Diagnostische Gratwanderung

Die Kinderradiologie

Keine Frage: Kinderradiologen sind ganz besonders gefordert.

Dr. Birgit Kammer
Dr. Birgit Kammer

Zum Wohl ihrer kleinen und kleinsten Patienten müssen sie die Risiken bildgebender Verfahren treffsicher einschätzen und kompetent abwägen können.

Bild-2] Denn eine Computertomographie-(CT-) Diagnostik erfordert eine gewisse Strahlendosis, die dem Säugling beziehungsweise dem Kind schaden kann. Zugleich liefert das CT jene Bilder, die das Überleben des Kindes sichern – etwa wenn Fehlbildungen entdeckt und chirurgisch entfernt werden können.

Dr. Birgit Kammer kennt das Dilemma. Die Radiologin hat sich auf die Kinderradiologie spezialisiert und arbeitet als Oberärztin in der Pädiatrischen Radiologie des Dr. von Haunerschen Kinderspitals am Uniklinikum der Ludwig- Maximilians-Universität München. Wie sehr ihr die Kinderradiologie am Herzen liegt, wird deutlich, wenn sie über ihre Session beim Bayerischen Radiologenkongress Ende September in Erlangen spricht. Dr. Birgit Kammer möchte ihre Kollegen aufklären, ihnen interessante Krankheitsbilder vorstellen und für das Fach werben. „Wir Kinderradiologen haben große Nachwuchssorgen. Das liegt einerseits an der Vergütung, andererseits daran, dass die Kinder- und Jugendmedizin keine starke Lobby hat. Und vielen Kollegen sind diese kleinen Patienten mit ihren schweren Erkrankungen auch nicht so ganz geheuer.“ Die Münchner Kinderklinik ist bundesweit als Spezialeinrichtung bekannt: „Zu uns kommen Kinder aus allen Regionen Deutschlands. Daher sehen wir auch seltene Krankheitsbilder“, sagt Dr. Kammer. Und sie weiß auch, dass wenige Kilometer außerhalb der Stadt die medizinisch-diagnostischen Möglichkeiten begrenzt sind. Die Kinderradiologin will vor allem aufklären: Jeder Radiologe sollte wissen, wie breit die Palette der Erkrankungen im Kindesalter ist und wie diese zu diagnostizieren sind.
 

CT-Bilder müssen aussagekräftig sein

Die richtige diagnostische Methode in der Kinderradiologie gleicht einer Gratwanderung. Die Radiologen müssen verschiedene Ziele abwägen: Ist eine CT-Diagnostik angemessen, um eine gute Grundlage für eine mögliche Operation zu haben? Wie ist dann die Kontrastmittelgabe zu dosieren und zu timen, wie groß muss die Feldgröße sein? Oder ist eine Magnetresonanztomographie (MRT) doch die bessere Wahl? Selbst wenn das Neugeborene dafür rund eine Stunde lang in Narkose zu versetzen ist? „Auch eine MRT ist bei Säuglingen und Kleinkindern eine Herausforderung und kann zum Beispiel beim Verdacht auf einen Lungensequester oder bei einem doppelten Aortenbogen und bestimmten Herzfehlern eingesetzt werden. Allerdings ist die CT der MRT immer dann überlegen, wenn es auf die Visualisierung des Lungenparenchyms und der Luftwege wie zum Beispiel beim Schweinebronchus oder bei einer trachealen Einengung ankommt. Da Fehlbildungen der Lunge, des Herzens und der thorakalen Gefäße oft – aber nicht immer – assoziiert sind, kann man in Einzelfällen unterschiedlicher Meinung sein, ob man besser eine MRT- oder eine CT-Diagnostik durchführt, erläutert Kammer.
 

Und wie kann eine CT-Untersuchung von Säuglingen gelingen?

Schließlich bringen die Neugeborenen nur wenige Kilogramm auf die Waage. „Unsere große Herausforderung ist, die Bildgebung bei einem geringen Körpergewicht technisch so zu bewältigen, dass sie dem Baby nicht schadet und dennoch aussagekräftige Aufnahmen liefert. Die Protokolle dürfen auf keinen Fall genauso gefahren werden wie bei einem übergewichtigen Erwachsenen von 120 oder 140 Kilogramm“, warnt die Expertin. Dennoch darf aber das zentrale Ziel der Untersuchung, nämlich Fehlbildungen zu erkennen, nicht aus dem Blick geraten: „Kein Chirurg der Welt wird sich darauf einlassen, den Thorax eines Babys aufgrund eines schlechten Scans zu operieren. Das heißt auch: Wenn eine CT gemacht werden muss, darf ich keine Angst vor der Dosis haben. Das wäre aus meiner Sicht falsch verstandener Strahlenschutz. Folglich darf die Dosis nicht so niedrig angesetzt sein, dass die Pathologie nur erahnt werden kann.“ Klar ist für Dr. Birgit Kammer: Eine CT bei Säuglingen ist eine medizinische „Spezialität“, die bei einer gravierenden Problematik ihre Berechtigung hat und für deren Einsatz es erfahrener Radiologen bedarf. „Bei Fehlbildungen der Trachea und der Lunge ist die CT notwendig, auch bei gravierenden entzündlichen Lungenerkrankungen und der Lungenmetastasendiagnostik. Viele Fehlbildungen lassen sich in einem CT eben sehr viel besser erkennen als in einem MRT“, so ihr abschließender Kommentar.

I M P R O F I L

Nach dem Studium der Humanmedizin an der Ludwig- Maximilians-Universität München (LMU) hat sich Dr. Birgit Kammer auf die Radiologie spezialisiert. Im Rahmen der Facharztausbildung forschte sie unter anderem auch an der Harvard Medical School in Boston am Massachusetts General Hospital. Nach Abschluss der Facharztausbildung im Jahr 1995 arbeitete sie als Funktionsoberärztin der Röntgenabteilung der Chirurgischen Klinik mit dem Schwerpunkt MRT und wechselte im Juni 1997 als Oberärztin in die Pädiatrische Radiologie des Dr. von Haunerschen Kinderspitals der LMU. Ende 2001 erwarb sie die Schwerpunktbezeichnung „Kinderradiologie“. Seit Mai 2007 gehört Dr. Birgit Kammer dem Prüfungsausschuss der Bayerischen Landesärztekammer an und kümmert sich dort um die Belange der allgemeinen und der Kinderradiologie.
 

24.09.2012

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