Artikel • Im Labor
Massenspektrometrie: Analytik trifft Diagnostik
Bericht: Walter Depner
Noch Anfang des 16. Jahrhunderts (etwa ab 1510) bestand die medizinische Diagnostik in der Hauptsache aus der Harnbeschau, oder, modern ausgedrückt, der „Urin-Analyse“. Das einzige Hilfsmittel („Gerät“) für den Arzt war das bekannte Uringlas und eine Kerze als Lichtquelle. Er betrachtete den Urin vor der Kerze, stellte „Klarheit“ oder „Trübung“ fest, unterzog ihn einer „Riech- und Geschmacksprobe“ um danach seine Diagnose zu stellen.
Schon ca. 100 Jahre später wurden die ersten „Mikroskope“ gebaut, die eine bis zu 60-fache Vergrößerung (von Insekten) ermöglichten und Mitte des Jahrhunderts (um 1650 – 1670) erstmals die Beobachtung von roten Blutkörperchen. Ab diesem Zeitpunkt nahm die Entwicklung technischer Hilfsmittel bzw. Geräte einen rasanten Aufschwung und hat sicherlich auch heute bei weitem noch nicht seinen Höhepunkt erreicht. Sie hat sich jedoch in Bezug auf die „Lebenswissenschaften“ (Medizin, Chemie, Biologie) im 18. und 19. Jahrhundert geteilt. So entwickelte die Chemie völlig eigene „Analysengeräte“ ebenso wie die Medizin; hier wurden sie lediglich „Analyzer“ genannt. Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (1960 – 1970) haben kluge Menschen erkannt, dass es Sinn machen kann (muss), Teile dieser beiden Zweige wieder zusammen zu fügen.
Ein Beispiel dafür ist die Entwicklung von „Chromatographie-Geräten“ auf der einen und „Massenspektrometern“ auf der anderen Seite, bzw. deren Kopplung. Anfangs war einziger Sinn und Zweck die Analytik in der Chemie. Die Idee, damit auch ganz hervorragende Resultate in der medizinischen Diagnostik zu erreichen, kam erst nach und nach auf.
Wegbereiter Herbert Keller
Einer der großen europäischen Wegbereiter moderner Laboranalytik, Klinischer Chemie und angrenzender Disziplinen, Prof. Dr. med. et rer. nat. Herbert Keller († 2001), St. Gallen, Schweiz, hat unter anderem während eines Symposiums anlässlich seines 65. Geburtstags 1990 mit dem Titel „Künstliche Intelligenz“ mehrfach auf eine unbedingt „wünschenswerte Kooperation“ zwischen Chemie und Medizin hingewiesen. „Überall da, wo es Sinn macht“, waren seine Worte. Prof. Keller hatte in den 1950er Jahren sein Studium der Medizin und Chemie mit dem Doktor med. und Doktor rer. nat. abgeschlossen und war in den 1970er und 1980er Jahren nacheinander sowohl Präsident der Gesellschaft für Laboratoriumsmedizin als auch der Gesellschaft für Klinische Chemie.
Er erkannte (sicher neben anderen auch) schon vor über 50 Jahren den Wert der gegenseitigen Befruchtung und kämpfte Zeit seines Lebens für eine Vereinigung der Klinischen Chemie und der Medizinischen Diagnostik. Diese Vereinigung, die dann tatsächlich im Jahre 2003 stattfand, konnte er leider nicht mehr miterleben. So hat er auch nur noch sehr peripher und in Ansätzen miterleben können, wie beispielsweise die Tandem-Massenspektrometrie (LC-MS/MS) mehr und mehr Einzug in die klinische Routineanalytik gefunden hat.
Leistungsfähige Tandem-Massenspektrometrie
Die Technik beruht auf der Kopplung einer chromatographischen Trennung mit einer anschließenden, hochspezifischen und sensitiven Detektion. Ein großer Vorteil dieser Methode liegt z.B. darin, dass, je nach Methode, gleichzeitig mehrere Analyten bestimmt werden können. Andere, in vielen Klinischen Laboratorien vorhandene Methoden wie etwa Immunoassays (ELISA, RIA), die Photometrie oder die konventionelle Flüssig-Chromatographie (HPLC), sind alle hochspezifisch und besitzen im Gegensatz zur LC-MS/MS nicht dieses hohe Maß an Stoffspezifität. Bei entsprechender Fachkompetenz rechnen sich die Investitionskosten bereits nach verhältnismäßig kurzer Zeit, da eine schnelle Entwicklung von sehr leistungsfähigen Analysenmethoden bei sehr geringen laufenden Kosten für Verbrauchsmaterialien und Chemikalien möglich ist. Die Effizienz kann bei Bedarf durch den Einsatz von schnellen UHPLC-Trennungen sowie schon länger etablierter offener Automatisierungsplattformen weiter gesteigert werden.
Unverzichtbar beim Neugeborenenscreening und Drug Monitoring
Wo liegt der Anwenderbereich der Tandem-Massenspektrometrie heute und was ist in Zukunft zu erwarten? Dr. Matthias Weber, LaborDiagnostik, Karlsruhe (matthias.weber@labor-karlsruhe.de) sagt dazu, dass ein wichtiger Bereich etwa das Neugeborenenscreening auf Stoffwechselerkrankungen ist, das in sehr vielen Fällen regelhaft durchgeführt wird und dessen Langzeitnutzen längst belegt ist.
Dieses ist bereits seit 2005 im EBM verankert. Weiterhin gilt beim Therapeutischen Drug Monitoring und der Drogenanalytik der Einsatz der LC-MS/MS seit langem als Standard und unverzichtbar. Die Methode hält ferner immer stärker Einzug in die Steroidanalytik (z.B. Cortisol, Testosteron, 17-Hydroxy-Progesteron). Aufgrund des Fehlens von Kreuzreaktionen, die bei den bisher routinemäßig verwendeten Immunoassays ein bekanntes Problem darstellen, sind mit der Tandem-Massenspektrometrie erheblich validere Ergebnisse mit deutlicheren klinischen Aussagen zu erreichen. Weitere Anwendungsgebiete betreffen den Einsatz bei Proteom- und Metabolom-, sowie bei Steroid-Profilen in der klinischen Routine. Es ist zu erwarten, dass dadurch dem Kliniker in Zukunft nicht nur eine schnellere, sondern auch eine präzisere Diagnostik ermöglicht wird.
Verbesserte Trennschärfe
Zu den in absehbarer Zeit zu erwartenden weiteren Analysenspektren bzw. Methoden sagt Dr. Weber. „Bereits heute setzen wir klassische LC-MS/MS-Systeme auch für qualitative Fragestellungen wie die Hämoglobin-Differenzierung routinemäßig ein und schließen damit eine vielfach noch unbeachtete diagnostische Lücke. Auch werden einzelne Marker oder ganze Panels beschrieben, die mittels LC-Tandem-MS spezifisch und sensitiv im Plasma oder Urin bestimmt werden können und als Tumormarker geeignet sind. Die heute schon gute Verfügbarkeit von synthetischen Peptiden und Metaboliten, selbst in stabil-Isotopen-markierter Form, bildet eine gute Grundlage, solche Methoden in relativ kurzer Zeit verbreitet einzusetzen. Aus meiner Sicht ist durch den vermehrten Einsatz von massenspektrometrischen Methoden insgesamt mit einer deutlich verbesserten Trennschärfe der Diagnostik zu rechnen.“
23.05.2018