„Jodangst“ und resultierende Gesundheitsgefahren
Geschürte „Jodangst“ führt langfristig zu Jodmangelepidemie
Fehlinformationen zur Jodversorgung der bundesdeutschen Bevölkerung, wie jüngst in einer ZDF-Sendung geschehen, sind irreführend und verantwortungslos, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Die Behauptung, Jod im Tierfutter lande in hohen Mengen „auf dem Teller“ und sei gesundheitsschädlich, schüre eine „Jodangst“, die zu einem Meiden von Jod und langfristig zu einer Jodmangelepidemie führe, warnt die Fachgesellschaft.
Jodmangel bewirkt eine vermehrte Bildung von Kröpfen, auch Struma genannt, und von Schilddrüsenknoten. In der ZDF-Sendung Terra Xpress vom 30. März 2014 wurde berichtet, dass die Bevölkerung in Deutschland durch zuviel Jod in Nahrungsmitteln gesundheitlich gefährdet sei. Bestimmte Personen bedürften zudem einer jodarmen Ernährung, so der Beitrag. Eine weitere Aussage: Die hohe Prävalenz von Schilddrüsen-Erkrankungen in Deutschland sei Folge von zuviel Jod in der Nahrung. Umrahmt wurde der Beitrag durch eine Vermutung: Hinter alldem steckten die Arbeitsgemeinschaft Jodmangel, die Pharmaindustrie und die salzproduzierende Industrie.
Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) kritisiert auf das Schärfste die tendenziöse und falsche Berichterstattung, die dem Bildungsauftrag einer öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt nicht entspricht.
Publizierte Daten großer deutscher Bevölkerungsstudien und Langzeituntersuchungen des Robert Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zeigen, dass sich die Jodversorgung in Deutschland gegenüber früheren Jahren verbessert hat. Sowohl in der SHIP-Studie (Study of Health in Pomerania) in Norddeutschland als auch in der KORA-Studie (Kooperative Gesundheitsforschung in der Region Augsburg) zeigt sich bei erwachsenen Menschen, dass die mittlere Jodausscheidung bei etwa 100 µg/l liegt. Dies entspricht dem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geforderten Kriterium einer gerade ausreichenden Jodversorgung in der Bevölkerung. Keinesfalls kann hier von einer Gefährdung durch zu hohe Jodzufuhr in Deutschland ausgegangen werden.
Ähnliche Ergebnisse wurden in der „Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGS) bei Kindern im Alter von neun bis 16 Jahren erhoben. Erste, noch unveröffentlichte Studien lassen sogar vermuten, dass die Jodversorgung der deutschen Bevölkerung in den letzten Jahren abgenommen hat. Anzunehmen ist deshalb eher, dass die Bevölkerung unterversorgt anstatt überversorgt ist, so die DGE.
1. Jodmangel ist die wichtigste Ursache für die Entstehung des Kropfes und von Schilddrüsenknoten. Daran leiden etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung. Alle epidemiologischen Studien haben gezeigt, dass mit einer Beseitigung des Jodmangels die Häufigkeit von Strumen und Knoten in der Bevölkerung gesenkt werden kann. Dieser Effekt tritt mit einer Verzögerung von Jahrzehnten ein und ist deshalb in Deutschland erst in Zukunft in vollem Ausmaß zu erwarten.
2. Eine Verbesserung der Jodversorgung ist durch jodiertes Salz und auch über Tierfutter möglich. Fischkonsum als natürliche Jod-Quelle ist in Deutschland nicht ausreichend. Es erfolgt ein regelmäßiges Monitoring der Jodversorgung, beispielsweise durch KiGGS und andere Studien.
3. Es gibt keine Schilddrüsenerkrankung und auch keine andere Erkrankung, bei der eine jodarme Ernährung erforderlich oder hilfreich ist. Dies ist ein weitverbreiteter Irrtum, der zu unangemessenen Handlungsweisen bei Patienten führen kann. Selbst bei einer Autoimmunerkrankung der Schilddrüse kann jodiertes Speisesalz zu keiner Verschlechterung führen.
4. Die zunehmende Verordnung von Schilddrüsen-Hormonen lässt sich mit einer Absenkung der TSH-Referenzwerte erklären. Dadurch kommt es seit etwa zehn Jahren zu häufigeren „Labordiagnosen“ einer Unterfunktion der Schilddrüse, womit eine frühzeitige Verordnung von Schilddrüsen-Hormonen einhergeht. Die Behandlung von nur auffälligen Laborwerten wird von Spezialisten ausdrücklich nicht befürwortet (siehe auch Stellungnahmen der Fachgesellschaften, zum Beispiel der Amerikanischen Schilddrüsen-Gesellschaft), da bei diesen Patienten oft keine Schilddrüsen-Erkrankung vorliegt.
5. Es ist bislang nicht durch epidemiologische Studien belegt, dass die Fälle von Autoimmunthyreoiditis in Deutschland zunehmen. Richtig ist, dass hierzulande unnötige Diagnostik betrieben wird und deshalb oft Veränderungen ohne Krankheitswert entdeckt werden, wie zum Beispiel das Vorliegen von Schilddrüsenantikörpern in geringer Höhe, die allein keine Diagnose einer Autoimmunthyreoiditis bedeuten.
6. In bestimmten Lebensphasen besteht ein wesentlich höherer Jodbedarf. Hierzu zählen insbesondere Schwangerschaft und Stillzeit. Mit den in Deutschland und Europa üblichen Nahrungsmitteln ist es nicht möglich, diesen erhöhten Bedarf (250-300µg/Tag) zu decken. Deshalb wird Schwangeren von den Fachgesellschaften die Jodsupplementation ausdrücklich empfohlen. Folgen der mangelhaften Jodversorgung in dieser Zeit sind eine erhöhte Kropfprävalenz bei Mutter und Kind und die Gefahr einer Beeinträchtigung der geistigen Entwicklung des Kindes.
Es ist unseriös und gefährlich, von einer „Jodgefahr“ im Rahmen des Konsums handelsüblicher Nahrungsmittel zu sprechen, noch dazu unter Verwendung fragwürdigen Quellen bzw. Einzelmeinungen zur Vermittlung dieser Botschaft. Es ist ferner unverantwortlich, Patienten zu vermitteln, dass ihre Allgemeinbeschwerden durch die Jodzufuhr verursacht werden. Jod verursacht keine Beschwerden und führt weder beim Menschen noch bei Rindern zur Stärkung und Gesundheit per se, aber sehr wohl Schilddrüsenhormone, deren unverzichtbarer Bestandteil das Jod ist.
Selbst Jodmengen von mehr als 200 µg/Tag stellen keine Gefährdung dar. Der Fernsehbeitrag benannte stets die Jod-Höchstwerte der Lebensmittel. Doch selbst diese Maximalwerte erreichen in der Summe gerade einmal die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlenen Richtgrößen von 150 µg/Tag. Ein „Jodexzess“ hingegen ist nach WHO-Kriterien als dauerhafte Jodzufuhr von mehr als 500 µg/Tag definiert.
Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie warnt davor, Grundnahrungsmittel aus Angst vor vermeintlich zu viel Jod, nicht wie bisher zu verzehren. Vielmehr müssen alle Anstrengungen darauf gerichtet sein, eine kontinuierliche ausreichende Jodversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, gegebenenfalls auch durch eine Jodzufuhr mit Tabletten, etwa während der Schwangerschaft, um langfristige negative Folgen für die Gesundheit zu verhindern.
Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE)
Prof. Dr. rer. nat. Jörg Gromoll, DGE-Präsident, Münster
Prof. Dr. Dr. med. Dagmar Führer, DGE-Vize-Präsidentin, Essen
Prof. Dr. med. Markus Luster, Sprecher der DGE-Sektion Schilddrüse, Marburg
Prof. Dr. med. Dr. h.c. Helmut Schatz, DGE-Mediensprecher, Bochum
Prof. Dr. med. Roland Gärtner, Sprecher des Arbeitskreise Jodmangel, München
03.04.2014