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Artikel • Tinte und Polymere
Medikamente aus dem Drucker für eine individualisierte Therapie
60 Prozent aller verabreichten Medikamente führen nicht zum gewünschten therapeutischen Effekt, zudem führt die Therapie mit Arzneimitteln allein in Deutschland zu etwa 50.000 Todesfällen pro Jahr. Mit diesem erschreckenden Statement eröffnete Prof. Dr. Christian Franken seinen Vortrag ‚Pillen aus dem 3D-Drucker‘ auf der diesjährigen Medica in Düsseldorf. Seine Vision ist eine personalisierte Arzneimitteltherapie auf der Basis von 2D- und 3D-gedruckten Wirkstoffen.
Artikel: Sonja Buske
„Niemand würde auf die Idee kommen, Diabetikern einheitlich eine bestimmte Dosis an Insulin zu verordnen, sondern jeder Patient bekommt individuell die richtige Menge zum richtigen Zeitpunkt verabreicht, zum Beispiel über eine Insulin-Pumpe“, erläuterte Franken. Bei Tabletten funktioniert das nicht, denn man kann sie höchstens halbieren, trifft damit aber selten die exakt benötigte Dosis. „Dadurch kann es zu Unter- oder Überdosierungen kommen, da zumeist mehrere Tabletten am Tag benötigt werden, womit insbesondere ältere Patienten schnell überfordert sind. Diese inadäquate Medikamententherapie führt nicht nur zu Nebenwirkungen, sondern auch zu einem Mangel an Therapietreue, was in Deutschland Kosten in Höhe von schätzungsweise 10 Milliarden Euro verursacht.“
Die Lösung für dieses Problem liegt für den Pharmazeuten Franken auf der Hand: Er hat mit seiner Firma Digital Health Systems (DiHeSys) Drucker entwickelt, die Arzneimittel in 2D und 3D drucken, und zwar genau in der individuellen Zusammensetzung, die der Arzt auf der Basis von Geschlecht, Alter, Gewicht, Blut- oder Tumorwerten, Unverträglichkeiten und vielen weiteren Parametern verschreibt. So kann der Patient sie zum gewünschten Zeitpunkt in der korrekten Stärke einnehmen. Die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Medikamenten sollen somit optimiert und Medikationsfehler reduziert werden. Die gedruckte Tablette kostet zwar mehr als die traditionell gepresste, da auch nur das hergestellt wird, was auch wirklich benötigt wird. Trotzdem versprechen sich die Krankenkassen, die die Kosten übernehmen, neben einem qualitativen Zugewinn auch eine Verringerung der Gesamtkosten, da zum Beispiel unnötige Facharztbesuche und Krankenhausaufenthalte minimiert werden könnten.
2D: Wirkstoff-Tinte auf Oblaten
Beim 2D-Druck wird der gewünschte Wirkstoff in Form einer speziellen Tinte auf eine etwa acht Quadratzentimeter kleine Oblate gedruckt, die sich innerhalb von zirka 20 Sekunden auf der Mundschleimhaut auflöst. „Gerade für Kinder oder ältere Menschen mit Schluckproblemen ist das ideal“, findet Franken. Vor allem in der Pädiatrie gibt es zudem viele Arzneimittel gar nicht in der benötigten Dosis, so dass der Apotheker die Medikamente bisher stets individuell verkapseln musste. Eine exakte Dosierung ist auch bei enger therapeutischer Breite wichtig, also immer dann, wenn der Abstand zwischen gewolltem therapeutischem Effekt und toxischer Wirkung sehr gering ist, weiß Franken. Daher sieht er ebenfalls großes Potenzial für gedruckte Arzneimittel zum Beispiel in der Neurologie, der Kardiologie und der Onkologie.
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3D: Übereinander gedruckte Polymere
Der 2D-Druck hat allerdings seine Grenzen: Die Oblate kann maximal 40 mg Wirkstoff aufnehmen, und ein Retardeffekt ist aufgrund der flüssigen Form nicht möglich. Hier kommt der 3D-Drucker zum Einsatz: Mehrere Wirkstoff-Polymere können übereinander gedruckt werden, so dass der Patient im Idealfall nur eine Tablette am Tag einnehmen muss, die individuell auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist. 27 Wirkstoffe befinden sich aktuell in der Entwicklung als Tinte oder als Polymer, drei Drucker wurden bereits sowohl an ambulante als auch an Klinik-Apotheken ausgeliefert, und elf weitere sind aus ganz Europa sowie den USA bestellt.
Weniger Müll
Etwa die Hälfte der Arzneimittel, die produziert werden, gelangen nicht zum Patienten
Christian Franken
Nicht zu vernachlässigen ist zudem der positive Aspekt für die Umwelt, denn bei reinen Wirkstoffen fällt die aufwändige Verpackung in Form von Tablettenblistern weg. Dazu Franken: „Wenn zudem nur noch so viel produziert wird, wie man tatsächlich benötigt, reduziert sich der Pharmamüll enorm. Etwa die Hälfte der Arzneimittel, die produziert werden, gelangen nicht zum Patienten. Heute ist es durchaus üblich, industrielle Chargen in einer Größenordnung von 15 Millionen Tabletten zu produzieren, um die Stückkosten der einzelnen Tablette zu senken.“
Der Gründer von DiHeSys wünscht sich eine Zukunft, in der die Medikamentenproduktion nicht mehr ausschließlich in der Pharmaindustrie, sondern in großen Apotheken und somit sehr nah am Versorgungsgeschehen stattfindet. Das Aus für die Pharmaindustrie muss das seiner Meinung nach jedoch nicht bedeuten, schließlich kooperiert DiHeSys auch mit pharmazeutischen Firmen: „Mit dem Einsatz von personalisierter Medizin auf der Basis von 2D- oder 3D-Druck können wir aufgrund der Geschwindigkeit und der Flexibilität die Effizienz und die Effektivität im Bereich Forschung und Entwicklung signifikant steigern. Davon profitiert auch die Pharmaindustrie.“
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05.12.2022