Diabetes-Management im Krankenhaus

Text: Karoline Laarmann

Diabetes mellitus ist eine schleichende Krankheit – sie verursacht lange Zeit subjektiv wenige oder gar keine Beschwerden. Trotzdem ist sie lebensbedrohlich – vor allem dann, wenn sie nicht oder zu spät erkannt wird. Das gilt auch im Krankenhaus. Denn obwohl Diabetes als Volkskrankheit Nr. 1 bekannt ist, wird er im stationären Bereich häufig nur zufällig entdeckt.

Erhard Siegel
Erhard Siegel

Diabetologie – das ist im Bewusstsein vieler Krankenhausärzte etwas für die Kollegen im ambulanten Bereich. Doch was passiert, wenn ein Patient in der Nebendiagnose Diabetiker ist?

„Diabetes mellitus als Nebendiagnose beeinflusst den Verlauf anderer Krankheiten gravierend, und die Liegezeiten im KH werden durch eine insuffiziente Therapie unnötig verlängert“, weiß PD Dr. Erhard Siegel, Chefarzt Gastroenterologie, Diabetologie und Stoffwechsel am St.Vincenz Krankenhaus, Limburg, und Erster Vorsitzender des Bundesverband der Diabetologen in Kliniken e.V. „Systemische Infektionen, Wundheilungsstörungen, dialysepflichtiges Nierenversagen oder erhöhter Transfusionsbedarf um nur einige Komplikationen zu nennen, sind direkt vergesellschaftet mit schlechter Blutzucker-Einstellung bei kritisch kranken Patienten.“

Dr. Siegel beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie sich durch ein verbessertes Diabetes-Management im Krankenhaus eine Optimierung der Versorgungsqualität und Kosteneinsparungen erzielen lassen. „Die diabetologische Grundversorgung in deutschen Akutkrankenhäusern ist besorgniserregend“, meint der Spezialist. „Von insgesamt 2.087 Kliniken im Jahr 2008 in der BRD besitzen maximal 250 eine ausreichende diabetologische Expertise.“ Eine von Dr. Siegel in den Jahren 2001 bis 2003 initiierte Erhebung an 16 unterschiedlichen Kliniken ergab, dass bei etwa 12 % der stationären Patienten Diabetes mellitus als Haupt- oder Nebendiagnose im DRG(Diagnose Related Groups)-System kodiert wird. Mittlerweile kann man auf die Datenanalyse des InEK (Institut für Entgeldsystem im Krankenhaus) zurückgreifen. 2008 wurden 17,2 Mio Menschen stationär in der BRD behandelt. Bei 2.100.000 Patienten wurde die Nebendiagnose (12%) Diabetes und bei 215.208 Patienten die Hauptdiagnose (1,3%) kodiert. „Das sind allerdings nur die Patienten, die auch als Diabetiker erkannt werden. Die Dunkelziffer liegt wesentlich höher“, so Dr. Siegel. „Denn wenn kein Diabetologe im Haus ist, dann wird auf die Blutzuckerwerte oft nicht geachtet und die Diagnose Diabetes mellitus wird auch nicht gestellt. Das bedeutet ganz konkret für den nicht erkannten oder für den schlecht eingestellten Diabetiker, dass sein Mortaliäts- und Morbiditätsrisiko drastisch steigt.“

Eine über mehrere Jahre durchgeführte Analyse (Ludwigshafen-Limburger-Diabetesmodell) von Dr. Siegel bestätigte diesen Verdacht: Die systematische Untersuchung in einem Krankenhaus der Maximalversorgung mit einer Gesamtfallzahl von 45.000 (2001-2003) und an einem Krankenhaus der Schwerpunktversorgung mit einer Gesamtfallzahl von 20.000 (2003-005) ergab eine Prävalenz des Diabetes mellitus von etwa 30 % und bereits nachgewiesene Folgekomplikationen von 75 % aller im Krankenhaus behandelten Patienten. Diabetes mellitus (als Nebendiagnose) gehört damit zu den am häufigsten zu behandelnden Erkrankungen im stationären Bereich. Tatsächlich wird aber nur bei 30 % der Patienten diese Nebendiagnose gestellt und wiederum nur bei etwa 10 % die Folgekomplikationen erkannt.

Welche wirtschaftlichen Effekte ergeben sich daraus? „Man kann sagen, dass ein Haus mit 500 Betten und einer Gesamtfallzahl von 20.000 Patienten im Jahr allein für die korrekte DRG-Kodierung eines Diabetikers zwischen 150 – 200.000 Euro Erlössteigerung erzielen kann. Dazu kommen natürlich die Effekte kürzerer Liegezeiten: Bei der Hauptdiagnose Diabetes sind das 2 Tage, bei der Nebendiagnose 1 Tag“, so Dr. Siegel.
„Erkennen, Behandeln, Kodieren“ – so lauten die 3 Schritte zu einem erfolgreichen und kosteneffizienten Diabetesmanagement. Voraussetzung dafür sind klar definierte Strukturen und Prozesse, die schriftlich fixiert und jederzeit einsehbar in Form von Behandlungsrichtlinien im Intranet vorliegen. Die Umsetzung der Prozesse wird von einem diabetologisch versierten Arzt, einer Diabetesberaterin und speziell weitergebildeten Pflegekräften sichergestellt. Das heißt, die 24 Stunden Anwesenheit oder Erreichbarkeit dieses dreiarmigen Diabetes-Interventionsteams muss garantiert sein.

Eine wichtige Rolle spielen auch abteilungsübergreifende Absprachen zur perioperativen Stoffwechselführung, erklärt Dr. Siegel: „Selbst unter Ärzten gibt es immer noch die verbreitete Meinung, Diabetes sei nicht schlimm. Deshalb ignorieren viele Operateure die Insulinierung – mit katastrophalen Folgen. Daher muss ein diabetologischer Konsiliardienst organisiert werden und dem verantwortlichen Diabetologen eine abteilungsübergreifende Entscheidungsbefugnis für die Diabetestherapie erteilt werden. Das heißt, er muss die Möglichkeit haben, unaufgefordert und jederzeit, die Blutzuckerwerte aller Patienten auf allen Stationen einzusehen und einzustellen.“ Bereits bei der stationären Aufnahme sollte daher ein generelles Screening durch Blutzuckermessung stattfinden. Die Stoffwechselwerte werden dann vom Labor auf die Station und auf den Computerarbeitsplatz des Diabetologen weitergeleitet. Der Diabetologe informiert dann gegebenenfalls das Pflegepersonal in der Abteilung, sollte er einen Diabetiker identifiziert haben. Die Umsetzung von Dosisanpassungen und die Dokumentation der Therapie in einem standardisierten Formblatt übernimmt die geschulte Pflege vor Ort. „Die Diabetologie hat sich im stationären Sektor ähnlich wie die Radiologie oder die klinische Chemie zu einem Querschnittsfach entwickelt. Deshalb muss sie auch als eigenständige Abteilung quasi als Dienstleistungszentrum agieren. Nur so können Ressourcen mobilisiert, Kosten eingespart und Erlöse gesichert werden“, schließt Dr. Siegel.
 

08.07.2010

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