Bildquelle: DKFZ
News • Handlungsleitfaden konzipiert
Genomforschung: Studiendaten an Teilnehmer herausgeben?
Die Analyse des Erbguts im Rahmen von Studien hat das Verständnis von Krebserkrankungen revolutioniert und kann neue Ansatzpunkte für zielgerichtete Behandlungen liefern. Patienten, deren Erbgut sequenziert wurde, zeigen vermehrt Interesse an ihren genomischen Rohdaten.
Der Einzelne kann allerdings ohne Interpretation durch Spezialisten mit seinen Erbgutdaten wenig anfangen. Die Projektgruppe „Ethische und Rechtliche Aspekte der Totalsequenzierung des menschlichen Genoms“ (EURAT) am Marsilius-Kolleg der Universität Heidelberg und dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) hat sich mit den ethischen und rechtlichen Aspekten der Herausgabe von genomischen Rohdaten an erwachsene und einwilligungsfähige Patienten beschäftigt und hierzu eine Stellungnahme und einen Handlungsleitfaden verfasst. Der EURAT-Gruppe gehören Wissenschaftler des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD), des DKFZ und der Universität Heidelberg an.
Das Wissen und die Neugier an dem Informationsgehalt des Erbguts in der Bevölkerung wachsen
Michael Baumann
Durch die enormen technologischen Fortschritte der letzten Jahre werden Analyseverfahren des menschlichen Erbguts – sogenannte Sequenziertechniken – nicht nur in der Grundlagenforschung, sondern auch in der kliniknahen Forschung und in der klinischen Diagnostik verstärkt angewendet. In der humangenetischen Diagnostik wird das Erbgut beispielsweise untersucht, um bekannte krankheitsassoziierte Gene zu identifizieren. Die Krebsmedizin nutzt die Erbgut-Sequenzierung, um Tumorgewebe umfassend zu charakterisieren und mit dem Erbgut gesunder Zellen desselben Patienten zu vergleichen. So lassen sich Gene finden, die das Tumorwachstum fördern. Basierend auf den molekularen Eigenschaften prüfen die Ärzte neue therapeutische Ansatzpunkte für den einzelnen Patienten.
„Das DKFZ betreibt eine der größten Sequenzier-Einheiten in Europa und stellt diese vielen Forschungsprojekten zur Verfügung. Wir sind uns aber auch bewusst, dass eine wesentliche Voraussetzung für diese Forschung die Bereitschaft der Patienten ist, Tumorproben für die Genomanalyse zur Verfügung zu stellen. Das Interesse von Patienten und Studienteilnehmenden an ihren genomischen Rohdaten gewinnt dabei zunehmend an Bedeutung. Dies ist auch der Tatsache geschuldet, dass das Wissen und die Neugier an dem Informationsgehalt des Erbguts in der Bevölkerung weiter wachsen“, sagt Michael Baumann, wissenschaftlicher Vorstand des DKFZ.
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Artikel • Projekt in Estland
Gen-Analyse für alle Bürger
In Sachen Genetik gilt Estland als Vorreiter – zu Recht, wie das ambitionierte estnische Genomprojekt (Eesti Geenivaramu) zeigt. Dieses soll das Erbgut jedes Bürgers auf Erkrankungsrisiken überprüfen. Bei erkannter Gefährdung folgen Information, Prävention und gegebenenfalls Therapie. Mit-Initiator Dr. Jaanus Pikani spricht über Startschwierigkeiten des Projekts und dessen Potential.
Die EURAT-Projektgruppe hat nun einen Handlungsleitfaden erarbeitet, der das Verfahren zur Herausgabe genomischer Daten an Patienten und Studienteilnehmende beschreibt: Dabei ist zentral, dass die Studienteilnehmenden über die Eigenschaften roher genomischer Daten und die Risiken, die mit einer Nutzung der Rohdaten verbunden sein können, informiert werden. Neben Vorschlägen zum Verfahrensablauf beinhaltet die Stellungnahme auch ein Muster für schriftliche Informationsmaterialien. „Die Empfehlungen für den Herausgabeprozess der genetischen Rohdaten sollen Studienteilnehmende zu einem informierten Umgang mit ihrem Recht auf Datenherausgabe und zu einem kompetenten Umgang mit ihren eigenen Daten befähigen. Das Herausgabeverfahren soll gleichzeitig in einem angemessenen Rahmen geschehen, der vereinbar ist mit den primären Aufgaben von Ärzten und Forschenden“, sagt Eva Winkler, Professorin für Translationale Medizinethik am NCT und dem UKHD.
Translationale und patientennahe Forschungsprojekte haben meist zum Ziel, Therapieansätze zu entwickeln, die sich aus der molekularen Erbgutanalyse ergeben. Patienten aus solchen Studien haben vereinzelt um die Herausgabe ihrer genomischen Rohdatensätze gebeten. Diese Anfragen zum Anlass nehmend, haben Bioinformatiker, Humangenetiker, Molekularbiologen, Onkologen, Pathologen, Juristen und Ethiker der Projektgruppe EURAT in einer Stellungnahme alle ethischen und rechtlichen Aspekte der Herausgabe von genomischen Rohdaten an erwachsene Patienten und Studienteilnehmende geprüft und den Handlungsleitfaden für Forschungsinstitutionen und Kliniken erstellt.
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News • Personalisierte Medizin
Genommedizin: Deutschland hinkt hinterher
Auf dem TMF-Workshop in Berlin diskutierten Experten aus der europäischen Forschung zum Thema „Genomic Medicine in Europe – Blueprints for Germany“. Mit Blick auf die fortschrittlichen und bereits im klinischen Alltag etablierten Modelle anderer Länder wurde deutlich, dass Deutschland in Sachen Genomgesamtsequenzierung noch eine Menge von seinen europäischen Nachbarn lernen kann.
Nach den gesetzlichen Vorgaben haben Patienten und Studienteilnehmende ein Recht auf die Herausgabe ihrer genomischen Rohdaten. Dem gegenüber steht, dass die Daten ohne Analyse und Interpretation durch Fachleute, Labore oder auch kommerzielle Anbieter dem Einzelnen keine Informationen liefern. Die Analysen der Rohdaten können auch zu sehr sensiblen Informationen über Krankheits- und Erbanlagen der Studienteilnehmenden selbst sowie ihrer engeren Verwandten und Kinder führen.
„In den modernen Lebenswissenschaften und der medizinischen Forschung ist die gesellschaftliche Verantwortung besonders offensichtlich, da neue Forschungsergebnisse geeignet sind, Hoffnungen auf Linderung, Heilung und Verbesserung der Lebensqualität von kranken oder mit Einschränkungen lebenden Menschen zu wecken. Die vorliegende Stellungnahme setzt die Rechte von Patienten in Beziehung zu den Aufklärungs- und Informationspflichten der involvierten ärztlichen und wissenschaftlichen Verantwortungsträger und entwickelt daraus ein angemessenes Gesamtverfahren“, betont Bernhard Eitel, Rektor der Universität Heidelberg.
Quelle: Nationales Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg
13.12.2019