Die Zukunft der Stent-Technologie
Nach dem sensationellen Siegeszug der drug-eluting stents zur Behandlung verengter Herzkranzgefäße, ist es lange Zeit still geworden im Bereich der Gefäßstützen-Technologie. Nun stehen zwei spannende neue Entwicklungen der Firmen Cordis und Biotronik in den Startlöchern, die zurzeit in ersten Studien getestet werden.
[bild-1]Im Interview mit EUROPEAN HOSPITAL erklärt Dr. Holger Eggebrecht, Oberarzt Herzkatheterlabor an der Universitätsklinik Essen, wie diese Implantate helfen sollen, das Risiko einer Stent-Thrombose durch Medikamentenbeschichtung zu verringern.
Dr. Eggebrecht, was zeichnet einen guten Stent aus?
Neben technischen Aspekten steht vor allem der klinische Erfolg eines Stents, der sich in einer niedrigen MACE-Rate (major adverse cardiac events) ausdrückt, im Vordergrund. Insbesondere die Wiedereinengungsrate (Restenose) von Koronararterien nach Stentimplantation ist ein wichtiges Kriterium für die Auswahl eines guten Stents. Die medikamentenbeschichteten Stents haben mit Wiedereinengungsraten um 5% sehr gute Ergebnisse gegenüber den nicht-beschichteten Stents mit bis zu 30 % Wiedereinengungen. Ein Problem bei den medikamentenbeschichteten Stents ist allerdings, dass sie aufgrund ihrer Polymer-Beschichtung schlecht einheilen. Deshalb testen wir gerade in einer First-in-Man-Studie einen völlig neuartigen Depot-Stent von Cordis, der über ein biologisch abbaubares Polymer verfügt.
Aber auch technische Aspekte wie ein dünnes Stentprofil müssen bei der Stentauswahl beachtet werden. So benutzen Kardiologen beispielsweise bei stark verkalkten Gefäßläsionen einen Stent mit besonders dünnem Profil, damit er die verengte Herzkranzarterie überhaupt erreichen kann.
Wie funktioniert dieser neue Stent mit bioresorbierbarem Polymer?
Herkömmliche Medikamenten-Stents arbeiten mit einer Polymerbeschichtung, die ein Leben lang zurück bleibt und eine Einheilung des Stents erschwert. Deshalb muss der Patient mindestens noch ein halbes Jahr nach dem Eingriff die Blutverdünner Aspirin und Clopidogrel einnehmen, um das Risiko einer 1 bis 1 1/2 Jahre später auftretenden Stent-Thrombose zu verringern. Eine Operation muss daher im ersten Jahr nach Implementierung des Herz-Stents unbedingt vermieden werden. Der neue Cordis-Stent verfügt über kleine Reservoirs in der Oberfläche, in denen sich das Medikament befindet. Das Medikament ist dabei an ein bioresorbierbares Polymer gebunden, das das in den Vertiefungen eingelagerte Medikament des neuen Cordis-Stents über nur 90 Tage abgibt und dann vollständig abgebaut ist. Danach ist der Stent sozusagen nicht mehr beschichtet und kann besser einheilen. Dementsprechend verkürzt sich auch die Zeit der oralen Medikamentengabe und des Komplikationsrisikos. Durch die Reservoirs ergibt sich darüber hinaus die Möglichkeit mit verschiedenen Medikamenten an Außen- und Innenseite zu arbeiten, so dass z.B. zur Gefäßwand ein Medikament zur Verhinderung der Narbenbildung und zum Gefäßinneren ein Thrombozytenhemmer zur Blutverdünnung eingesetzt werden kann. Ein weiterer Vorteil gegenüber der alten Stent-Generation ist das neue, sehr viel dünnere Modelldesign, so dass er sich gut in alle Gefäßengstellen einpasst.
Ein weiteres Novum, das sich bei Ihnen in der Erprobung befindet, ist ein selbstauflösender Metall-Stent von Biotronik. Wie haben wir uns das vorzustellen?
Es handelt sich um ein temporäres Implantat, das nicht dauerhaft im Körper verbleibt. Dieser innovative Stent von Biotronik basiert auf einer Magnesiumlegierung und stabilisiert die Gefäßengstelle tatsächlich nur so lange wie nötig. Denn das Stent-System an sich dient allein dem Zweck, das erneute Zusammensacken des durch Ballondilatation aufgedehnten Herzkranzgefäßes zu verhindern. Das geschieht vor allem in der akuten Phase in den ersten Tagen bis 4 Wochen nach dem Eingriff, wenn die Gefäße drohen, wieder „zusammenzuschnurren“ (Recoil). Der Biotronik-Stent aus einer Magnesium-Legierung ist ebenfalls medikamentenbeschichtet (Paclitaxel), um die Narbenbildung der Gefäßinnenwände zu vermeiden. Schwierigster Forschungsgegenstand war hier, zu verstehen, wie lang die Lebensdauer eines auflösenden Stents sein muss, damit er seine Aufgabe erfüllen kann. Der neue Stent hält jetzt ein halbes Jahr.
Gibt es Strategien, den unbeschichteten Stent weiter zu verbessern?
Sicherlich gibt es hier einige vielversprechende Ansätze. Die Industrie setzt aber mittlerweile hauptsächlich auf die Weiterentwicklung der medikamentenbeschichteten Implantate. Das ist insofern problematisch, als dass der unbeschichtete Stent noch immer am häufigsten eingesetzt wird, es aber kaum aktuelle Studien mehr dazu gibt. Deshalb haben wir mit der Firma Biotronik zusammen eine EU-weite Studie initiiert, die den Einsatz des Bare Metal von Biotronik (Prokinetic Energy) an 1.000 Patienten in 50 Herzzentren untersucht. Es gibt kaum verlässliche Daten zur Erfolgsrate der Bare Metal Stents im Vergleich zu den medikamentenbeschichteten Implantaten.
Wie bewerten Sie die anhaltende Diskussion medikamentenbeschichtete vs. unbeschichtete Stents?
Die Überlegenheit der medikamentenbeschichteten Stents gegenüber den unbeschichteten ist in zahlreichen Studien weltweit bewiesen worden und mittlerweile verwenden wir sie in 80 Prozent der Fälle. Es gibt klare Indikationen, warum man beschichtete Stents verwendet: Diese sind hauptsächlich kleine Gefäßdurchmesser und das Vorliegen eines Diabetes. Das Risiko einer Stent-Thrombose lässt sich darüber hinaus verringern, indem man den Dilatationsdruck während der Stent-Implantation erhöht. So kann der Stent gleichmäßig seinen nominalen Durchmesser erreichen und bietet weniger Angriffsfläche für die Bildung von Gerinnseln. Nur bei älteren Patienten, die ein erhöhtes Blutungsrisiko aufweisen, sollte man eher zu den nicht-beschichteten Stents greifen. Die höheren Kosten der medikamentenbeschichteten Stents spielen dagegen eine untergeordnete Rolle, weil die Patientensicherheit definitiv vorgeht. Wichtig sind und bleiben Verlaufskontrollen im Herzkatheterlabor, damit man den Erfolg der jeweiligen Intervention beurteilen kann.
Dr. Eggebrecht, vielen Dank für das Gespräch.
20.08.2010