OR goes digital
PACS-Chirurgie als Wegbereiter des digitalen OPs?
Ein PACS (Picture Archiving and Communications System) gehört heute zur Grundausstattung jeder radiologischen Abteilung. Jetzt erobert diese ausgereifte Technologie auch die Chirurgie. Wird das PACS das Rückgrat des digitalen OPs?
Report: John Brosky
Der OP-Bereich ist eine der teuersten und arbeitsintensivsten Abteilungen eines Krankenhauses. Daher überrascht es kaum, dass standardisierte – und computergestützte – Verfahren die Kosten im Zaum halten und gleichzeitig die optimale chirurgische Versorgung zum Wohle der Patienten gewährleisten sollen. Aber ein OP ist eine hoch komplexe Einrichtung, die gewaltige Anforderungen an die IT stellt: 30 bis 50 medizinische Geräte müssen datentechnisch koordiniert werden – und viele von ihnen sind noch nicht einmal in der Lage, miteinander zu kommunizieren.
Ende Juni treffen sich in Barcelona Radiologen, Chirurgen, Ingenieure, Informatiker und Gesundheitsmanager zum Computer Assisted Radiology and Surgery (CARS) Kongress. Ihr Ziel ist es, ihre so unterschiedlichen Disziplinen im OP der Zukunft zusammenzuführen – ein OP, der das Modernste vereint, was Bildverarbeitung und Visualisierung zu bieten haben, um modellgeführte Eingriffe unter chirurgischer Navigation und mithilfe von Robotern zu ermöglichen.
Prof. Dr. Heinz Lemke, einer der Gründer des CARS Kongresses und Vorsitzender des CARS Organisationsausschusses, ist Informatiker, Forscher und eine Koryphäe auf dem Gebiet der computergestützten Medizin. „Von ‚Chirurgie‘ zu sprechen – das ist viel zu allgemein”, erklärt er European Hospital, „wir müssen vielmehr über konkrete chirurgische Eingriffe sprechen, von denen jeder seinen ganz spezifischen Workflow hat.“
Dieser strukturierte Ansatz, jeden chirurgischen Eingriff in eine Sequenz von Schritten zu zerlegen, entspricht der Logik von IT-Systemen, wie es auch ein PACS ist. Allerdings, so Dr. Lemke, ist ein Radiologie-PACS vergleichsweise einfach strukturiert: „Ein Radiologie-Workflow besteht im Normalfall aus fünf Schritten. Zwischen diesen Schritten können Sie auch gerne mal eine Pause machen und einen Kaffee trinken gehen. Im OP ist das völlig anders: Hier kann ein Eingriff aus 28 Schritten bestehen, ein anderer aus 35. Bei komplexen Operationen wie einem Mitralklappenersatz haben wir 480 Schritte gezählt. Es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende von spezifischen Workflows für die spezifische Eingriffe, und alle müssen modelliert werden.“
Ziel der PACS-Chirurgie ist es jedoch nicht, alle Informationen immer verfügbar zu machen. Vielmehr geht es um Visualisierung: In jedem Workflow-Schritt wird nur genau das dargestellt, was in diesem konkreten Moment relevant ist. Für Elisabeth Beckmann, Beraterin für IT und PACS bei Lanmark, geht die Herausforderung weit über den simplen Transfer von Bildern aus der Radiologie in die Chirurgie hinaus: „Es werden viele andere Arten von Informationen benötigt. Zum Beispiel kann es sein, dass ein Chirurg während eines bestimmten Eingriffs an einem bestimmen Punkt Daten aus der Pathologie braucht. Die zentrale Frage ist daher nicht, an welchem Punkt diese Daten integriert werden, sondern wie sie wem gegenüber dargestellt werden.“
Das intraoperative Mapping ist das Kernstück des Ansatzes, den das Innovation Center Computer Assisted Surgery an der Universität Leipzig verfolgt, an dem Prof. Lemke Seniorberater für Forschungsstrategien ist. Mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung, so Prof. Lemke, und in Zusammenarbeit mit Forschungsteams aus Japan und den USA hat die Leipziger Gruppe bis dato Tausende von Workflows modelliert und koordiniert ein internationales Projekt zur Digitalisierung von OPs.
„Meine Funktion als Vorsitzender der IHE (Integrating the Healthcare Enterprise) Surgery Domain ist es, diese Projekte an einen Tisch zu bringen, damit wir Integrationsprofile entwickeln, die als Grundlage für internationale Leitlinien dienen können“, erläutert er. Diese Integrationsprofile ermöglichen die Workflow-Standardisierung chirurgischer Eingriffe. Die Medizingeräte-Hersteller integrieren diese Profile in ihre Produkte und stellen damit sicher, dass die Geräte im OP miteinander kommunizieren können.
Im Rahmen des CARS Kongresses in Barcelona wird die Mensch-Maschine-Schnittstelle in der Session Medicine Meets Virtual Reality vorgestellt, die gemeinsam von NextMed und der International Foundation for Computer Assisted Radiology and Surgery (IFCARS) organisiert wurde. Die internationale Ausrichtung der Arbeit am OP der Zukunft verdeutlicht das Programm des CARS Kongresses, das spezielle Veranstaltungen vorsieht für die European Society of Medical Imaging Informatics, die International Society for Computer Aided Surgery und die International Society of Optics and Photonics.
PROFIL:
Prof. Dr. Heinz U. Lemke forscht und lehrt als Informatik-Professor an der TU Berlin, wo er den Forschungsbereich Computergestützte Medizin leitet. Darüber hinaus ist er Research Professor of Radiology an der University of Southern California, Seniorberater Forschungsstrategien am Innovation Center Computer Assisted Surgery (ICCAS) an der Universität Leipzig und Visiting Fellow am Institute of Advanced Studies der Technischen Universität München. Seit 1983 organisiert er die die Computer Assisted Radiology and Surgery (CARS) Kongresse; er ist Editor-in-chief des International Journal of CARS und Exekutivdirektor der International Foundation for CARS.
11.05.2015