Cinematic Rendering, Lunge von COVID-19-Patienten

© Siemens Healthineers / CHR Verviers East Belgium

Artikel • Krise und Chance zugleich

COVID-19 – ein Booster für die Digitalisierung

Jede Krise birgt auch eine Chance: Auch wenn dieser Spruch mitunter inflationär gebraucht wird – wahr ist er allemal. Das zeigt sich auch im Zuge der aktuellen COVID-19-Pandemie, die viele Gesundheitssysteme an die Grenzen ihrer Möglichkeiten geführt hat.

„Die Pandemie, so schrecklich sie auch ist, hat sich als ein Digitalisierungsbeschleuniger erwiesen“, bekräftigt Dr. Christoph Zindel, Mitglied des Vorstands von Siemens Healthineers. „Die Digitalisierung der Gesundheitssysteme hat durch die Pandemie gezwungenermaßen einen Riesenschritt nach vorne gemacht“, unterstreicht er im Interview und untermauert diesen Befund anhand einiger Beispiele aus dem eigenen Unternehmen.

portrait of Christoph Zindel
Dr. Christoph Zindel

So hat die Pandemie die technische Entwicklung im Bereich der Bildgebung vorangebracht. Die Bildgebung spielt zwar bei der Diagnostik von COVID-19 im Vergleich zu PCR-Tests im Labor eine untergeordnete Rolle – aber wenn, dann sind CT, Röntgen und auch Ultraschall der Lunge primäre bildgebende Verfahren. Siemens Healthineers hat angesichts der sich ausbreitenden Infektionserkrankung „in Windeseile“ (Zindel) den Prototypen einer Software auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI) entwickelt, der bei CT-Scans von COVID-19-Patienten automatisch verdächtige Regionen der Lunge erkennen und hervorheben kann, etwa die typischen Milchglastrübungen. „Diesen Prototypen teilen wir kostenlos mit unseren Kunden, die ihn als Unterstützung bei der Differenzialdiagnostik von Pneumonien und für die Verlaufsprognose von COVID-19-Patienten nutzen wollen“, berichtet Zindel.

Fast gleichzeitig brachte Siemens Healthineers eine neue Software zur Entscheidungsunterstützung bei der Befundung von Röntgenthorax-Aufnahmen auf den Markt: Der AI-Rad Companion Chest X-ray, der Röntgenaufnahmen des Brustkorbs als eine Art „zweiter Leser“ auf Auffälligkeiten untersucht, kann auch bei mobilen Röntgengeräten eingesetzt werden. Er erkennt u.a. die bei Lungenentzündungen häufige Atelektase und kann so auch bei der Diagnose von COVID-19 helfen.

Telemedizinische Lösungen – schon länger da, aber jetzt erst richtig genutzt

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Remote-Scanning-Assistenz mit Syngo Virtual Cockpit.

© Siemens Healthineers

Auch für telemedizinische Anwendungen erweist sich COVID-19 als Treiber: zum einen, weil es geboten ist, die Häufigkeit von Kontakten mit möglicherweise COVID-19-infizierten Personen zu verringern und die Personendichte am Arbeitsplatz zu reduzieren; zum anderen, weil immer die Gefahr besteht, dass Radiologen, klinische Mediziner und Medizinisch-Technische Radiologie-Assistenten (MTRA) nach Kontakt mit Infizierten in Quarantäne müssen und dann – sofern gesund – eine Zeitlang nur von zu Hause aus arbeiten können. Dies hat dazu geführt, dass Tools zur Steuerung von Scannern aus der Ferne („Remote Scanning Assistance“) plötzlich einen Boom erleben. „Die Anwendung dieser sehr hilfreichen Technologie ist in neue Dimensionen vorgedrungen“, schwärmt Zindel.

Die Klinik für Diagnostische und Interventionelle Radiologie des Universitätsklinikums Freiburg (UKF) hat mit Siemens Healthineers ein gemeinsames Projekt im Bereich Tele-Imaging aufgesetzt: Seit Ende März haben hier die MTRAs die Möglichkeit, in einem separaten „Safe Scanning Room“ im Klinikum oder im Home Office zu sitzen, während sie Patienten in einem Magnetresonanztomographen (MRT) oder Computertomographen (CT) der Klinik scannen. Mit Hilfe der Software syngo Virtual Cockpit schaltet sich das medizinische Fachpersonal über eine sichere Netzwerkverbindung auf die radiologischen Systeme, um an den MRTs und CTs Einstellungen vorzunehmen und die Scans auch tatsächlich durchzuführen. Mit dem Personal vor Ort, das die Patienten betreut, kommunizieren sie unter anderem via Konferenzlautsprecher und Video.

Kein persönlicher Kontakt – Patienten telekonsultieren lieber

Auch die Zahl der Telekonsultationen ist zum Teil enorm angestiegen. „In New York zum Beispiel fanden im Mount Sinai Hospital noch vor wenigen Monaten 20 Telekonsultationen pro Tag statt – jetzt sind es 4.000 pro Tag“, weiß Zindel. In diesen Fällen geht es bei Weitem nicht nur um COVID-19, sondern um onkologische, kardiologische und Follow-up-Patienten. Zindel: „Auch die Patienten selbst sind derzeit nicht besonders geneigt, ins Krankenhaus zu gehen, weil sie eine Infektion fürchten.“ Stattdessen können sie jetzt in einer ambulanten Einrichtung untersucht werden oder sogar zu Hause selbst Gesundheitsparameter erheben und an den behandelnden Arzt übermitteln.

Alles mit allem vernetzt – die teamplay digital health platform

Mit der teamplay digital health platform hat Siemens Healthineers eine hersteller-, system und geräte-neutrale Plattform im Portfolio, mit der Radiologie, Klinik, ambulante Einrichtungen und Patienten miteinander vernetzt werden können. Der AI-Rad Companion Chest X-ray etwa läuft über diese Plattform, an die mehr als 5.000 Institutionen in über 60 Ländern angeschlossen sind – aber auch die Anwendung teamplay myCare Companion, die Patienten mit chronischen Krankheiten wie Herzinsuffizienz unterstützt, indem sie diese in ihren Behandlungsprozess einbindet und die Compliance fördert.

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HerzConnect heißt ein neues Versorgungsprogramm für herzinsuffiziente Patienten am Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen.

© Siemens Healthineers

Im Herz- und Diabeteszentrum Nordrhein-Westfalen (HDZ NRW) in Bad Oeynhausen läuft – auf Basis dieser Technologie – in Kooperation mit Siemens Healthineers das Versorgungsprogramm HerzConnect für Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei erfassen mobile Messgeräte (mobiles EKG, Blutdruckmessgerät, Körperwaage) rund um die Uhr ausgewählte Vital- und Messparameter der Patienten zu Hause und übermitteln diese Daten über eine Smartphone-App und eine sichere Datenverbindung an das HDZ NRW, wo sie ausgewertet werden. „In Bad Oeynhausen hat die Zahl der ungeplanten Patientenbesuche abgenommen, was angesichts der aktuellen Pandemie für Kliniken und Patienten gleichermaßen vorteilhaft ist, weil dadurch das Infektionsrisiko sinkt“, erklärt Zindel: „Beide Seiten erkennen die Vorzüge dieser Dezentralisierung und Virtualisierung: Die Krankenhäuser sparen Zeit, die chronisch Kranken profitieren durch die geringere Zahl von Klinikbesuchen von einer gesteigerten Lebensqualität. Das wird auch nach dem Ende der Pandemie erhalten bleiben.“

Breites Portfolio – gut gerüstet

Der Healthineers-Vorstand wagt einen Blick in die weitere Zukunft: Die dank mobiler Messgeräte erhobenen Daten könnten künftig auch mit dem gemeinsam mit der Klinik für Kardiologie am Universitätsklinikum Heidelberg entwickelten „digitalen Zwilling“ verknüpft werden. Dabei handelt es sich um die digitale Repräsentation eines Patientenherzens, die Aufbau, Funktion und eventuelle Herzerkrankungen virtuell wiedergibt. Dieser digitale Zwilling kann zur Diagnostik, aber auch zur Simulation von medikamentösen Therapien oder der Behandlung von Herzrhythmusstörungen verwendet werden.

Zurück zu COVID-19: „Zu Beginn der Pandemie haben Computertomographie und konventionelles Röntgen in der Diagnostik noch eine größere Rolle gespielt, im weiteren Verlauf aber hat sich gezeigt, dass der neue PCR-Test immer mehr an Bedeutung gewonnen hat“, erläutert Zindel. Und bei den Antikörpertests kamen alleine in den USA 120 verschiedene Verfahren auf dem Markt. „Es herrschte Goldgräberstimmung“, erinnert sich das Vorstandsmitglied des Medizintechnik-Konzerns. Doch es war nicht alles Gold, was glänzte, so Zindel: „Es kam dabei leider auch zur Verbreitung von Tests, die qualitativ nicht auf der Höhe waren.“ Sein Unternehmen hingegen habe in kürzester Zeit die offiziellen klinischen Zulassungen in den USA und Europa erhalten – und mit Atellica Solution ein Laborsystem im Portfolio, das über einen Durchsatz von mehr als 440 Antikörpertests pro Stunde verfügt. „Unser Unternehmen war und ist mit seinem breiten Portfolio für die Pandemie gut gerüstet“, unterstreicht Zindel abschließend.


Profil:

Dr. Christoph Zindel ist seit Oktober 2019 Mitglied des Vorstands der Siemens Healthineers AG. Der 1961 geborene Mediziner, der an der Goethe-Universität Frankfurt promovierte, kam 1998 als Segment Manager zu Siemens Healthcare und hatte danach verschiedene leitende Positionen mit zunehmender Verantwortung innerhalb des Geschäftsbereichs Magnetic Resonance inne. Ab 2012 leitete er PETNET Solutions in Knoxville, USA. 2014 wechselte er zu Beckman Coulter und leitete von Miami, USA, aus die Geschäftseinheiten Hämatologie und Urinanalyse. Nachdem er 2015 zu Siemens zurückkehrte, leitete er die Business Line Magnetic Resonance und wurde 2018 Präsident des Geschäftsbereichs Diagnostic Imaging.

15.07.2020

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