Artikel • Patient Blood Management
Dank PBM besser mit Patientenblut haushalten
Eine der wichtigsten Ressourcen der Menschheit ist das Blut. Und das ist weltweit aus zwei Gründen knapp. Erstens wird immer weniger Blut gespendet bei gleichzeitig steigendem Bedarf durch mehr Operationen. Zweitens wird zuviel Blut verschwendet, zum einen bei teilweise überflüssigen Bluttests und zum anderen durch zu große Mengen, die für Untersuchungen entnommen werden. Deshalb wird von Transfusionsmedizinern schon länger ein stringentes Patient Blood Management (PBM) gefordert.
Bericht: Anja Behringer
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Während sich die Bluttransfusion über viele Jahrzehnte als sicheres Verfahren etabliert hat, herrscht über die Methoden des PBM bisher noch kein wissenschaftlicher Konsens. „Viele Ansätze des PBM sind möglicherweise bislang wissenschaftlich nicht ausreichend überprüft; sowohl Über- als auch Untertransfusionen und alternative Behandlungsstrategien können mit Nebenwirkungen und Komplikationen für den Patienten verbunden sein“, sagt Professor Erhard Seifried aus Frankfurt. Der ärztliche Direktor und Medizinische Geschäftsführer des DRK-Blutspendedienst, Institut für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie, hatte den Vorsitz einer internationalen Konferenz in Frankfurt inne, deren Ziel es war, Klarheit in Bezug auf die Bedeutung von Bluttransfusionen und alternativen Methoden zur Behandlung der Anämie (Blutarmut) zu schaffen. Um das Ergebnis gleich vorweg zu nehmen: es gab keines – zur Überraschung der anwesenden 200 Experten aus 40 Ländern von fünf Kontinenten.
Um nun mit Blutgaben haushälterisch umzugehen und den zu operierenden Patienten mit der richtigen Menge zu versorgen, sind umfangreiche Voruntersuchungen nötig. Die Behandlungsweisen differieren jedoch weltweit erheblich, so die Erkenntnis der Konferenz. „Nichts ist eindeutig, es gibt keine umfassenden Studien und nur einer kleiner Teil von ihnen ist auswertbar“, erklärte auf Nachfrage der EH Professor Dr. Dr. h. c. Reinhard Burger, Immunologe und 2010-2015 Leiter des Robert Koch-Instituts in Berlin. Insgesamt wurden rund 1500 Studien zu den Fragestellungen der Konsensuskonferenz analysiert aber nur 142 haben den heutigen Evidenzansprüchen genügt und konnten als Diskussionsgrundlage verwendet werden. Die Experten wollten die Studienlage wissenschaftlich fundiert und neutral bewerten, um die beste Behandlung für den einzelnen Patienten zu bestimmen.
Transfusionen mit System
Bluttransfusionen kommen bei hohen Blutverlusten durch Unfall oder Operation zum Einsatz. Menschen, die an einer Störung der Blutbildung leiden, brauchen dagegen regelmäßige Transfusionen. Hierzu gehören einige erblich bedingte Erkrankungen, wie zum Beispiel die Sichelzellanämie oder Thalassämie, oder Krebserkrankungen, wie Leukämien oder Myelodysplastische Syndrome (MDS). Aber auch äußere Einflüsse wie Mangelerscheinungen (Eisenmangel, Vitaminmangel), Bestrahlungstherapie bei Krebserkrankungen oder die Einnahme bestimmter Medikamente können die Blutbildung aus dem Gleichgewicht bringen.
Ältere Patienten oder chronisch kranke Menschen haben vor einer geplanten Operation häufig schlechte Blutwerte und brauchen deshalb häufiger und mehr Blutkonserven als Patienten mit normalen Blutwerten. Diese präoperative Anämie gilt als Risikofaktor für erhöhte Sterblichkeit, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Niereninsuffizienz bei Operationen. Deshalb, und um den Einsatz von Blutkonserven zu verringern, gibt es Forderungen im Rahmen von PBM, Patienten mit Anämie vor einer Operation zu identifizieren und ihr eigenes Blut vor dem Eingriff anzureichern. Die Betroffenen erhalten Eisen, das Bluthormon Erythropoeitin – auch als Epo bekannt – oder eine Kombination aus beidem.
In der wissenschaftlichen Diskussion sind die Vor- und Nachteile dieser Präparate im Vergleich zum bisherigen Verfahren nicht abschließend geklärt. Denn die medikamentöse Therapie ist nicht ganz risikoarm. So kann z. B. die intravenöse Eisengabe Infektionen begünstigen und Allergien hervorrufen, Erythropoeitin weist laut Angaben der Hersteller potentiell eine Reihe von Nebenwirkungen auf wie z. B. Thrombosen, berichtete Professor Seifried.
Anämie-Patienten individuell beurteilen
Eine spontan auftretende Blutarmut erfordert eine andere Behandlung als ein Eisenmangel, der schon länger bekannt ist und bei älteren Patienten muss unter Umständen früher eingriffen werden als bei jüngeren
Erhard Seifried
Boten die analysierten Studien auch nicht ausreichend Grundlagen, um die präoperative Anämie zweifelsfrei für Komplikationen wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Nierenversagen verantwortlich zu machen, lautet eine klare Empfehlung am Ende der Konferenz aber doch: vor einer anstehenden Operation sollen Patienten mit Blutarmut identifiziert werden. Wie die Anämie behandelt wird, hängt allerdings vom Patienten ab. Hier muss laut der Experten ein Entscheidungsalgorithmus greifen, der Faktoren wie Alter, Begleiterkrankungen, Hämoglobinwert, Dauer der Anämie und Art der Operation berücksichtigt. „Bei der Therapie einer präoperativen Anämie ist es wichtig, jeden Patienten individuell zu beurteilen – eine spontan auftretende Blutarmut erfordert eine andere Behandlung als ein Eisenmangel, der schon länger bekannt ist und bei älteren Patienten muss unter Umständen früher eingriffen werden als bei jüngeren“, nennt Seifried einige Beispiele. Ob ein Patient Eisen, Erythropoeitin oder eine Kombination aus beidem erhalten soll, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Nur in einem Punkt sind sich die Experten nach der Auswertung einig: Es gibt bisher keine Studien zur vorsorglichen Bluttransfusion, folglich kann derzeit keine Empfehlung gegeben werden. Die Zusammenfassung der Tagung soll laut Prof. Burger jedoch Orientierungspunkte und Ansätze für neue Studien aufzeigen.
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Deutlich wurde in den Diskussionen der Konferenz außerdem, dass ein niedriger Hämoglobinwert allein nicht ausreicht, um über die Behandlung eines Patienten zu entscheiden. Anämie ist laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) durch einen Hämoglobinwert von <12 g/dl bei Frauen und <13 g/dl bei Männern definiert. „Ein Wert, der vor 50 Jahren festgelegt wurde und auf den Daten von nur fünf Studien basiert – daraus können wir heute keine Schlussfolgerungen mehr ziehen“, sagt Seifried. Für seinen Kollegen Burger heißt das: „Patientengruppen müssen enger definiert und differenziert gesehen werden. Schließlich behandelt man den Menschen und nicht den Hämoglobinwert.“
Profil:
Professor Dr. Dr. h. c. Reinhard Burger war von 2010 bis 2015 Leiter des Robert Koch-Instituts in Berlin. Er begann dort 1987 als Leiter der Abteilung Immunologie.1998 übernahm er die Leitung der Abteilung Infektionskrankheiten, bevor er 2001 die Position des Vizepräsidenten des Instituts antrat. Burger studierte Biologie, Mikrobiologie und Immunologie bevor er 1976 promovierte und sich 1982 am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Mainz habilitierte. Von 1983 bis 1987 war er Professor für Immunologie an der Fakultät für Theoretische Medizin der Universität Heidelberg, seit 1989 ist er Professor für Immunologie an der FU Berlin (Universitätsklinikum Benjamin Franklin).
30.06.2018