Knochentumore

Das LAMA-Prinzip

Etwa die Hälfte aller histologisch gesicherten Knochentumoren ist bösartig, wobei die Osteosarkome die häufigste Form maligner Knochentumoren darstellen. Der Altersgipfel für diese Tumorart liegt zwischen dem 10. und 20. Lebensjahr. „Gerade weil die Klinik relativ unspektakulär verläuft und Beschwerden nicht zugeordnet werden können, werden viele Fälle erst sehr spät entdeckt“, erklärt Prof. Dr. Matthias Bollow, Chefarzt der Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Nuklearmedizin an der Augusta-Kranken-Anstalt in Bochum.

Prof. Dr. Matthias Bollow
Prof. Dr. Matthias Bollow

Herr Prof. Bollow, wie können Knochentumoren und tumor-ähnliche Läsionen sicher diagnostiziert und voneinander unterschieden werden?
Bollow: Eine sichere bildgebende Unterscheidung zwischen malignen und benignen Knochentumoren ist nicht immer möglich, sodass relativ häufig offene Biopsien zur Unterscheidung notwendig werden. Bildgebende Kriterien für Malignität sind schnelles und kompartmentüberschreitendes Wachstum nach parossal oder mit Gelenkeinbruch, komplexe Periostreaktionen, eine Hypervaskularisierung und Fernmetastasen zum Beispiel in die Lunge. Benigne Knochentumoren weisen dagegen häufig eine glatte Kontur, eine Randsklerose und ein homogenes Gewebe beziehungsweise eindeutige zystische Formationen auf.


Welche Kriterien werden für die Bestimmung der Diagnose zugrunde gelegt?
Die wichtigsten Kriterien zur Bestimmung der Artdiagnose von Knochentumoren sind im LAMA-Prinzip zusammengefasst. Dabei steht das L für Lokalisation im Knochen, da bestimmte Knochentumoren bevorzugte Prädilektionsstellen aufweisen: So wachsen Chondroblastome überwiegend in der Epiphyse der langen Röhrenknochen, Enchondrome überwiegend in der Metadiaphyse und Riesenzelltumoren überwiegend im epimetadiaphysären Übergang. Das A steht für das Alter der Patienten, weil bestimmte benigne und maligne Knochentumoren bevorzugt in bestimmten Altersgruppen vorkommen: Bei Kindern unter zehn Jahren treten als benigne Läsionen die solitären und aneurysmatischen Knochenzysten, die fibröse Dysplasie und das eosinophile Granulom bevorzugt auf, unter den malignen Tumoren hat das Ewing-Sarkom seinen Altersgipfel. In der Altersgruppe zwischen zehn und 20 Jahren kommen als benigne Läsionen das nicht ossifizierende Knochenfibrom, das Osteoidosteom und Knochenzysten bevorzugt vor. Bei den malignen Tumoren ist das der Altersgipfel für Osteosarkome und Ewing-Sarkome. Zwischen 20 und 40 Jahren stehen bei den benignen Tumoren das Enchondrom und der Riesenzelltumor im Vordergrund, bei den malignen Knochentumoren weist das maligne fibröse Histiozytom (heute als undifferenziertes pleomorphes Sarkom benannt) einen Altersgipfel auf. Bei über 40-Jährigen werden auf der benignen Seite häufig Enchondrome detektiert, auf der malignen Seite stellen neben den sehr häufigen Knochenmetastasen epithelialer Tumoren und den Plasmozytomen die Chondrosarkome den größten Anteil dar. Das M steht für die Bestimmung der Morphologie, wobei grundsätzlich zwischen osteolytischen und osteosklerotischen Tumoren unterschieden wird und nach Tumormatrixverkalkungen beziehungsweise Matrixverknöcherungen gefahndet wird: Tumoren ohne Matrixmineralisation betreffen alle bindegewebigen Tumoren und den Riesenzelltumor. Verknöcherungen sind das wegweisende Kriterium für osteogene Tumoren wie das Osteom, das Osteo-sarkom und den Osteoidosteom-Nidus. Stippchenförmige, flockige, bogen- und ringförmige Matrixverkalkungen sind das diagnostische Hauptkriterium bei Knorpeltumoren wie Enchondromen und Chondrosarkomen. Die sogenannte Mattglas- oder Milchglasmatrix ist beweisend bei der Diagnose einer fibrösen Dysplasie. Dystrophe Verkalkungen finden sich regelmäßig in intraossären Lipomen.

Das zweite A steht für die Bestimmung der Tumoraggressivität und wird durch Zuordnung von Osteolysen in der sogenannten Lodwick-Klassifikation und durch Beschreibungen von Periostreaktionen bestimmt. Die Einordnung von Osteolysen in die Lodwick-Klassifikation ist obligat bei der Diagnostik von Knochentumoren, da mit dieser das Gleichgewicht zwischen tumorinduziertem Knochenabbau und der Reaktion des Knochens auf das Tumorwachstum bestimmbar ist. Das zweite Kriterium zur Bestimmung der Aggressivität und der Dauer des zugrundeliegenden Tumors sind die Periostreaktionen, wobei zwischen kontinuierlichen, unterbrochenen und komplexen Reaktionen differenziert wird.


Welchen Stellenwert haben die verschiedenen bildgebenden Verfahren in der muskuloskelettalen Diagnostik?
Am Anfang jeder bildgebenden Diagnostik eines Knochentumors steht das konventionelle Röntgenbild beziehungsweise die Projektionsradiographie in zwei Ebenen. Die Artdiagnose und Dignität eines Knochentumors sind aufgrund der Topographie, der Einschätzung der Aggressivität mithilfe der Lodwick-Klassifikation und der Periostreaktionen und der Erkennung typischer Matrixossifikationsmuster in den allermeisten Fällen allein mithilfe des Röntgenbildes sicher zuzuordnen. Alle anderen Verfahren wie MRT, CT und Szintigraphie sind ergänzende Untersuchungsverfahren. Die MRT ist sicherlich die beste Methode zur Darstellung von Weichteilstrukturen und hat ihren festen Platz im Staging von Knochensarkomen. Nachteilig ist an der MRT jedoch, dass sie den Knochen selbst, besonders die Spongiosa und Kompakta, nicht direkt darstellen kann und auch keine Matrixverkalkungen oder Periostreaktionen erkannt werden können. Ihre Stärke liegt im Erkennen von Raumforderungen im Markraum des Knochens und in der Detektion von knochenüberschreitenden parossalen Weichteilinfiltrationen oder Einbrüchen in ein Gelenk und ist darin allen anderen Verfahren überlegen. Als sinnvolle Zusatzdiagnostik zur Visualisierung von vorwiegend knöchernen oder verknöcherten Geweben hat sich die CT als Methode der Wahl erwiesen, die zum Beispiel die Tumorossifikationen eines Osteosarkoms, die Matrixverkalkungen eines chondromatösen Tumors oder den Nidus eines Osteoidosteoms sehr gut darstellen kann.


Wie lautet Ihr Fazit?
Die Diagnose eines Knochentumors ist häufig schwierig und verlangt eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Klinikern, Radiologen und Pathologen. Wichtig in der radiologischen Diagnostik ist der primäre Einsatz der Projektionsradiologie in zwei Ebenen und erst an zweiter Stelle die Zusatzdiagnostik mit MRT und/oder CT. Auch die Skelettszintigraphie spielt bei der Detektion und beim Staging weiterhin eine wichtige Rolle. Die Diagnose eines Knochentumors sollte als Synopsis aus klinisch-radiologischen sowie pathologisch-anatomischen und histologischen Befunden in einem Kreis von Spezialisten in dafür vorgehaltenen Tumorkonferenzen gemeinsam erarbeitet werden. Das ist meiner Meinung nach viel wichtiger als der Einsatz von teuren Hybridverfahren wie zum Beispiel der PET-CT oder der MR/PET, die nicht flächendeckend zur Verfügung stehen.


PROFIL:
Prof. Dr. Matthias Bollow ist seit März 2002 Chefarzt des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Nuklearmedizin der Augusta-Kranken-Anstalt Bochum. Nach dem Studium an der Medizinischen Hochschule in seiner Heimatstadt Hannover war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Radiologischen Instituts der Charité tätig, wo er 1998 zum Oberarzt ernannt wurde. Im Jahr 2000 erhielt er die Lehrbefugnis für das Fach Diagnostische Radiologie, seit 2007 hält er eine außerplanmäßige Professur an der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.

05.12.2014

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