Artikel • Präzise Daten – präzise Diagnose – präzise Behandlung
Die drei Wellen der Digitalisierung
Gesundheitsinformations- und Kommunikationstechnologie (Gesundheits-IKT) ist heute aus der Arbeit eines Arztes nicht mehr wegzudenken – und sie ist ein strategisches Werkzeug für Veränderung.
Bericht: Sascha Keutel
Arbeitsschwerpunkt von Jarmo Reponen, Professor für Gesundheitsinformationssysteme an der Medizinischen Fakultät der Universität Oulu, Finnland, ist die Auswirkung der Digitalisierung auf die Gesundheitsversorgung in den nordeuropäischen Ländern, insbesondere geht es ihm dabei um Fragen der Verfügbarkeit, Nutzung und Nutzbarkeit des Informationssystems. „Der digitale Transformationsprozess“, so Professor Reponen, „kann in drei Wellen der Digitalisierung beschrieben werden.“
Die erste Welle der Digitalisierung brachte den Gesundheitssystemen die elektronische Patientenakte (EPA), digitale Bildarchive (PACS) und Vernetzung in der Bildgebung und im Labor. Alle medizinischen Daten wurden umgewandelt und Krankenhäusern und Einrichtungen der Primärversorgung in digitalen Formaten bereitgestellt. In Finnland und anderen nordeuropäischen Ländern waren solche Tools vor gut zehn Jahren sowohl in der öffentlichen als auch in der privaten Versorgung flächendeckend eingeführt. „Diese grundlegende Infrastruktur jedoch reicht nicht aus, um eGesundheit erfolgreich zu realisieren. Die nationalen Strategien in verschiedenen Ländern legen einen Schwerpunkt auf bürgerzentrierte Versorgung, die aber auch die Mitarbeiter im Gesundheitssystem in angemessener Art und Weise einbindet“, erläutert Professor Reponen.
Und genau hier setzte die zweite Welle der Digitalisierung an: Die Mitarbeiter wurden durch nationale Health Information Exchanges (HIE) und durch Tools für die Interaktion mit den Patienten enger vernetzt. „Der Kerngedanke dieser zweiten Welle ist das sogenannte Patient Empowerment – die Patienten erhalten die Kontrolle über ihre medizinischen Daten. Jede Reform des Gesundheitswesens muss unbedingt auf Wahlfreiheit und Mobilität der Patienten abzielen“, so Reponen weiter. Die nordeuropäischen Länder waren Pioniere der landesweiten eRezepte.
Während die zweite Welle noch nicht vorbei ist, kommt die dritte schon herangerollt: Jetzt ist es die künstliche Intelligenz (KI), etwa in Form von Machine Learning, die einen Quantensprung der Digitalisierung des Gesundheitswesens verspricht. „Diese dritte Welle der Digitalisierung hat bereits das Wissen der Systeme verbessert, so wird zum Beispiel die Spracherkennung immer starker genutzt und automatisierte Warnungen bei medizinischen Interaktionen sind heute Gang und Gäbe“, so Reponen. Darüber hinaus „werden Tools, die die Entscheidungsfindung unterstützen, stärker in die EPA integriert, und wir sehen erste Schritte im digitalen Management des Versorgungsprozesses.“
Entscheidungsunterstützung – das Schlagwort der Zukunft
In einem solchen Umfeld werden die Anbieter die Nase vorn haben, die schnell auf Innovationen reagieren können
Jarmo Reponen
Der Übergang in die dritte Welle der Digitalisierung wird den Workflow in Diagnose und Therapie verändern. „Die Mitarbeiter in der Gesundheitsversorgung werden noch enger miteinander vernetzt“, so der Spezialist. Wenn Ärzte jetzt auf frühere Daten, sowohl des Patienten als auch vergleichbarer Fälle, zugreifen können, wird sich das auf die Qualität der Diagnosen auswirken, konkret heißt das laut Reponen, „wir können präzisere Diagnosen stellen und bessere Therapieentscheidungen treffen“.
Und doch: Dass ein System medizinische Daten speichert und zur Verfügung stellt und so die Behandlung unterstützt, ist nicht genug für Reponen: „Wir brauchen starker workfloworientiere Softwarepakete für die Mitarbeiter in der Versorgung – Software, die uns bei der Arbeit Hilfestellung gibt. Ein mögliches Szenario: Wir sehen einen Patienten in unserem Sprechzimmer und die Software sagt uns automatisch, welche Tools wir benötigen, um diesen individuellen Patienten zu diagnostizieren oder zu behandeln.“ Reponen hat bereits konkrete Vorstellungen, wie diese künftigen Tools aussehen müssen: „Wir brauchen mehr Standardisierung in den unterschiedlichen Software-Paketen. Sie müssen alle sogenannte APIs haben, Application Programming Interfaces, und Konnektivität muss in alle Add-ons eingebaut sein, damit Neuerungen immer integriert werden können.“ In einem solchen Umfeld, da ist sicher Reponen sicher, „werden die Anbieter die Nase vorn haben, die schnell auf Innovationen reagieren können.“
Auswirkungen auf Lehre und Leben
Der Einsatz von Hilfsmitteln zur Entscheidungsfindung wird sich auch in der Aus- und Weiterbildung von Ärzten und Pflegekräften niederschlagen müssen. „Die meisten jungen Kollegen nutzen soziale Medien wie YouTube und Facebook in ihrem Privatleben. Aber in ihr Berufsleben haben diese neuen Software-Tools noch nicht Einzug gehalten. Wir müssen die Lehrpläne der medizinischen Fakultäten und in der Pflegeausbildung ändern, damit wir in Zukunft besser Leben retten können.“ Die Rolle der Patienten, so Reponen abschließend, wird mit den neuen Konzepten und Hilfsmitteln der eGesundheit an Bedeutung gewinnen. Diese digitalen Tools werden die Patienten und die Bürger noch mehr Kontrolle über ihre Gesundheit und ihre Daten geben.“
Profil:
Dr. Jarmo Reponen, Radiologe und ehemaliger Präsident der Finnish Society of Telemedicine and eHealth (FSTeH) und EuroPACS, ist Professor für Gesundheitsinformationssysteme an der Medizinischen Fakultät der Universität Oulu, Finnland. Seit 25 Jahren arbeitet er im Themenbereich Entwicklung, Implementierung und Evaluierung von Krankenhausinformationssystemen, insbesondere elektronische Patientenakte und bildgebende Systeme. Vor 20 Jahre war sein Team an der Entwicklung der weltweit ersten App für Smartphones beteiligt. Aktuell beschäftigt er sich schwerpunktmäßig mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesundheitsversorgung in den nordeuropäischen Ländern, insbesondere geht es ihm dabei um Fragen der Verfügbarkeit, Nutzung und Nutzbarkeit des Informationssystems.
16.04.2018