. Zuvor war er am UC Leuven-Limburg und der KU Leuven in Belgien tätig. In seiner Forschung befasst er sich schwerpunktmäßig mit den ethischen Aspekten von Pflege, Technologien und deren Auswirkungen auf die Umwelt.
Literatur:
- Sadr AV et al.: Operational greenhouse-gas emissions of deep learning in digital pathology: a modelling study; Lancet Digital Health 2024
- Romero Lauro G et al.: Digital pathology consultations-a new era in digital imaging, challenges and practical applications; Journal of Digital Imaging 2013
- Bouteldja N et al.: Deep Learning-Based Segmentation and Quantification in Experimental Kidney Histopathology; Journal of the American Society of Nephrology 2021
- Fisher JT et al.: Cardiovascular responses to orthostasis during a simulated 3-day heatwave; Scientific Reports 2022
- Mol MPG et al.: Healthcare waste generation in hospitals per continent: a systematic review; Environmental Science and Pollution Research International 2022
05.12.2024