Artikel • Radiomics für MR
Mit Präzisionsmedizin und Big Data den Brustkrebs besiegen
Um Präzisionsmedizin bei der Brustkrebsbehandlung Realität werden zu lassen, bedarf es einer Vereinheitlichung und Quantifizierung der Daten. Nur so können aus diesen prognostische Informationen im großen Stil abgeleitet werden.
Bericht: Michael Krassnitzer
„Die Inzidenz von Brustkrebs steigt ständig an und wir haben noch keine Mittel, das zu verhindern“, erklärt Dr. Clemens Kaiser von der Medizinischen Fakultät Mannheim der Ruoprecht-Karls-Universität Heidelberg. Die einzige Möglichkeit, künftig mehr Patientinnen vor dem Tod zu bewahren, sieht der Radiologe nach der bestmöglichen Diagnostik in der Präzisionsmedizin: die richtige Therapie zum frühestmöglichen Zeitpunkt für die Patientinnen. Wie Präzisionsmedizin im Umgang mit Brustkrebs in die Realität umgesetzt werden könnte, erläuterte Kaiser in einem Vortrag auf dem Europäischen Radiologenkongress (ECR 2018) in Wien auf einem von Siemens Healthineers organisierten Satellitensymposium.
Ein starkes prognostisches Werkzeug
Der Schlüssel zur Präzisionsmedizin bei der Brustkrebsbehandlung ist in Kaisers Augen die MR-Mammographie. „Aus den Bildern der MR-Mammographie lassen sich sehr viele prognostische Informationen gewinnen“, bekräftigt der Mannheimer Radiologe. Studien haben belegt, dass es anhand von Daten aus der MR-Mammographie möglich ist, auf das Risiko der Metastasierung zu schließen. Andere Studien haben einen Zusammenhang zwischen MR-Mammographie-Daten und den Überlebenschancen hergestellt. „Die MR-Mammographie ist ein starkes nicht-invasives prognostisches Tool“, sagt Kaiser. Die innere Struktur oder der Rand des Tumors, Ödeme, das Hook-Sign (ein Tumorausläufer) oder Nekrosen – sie alle können prognostisch wichtige Informationen enthalten, die therapieentscheidend sein können.
Das Problem dabei: Es ist heute noch nicht möglich, all diese Faktoren automatisch zu quantifizieren und daraus Prognosen abzuleiten. „Dabei sind die Voraussetzungen vorhanden“, betont Kaiser: Die verfügbaren medizinischen Daten wachsen ins Unermessliche – Stichwort: Big Data. Hat es 1980 noch sieben Jahre gedauert, damit sich die Gesamtheit der medizinischen Daten verdoppelt, dauert dies heute nur noch ein Jahr und im Jahr 2020 werden es nach aktuellen Schätzungen nur noch 73 Tage sein. Auch die Leistungsfähigkeit der Computer hat die für solche Aufgaben notwendige Größe erreicht: ein modernes Mobiltelefon ist 32.000 Mal schneller als die besten Rechner zur Zeit der Mondlandungen.
Datenquantifizierung
Das wäre eine Möglichkeit, vergleichbare und valide Daten zu bekommen, aus denen sich dann via Radiomics prognostische Informationen gewinnen lassen
Clemens Kaiser
Die Lösung könnte „Radiomics“ lauten. Dieses Schlagwort bezeichnet eine Kombination von medizinischer Bildverarbeitung und radiologischer Grundlagenforschung, die sich mit der Analyse von quantitativen Bildmerkmalen in großen medizinischen Bilddatenbanken beschäftigt. Dem zugrunde liegt die Idee, auf Basis radiologischer Bilddaten statistische Aussagen über Gewebeeigenschaften, Diagnosen und Krankheitsverläufe machen zu können, die man sonst nur auf Basis von Genomik („genomics“) oder Proteomik („proteomics“) treffen könnte – genau das also, was Kaiser in Bezug auf MR-Mammographie vorschwebt: „Wir müssen möglichst viel prognostische Information aus den Bildern der MR-Mammographie herausquetschen.“
Doch auch das ist nicht so einfach wie es klingt. Noch stehen der automatischen Auswertung von Bilddatenbanken Hindernisse gegenüber. Ein ganz entscheidendes ist die fehlende Einheitlichkeit der Daten. „Die große Herausforderung lautet: Standardisierung“, unterstreicht der Mannheimer Radiologe. Solange die Daten nicht einheitlich sind, weil jedes Haus und jedes Institut die Untersuchungen auf jeweils eigene Weise durchführen, können diese nicht automatisch nach Informationen durchforstet werden. „Wir müssen die Daten quantifizieren“, bekräftigt Kaiser.
Wie man dazu kommt? Kaiser schwebt dabei zum Beispiel ein einfacher und solider Entscheidungsbaum vor, wie er etwa vor vier Jahren von Radiologen der Medizinischen Universität Wien für die Unterscheidung von gutartigen und bösartigen Läsionen bei der MR-Mammographie publiziert wurde. „Dieses Tool hat eine nachgewiesene Treffsicherheit von 88 Prozent zwischen benignen und malignen Tumoren und kommt bei einem Drittel aller Läsionen zu einer definitiven Diagnose.“ Würden Untersuchungen grundsätzlich an solchen Entscheidungsbäumen entlang durchgeführt werden, so wären nicht nur eine einheitlich verbesserte Genauigkeit und Standardisierung der Diagnose, sondern auch quantifizierte Untersuchungsdaten die Folge. Kaiser: „Das wäre eine Möglichkeit, vergleichbare und valide Daten zu bekommen, aus denen sich dann via Radiomics prognostische Informationen gewinnen lassen.“
Profil:
Dr. Clemens Kaiser, BA ist Oberarzt und Leiter des Geschäftsfeldes Multimodale Mammadiagnostik am Institut für Klinische Radiologie und Nuklearmedizin am Universitätsklinikum Mannheim in Deutschland. Er absolvierte zunächst eine Ausbildung zum internationalen Diplom-Betriebswirt (EMA) sowie zum Bachelor of Arts in Marketing Management, bevor er in Köln Medizin studierte. Der Titel seiner Dissertation an der Friedrich-Schiller-Universität Jena lautete „Duct-Obstruction-Sign – Gangektasie zur Abklärung der Differentialdiagnose DCIS versus Papillom in der MR-Mammographie“.
23.05.2018