Lippen-Kiefer-Gaumenspalten
Humangenetiker entdecken “verstecktes” Syndrom
Bei den Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und reinen Gaumenspalten handelt es sich um eine Gruppe von Fehlbildungen, bei denen während der Embryonalentwicklung die Mundpartie nicht richtig zusammenwächst. Ursachen sind vor allem genetische Faktoren, Umwelteinflüsse – zum Beispiel das Rauchen – spielen eine eher untergeordnete Rolle. Meist ist die Spaltbildung die einzige Auffälligkeit der Betroffenen, das nennen Wissenschaftler „isoliert“. Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und Gaumenspalten können aber auch zusammen mit anderen Fehlbildungen im Zuge eines Syndroms auftreten.
Eine „syndromale“ Spezialform ist das Van der Woude-Syndrom, bei der neben einer Lippen- oder Gaumenspalte charakteristische runde Grübchen der Unterlippe vorliegen. „Dies ist insgesamt ein vergleichbar mildes Syndrom“, sagt Privatdozentin Dr. Elisabeth Mangold vom Institut für Humangenetik der Universität Bonn. „Weitere Symptome bestehen nicht, die Probleme beim Van der Woude-Syndrom unterscheiden sich praktisch nicht von den Problemen bei isolierter Spalte.“
Da Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und auch reine Gaumenspalten erblich sind, kommen Betroffene mit Kinderwunsch oft in die humangenetische Sprechstunde am Universitätsklinikum Bonn (UKB). Dann wird die Frage gestellt, wie hoch die Wiederholungswahrscheinlichkeit für eine Spaltbildung beim Nachwuchs ist. Bei der nicht-syndromalen Spaltbildung liegt dies typischerweise unter zehn Prozent, meist sogar unter fünf Prozent. Bei der nicht-syndromalen Gaumenspalte wurde das Risiko im Einzelfall aber teilweise unterschätzt, wie nun die Humangenetiker herausgefunden haben.
Schon länger hatten die Forscher die Vermutung, dass sich unter den Patienten mit scheinbar nicht-syndromalen Spalten unerkannte milde Syndrom-Formen „verstecken“. In Kooperation mit ihren Kollegen von den Universitäten Bonn, Leipzig, Göttingen, Köln und Ulm sowie der Humboldt-Universität Berlin, der Asklepios Klinik Nord in Hamburg und Forschern in Riga (Lettland), London (England) und Thamar (Jemen) untersuchten sie nun das Erbgut von zahlreichen Patienten mit nicht-syndromal erscheinenden Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und reinen Gaumenspalten auf Mutationen im GRHL3-Gen, einem Gen für das Van der Woude-Syndrom.
Forscher nahmen Basenpaar für Basenpaar unter die Lupe
Basenpaar für Basenpaar nahmen die Forscher diese Erbanlage unter die Lupe. „Zwei wichtige Ergebnisse haben wir erzielt: Erstens leistet eine milde Variante in diesem Gen einen Beitrag zur Entstehung nicht-syndromaler Gaumenspalten. Und zweitens haben wir bei neun Personen aus vier Familien starke Mutationen in diesem Gen gefunden“, sagt Dr. Kerstin U. Ludwig vom Institut für Humangenetik und dem Life & Brain Zentrum der Universität Bonn. Alle Mutationsträger haben reine Gaumenspalten, ihnen fehlen jedoch die typischen Grübchen an der Unterlippe. Weil dieses charakteristische Symptom fehlt, waren sie nicht als Patienten mit Van der Woude-Syndrom erkannt worden. Die Wissenschaftler werten ihre Ergebnisse als Durchbruch in der Erforschung der nicht-syndromalen Gaumenspalte – über deren genetische Ursachen ist bislang kaum etwas bekannt gewesen.
Wichtiger Befund für die humangenetische Beratung
„Unser Resultat ist wichtig für die genetische Beratung“, sagt Dr. Mangold. „Die Wahrscheinlichkeit für eine Spaltbildung im Gaumen ist bei den Kindern von Trägern einer GRHL3-Genmutation nämlich viel höher als bei der nicht-syndromalen Gaumenspalte.“ Die Wahrscheinlichkeit für eine Gaumenspalte bei GRHL3-Mutation beträgt etwa 70 Prozent, außerdem besteht ein erhöhtes Risiko für eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Es kann daher sinnvoll sein, auch bei scheinbar nicht-syndromaler Gaumenspalte nach Mutationen in diesem „Syndrom-Gen“ zu suchen. Insgesamt sind Mutationen im GRHL3-Gen aber selten, und selbst bei Nachweis dieses „versteckten“ Van der Woude-Syndroms muss man wissen, „dass sich die Spalten im Mundbereich heutzutage sehr gut operativ behandeln lassen“, sagt Dr. Mangold.
Publikation:
Sequencing the GRHL3 coding region reveals rare truncating mutations and a common susceptibility variant for nonsyndromic cleft palate, The American Journal of Human Genetics
Quelle: Universität Bonn
05.04.2016