Innovativ und unterschätzt: Der Ultraschall

Vor 100 Jahren ereignete sich mit dem Untergang der Titanic das größte Unglück in der zivilen Schifffahrt. Diese Tragödie gab den Anstoß für die Entwicklung des Echolots, das Widerstände unter der Wasseroberfläche mit Hilfe von Schall mit Frequenzen oberhalb des Hörbereichs des Menschen misst.

Professor Stefan Delorme
Professor Stefan Delorme

Die stetige Weiterentwicklung dieser Technik führte zur Entwicklung des Ultraschalls, der erstmals in den 40er Jahre am Menschen zum Einsatz kam und seit den 60er Jahre aus der klinischen Diagnostik nicht mehr wegzudenken ist. Dennoch wird das Potenzial dieses Bildgebungsverfahrens in der Radiologie noch nicht voll ausgeschöpft.

„In der radiologischen Diagnostik haben Verfahren wie CT und MRT sicherlich ein höheres Prestige als der Ultraschall, aber aufgrund zahlreicher Innovationen ist der Ultraschall eine immer effektivere Untersuchungsmethode geworden, die für den Patienten eine weniger belastende Alternative darstellt und deshalb öfter zum Einsatz kommen sollte“, so Prof. Delorme, stellvertretender Abteilungsleiter der Radiologie am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin e.V.

Diese Fortschritte sind auf die ständige Verbesserung der Bildauflösung bei gleichzeitiger Reduzierung des Rauschens zurückzuführen, wodurch der Ultraschall heute Strukturen erkennbar macht, die früher unsichtbar waren. Weitere wichtige Meilensteine waren die Entwicklung der Farbdoppler-Sonografie, des 3D-Ultraschalls und der Elastografie, insbesondere aber des Kontrastmittel-Ultraschalls. Hierdurch konnte in jüngster Zeit die Aussagekraft der Untersuchungstechnik, insbesondere bei der Diagnostik herdförmiger Leberveränderungen, noch einmal deutlich erhöht werden – ein enormer Schub für das Untersuchungsverfahren Ultraschall.

„Bisher waren hierfür die Sensitivität und Spezifität bei CT und MRT eindeutig besser. Mit der Gabe des Kontrastmittels im Ultraschall ist dieses Untersuchungsverfahren nun in vieler Hinsicht als gleichwertig anzusehen“, erklärt Prof. Delorme. Das intravenös verabreichte Kontrastmittel wird vom Ultraschall detektiert; dort wo sich das Kontrastmittel befindet, wird das Bild heller, weil das Kontrastmittel in Wechselwirkung mit dem Ultraschall tritt. Damit kann durchblutetes Gewebe sehr gut auch in tiefen Ebenen erfasst werden, besser noch als dies mit dem Farbdoppler-Verfahren bisher möglich war. Da die Leber ein Organ ist, das das Kontrastmittel sehr gut aufnimmt, heben sich die Metastasen deutlich ab. Die Stärke des Verfahrens liegt in der Möglichkeit, Leberherde diagnostisch einzuordnen, und zwar ohne ionisierende Strahlung oder längere Wartezeiten. Dies ist umso wichtiger, als Leberherde häufig gutartig sind – auch bei Tumorpatienten.

Ein Vorteil der CT und MRT bleibt bestehen: Die übersichtliche und „flächendeckende“ Darstellung großer Körperregionen und die bessere Nachvollziehbarkeit der Bilder durch nicht radiologische Kollegen. Daher bleiben sie z.B. für die Planung onkologischer Therapien als diagnostische Methoden unerlässlich.

Immer wichtiger wird der Ultraschall auch im Zusammenspiel mit anderen radiologischen Diagnoseverfahren durch die sogenannte Bildfusion. So eignet sich der Ultraschall hervorragend zur Steuerung von Interventionen, da er sehr flexibel ist und ohne Strahlenbelastung auskommt. Ein gutes Anwendungsgebiet bietet der Ultraschall z.B. bei der bildgesteuerten Biopsie der Prostata. „Wenn der Marker im Blut verdächtig hoch ist, aber auch nach zwei bis drei Biopsien kein Tumor entdeckt werden konnte, dann kann der erforderliche histologische Nachweis im Zusammenspiel von MRT und Ultraschall erbracht werden“, schildert Delorme. In Heidelberg werden die Patienten dabei im MRT untersucht. Der tumorverdächtige Bereich wird dabei lokalisiert und die Lage des Tumors wird dreidimensional errechnet. Mit Hilfe eines Ultraschalls und unter Fusion der Ultraschall- mit den gespeicherten MRT-Bildern kann die Region genau lokalisiert und dann im Schall gezielt Gewebe entnommen werden. Die Vorteile beider Methoden – die hohe Spezifität der MRT und die Handlichkeit und Flexibilität des Ultraschalls – können hier hervorragend miteinander kombiniert werden. Natürlich ist dieses Verfahren auch bei anderen Organen anwendbar, wobei das Matching eine besondere Herausforderung darstellt. Da sich die Lage der Organe im Körper zwischen den Untersuchungen verändern kann, muss nachjustiert werden, entweder visuell oder durch Rekonstruktion, wie z.B. beim Matching vom MR- und CT-Bildern für die Strahlentherapie.

„Der Ultraschall eignet sich hervorragend für die Steuerung von Interventionen, und bei vielen Untersuchungen, die derzeit mit CT gemacht werden, wäre auch ein Ultraschall völlig ausreichend“, resümiert Prof. Delorme. Zumal sich durch die immer kleiner werdenden Schallköpfe mit verbesserter Schallerzeugung und höherer Bildauflösung die Handhabung der Technik ständig verbessert. Der erfolgversprechende Ansatz, Kontrastmittel mit bestimmten Antikörpern zu versehen, die sich dann an dezidiertem Gewebe anlagern, befindet sich derzeit im experimentellen Tierversuch. Denn noch scheuen die Pharmafirmen die hohen Entwicklungskosten für die Weiterentwicklung des Kontrastmittels.

Ein anderes Problem ist nach Ansicht von Prof. Delorme hausgemacht: Die Ausbildung der schallenden Ärzte. Die Richtlinien lassen in allen Fachgebieten zu große Spielräume für einen einheitlichen Qualitätsstandard, und die Personaldecke erlaubt in vielen Häusern eine Ausbildung im Ultraschall nicht in der nötigen Intensität. „Noch immer ist die Diagnose, also das Erkennen bestimmter Strukturen, sehr stark vom individuellen Kenntnisstand des Untersuchers abhängig, und anders als bei CT oder MRT kann ein entgangener Befund nicht einfach durch den zweiten Blick des Oberarztes nachträglich gutgemacht werden“, bilanziert Delorme.

Eine Übertragung der Sonographie auf speziell ausgebildete MTRA, wie in angelsächsischen Ländern üblich, ist nach Ansicht von Prof. Delorme im Regelfall keine Lösung, da die Stärke der Methode eben in der Vereinigung von klinischer Kenntnis und Durchführung der Untersuchung in einer Person liegt. An einer soliden klinischen wie „handwerklichen“ Ausbildung im Ultraschall führt kein Weg vorbei.
 

08.05.2012

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