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Bereit sein ist alles: Die Rolle der Kliniken im Fall der Fälle

Brände, Großschadenslagen, Naturkatastrophen oder Terroranschläge – bei solchen Szenarien müssen Krankenhäuser über sich hinauswachsen. Das gelingt jedoch nur mit perfekter Vorbereitung.

Quelle: Pixabay/Alexas_Fotos

Eine umfassende Auseinandersetzung mit diesem Thema ist essenziell, um im Ernstfall keine Zeit zu verlieren und schnellstmöglich die richtigen Entscheidungen treffen zu können

Katja Scholtes

Einsatzpläne für außergewöhnliche Notfälle, regelmäßige Simulationen und reale Übungen ermöglichen es Kliniken, handlungsfähig zu bleiben, wenn es darauf ankommt. Warum die Sensibilisierung für dieses komplexe Thema so wichtig ist, dieser Frage geht ein eintägiger Workshop der diesjährigen MEDICA Academy am Montag, 12. November 2018, nach. „Be prepared – Krankenhäuser in speziellen Schadenslagen“ lautet der Titel des Seminars, das sich an Beschäftigte von Klinikleitungen, Mediziner und Pflegepersonal wendet. Das Programm umfasst Fachvorträge und die Vorstellung exemplarischer Szenarien. In der anschließenden Gruppenarbeit analysieren die Teilnehmer einzelne Großschadenslagen und trainieren, auch unerwartete Entwicklungen in ihre Handlungskonzepte mit einzubeziehen.

„Eine umfassende Auseinandersetzung mit diesem Thema ist essenziell, um im Ernstfall keine Zeit zu verlieren und schnellstmöglich die richtigen Entscheidungen treffen zu können“, betont Dr. Katja Scholtes, Leitende Abteilungsärztin der Zentralen Notaufnahme der Kliniken Köln. „Wir möchten mit den Teilnehmern des Workshops die grundlegenden Aspekte einer Notfalllage erörtern, um ihnen einen Einstieg in dieses wichtige Thema zu ermöglichen.“

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Terror, Anschläge und Attentate sind mittlerweile auch in Mitteleuropa angekommen. Eine adäquate Vorbereitung aller Einsatzkräfte ist daher besonders wichtig. Denn nicht nur eine hohe Reaktionsbereitschaft, sondern auch effiziente Kommunikationsketten und interdisziplinäre Zusammenarbeit sind in solchen Szenarien unabdingbar. Professor Stefan Wirth, Geschäftsführender Oberarzt der Klinik…

Katastrophen wie das Tiefdruckgebiet Ela, das Pfingsten 2014 über Deutschland hinwegfegte und 64 Tote, zahlreiche Verletzte und Schäden in Milliardenhöhe zurückließ, zeigen, an welchen Stellen Nachholbedarf in der Vorbereitung liegt. Aber auch wenn sich Krankenhäuser nicht für jede Gefahrenlage wappnen können, ist es wichtig, zum Beispiel Ablaufpläne für Verantwortlichkeiten, Schutzmaßnahmen und Kommunikation parat zu haben – die auch dann funktionieren, wenn die Routine versagt.

Es reicht nicht, einen Ordner im Regal stehen zu haben

Felix Kolibay

Bei der Vorbereitung auf einen Ernstfall gibt es bundesweit noch viel zu tun. Derzeit liegt die Notfallplanung in der Hand der einzelnen Länder. Untersuchungen haben gezeigt, dass die meisten deutschen Kliniken zwar Pläne für unerwartete Großschadenslagen erarbeitet haben, diese weisen aber zum Teil gravierende Mängel auf und werden oft nicht auf dem neuesten Stand gehalten. „Es reicht nicht, einen Ordner im Regal stehen zu haben“, sagt Dr. Felix Kolibay, der an der Uniklinik Köln für das Krisenmanagement verantwortlich ist. „Ein effektives Konzept verlangt eine Vielzahl von Vorkehrungen, die auch im Laufe der Zeit angepasst werden müssen, weil sich beispielsweise die interne Personallage oder die lokalen Gegebenheiten verändert haben. Um sich auf den Ernstfall vorzubereiten, müssen diese Pläne zudem in Übungen auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.“

Auch die Gefahrenlagen selbst ändern sich. Die wachsende Bedrohung durch Terroranschläge bringt den Bedarf einer besseren Versorgung von Verletzten, auch durch sogenannte Zweitanschläge, den sogenannten 'second hit'. Dabei spielt die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Rettungsdiensten und Kliniken eine besondere Rolle.

Quelle: Pexels/monicore

Jeder Notfall ist anders

Es gibt noch viele weitere Situationen, die den regulären Ablauf in einem Krankenhaus durcheinanderbringen können: Stürme, Hochwasser, Massenunfälle oder Massen-Kontaminationen, aber auch Brände, eine Giftgas-Attacke oder eine Geiselnahme im eigenen Haus zählen zu den Gefahren, für die sich Kliniken wappnen sollten. 

Da es in solchen Sonderlagen häufig zu einem besonders hohen Patientenaufkommen kommt, müssen alle Kapazitäten optimal genutzt werden. „In Landkreisen mit eher verstreut liegenden Krankenhäusern liefern die Rettungsdienste nach einem großen Verkehrsunfall die Verletzten oftmals innerhalb kurzer Zeit an. Auf außergewöhnliche Patientenströme muss ein Haus organisatorisch zum Beispiel mit einer behelfsmäßig erweiterten Notaufnahme vorbereitet sein“, so Prof. Dr. Marc Maegele, Oberarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie und Notarzt der Stadt Köln. „Darüber hinaus sollte man wissen, welche Ressourcen lokal oder auch überregional aktiviert werden können.“

Keine Notfall-Situation ist wie die andere, zudem arbeitet jedes Krankenhaus in einem ganz spezifischen Umfeld. Allein diese beiden Faktoren machen eine Planung extrem komplex. Ein Haus in den Bergen wird sich vielleicht eher auf Umweltkatastrophen wie Lawinen oder einen Bergrutsch vorbereiten, eine Klinik in einer Metropole möglicherweise eher eine Masseninfektion oder einen Anschlag im Fokus haben. Dr. Kolibay führt aus: „Die Versorgungslage ist je nach Lage des Krankenhauses unterschiedlich. Wir möchten im Seminar deutlich stellen – was bei uns funktioniert, muss noch lange nicht woanders der richtige Weg sein.“

Besondere Schadenslagen bedeuten als Ausnahmesituation für Patienten, Angehörige und Mitarbeiter eine hohe psychische Belastung, die zu unerwarteten Reaktionen führen können

Marc Maegele

Die Vielfalt der denkbaren Szenarien und die Gefahr, dass die Betriebsfähigkeit einer Klinik erheblich eingeschränkt werden kann, verlangt eine eindeutige Führungsstruktur. Wer trifft die zentralen Entscheidungen, wer kooperiert mit wem, wer trägt für was die Verantwortung? Das muss in einem Krisenfall jedem klar sein und im Vorfeld geschult werden. Gerade wenn gewohnte Abläufe zusammenbrechen, ist eine effektive Kommunikation gefragt. „Funktionieren beispielsweise die Telefonverbindungen nicht mehr, muss man sich auf anderen Wegen verständigen“, so Dr. Scholtes. „Man steigt, wenn vorhanden, auf Funkgeräte um. Oder man setzt ganz einfach Läufer ein, die die wichtigen Nachrichten überbringen.“ Patienten und Mitarbeiter sowie die Öffentlichkeit müssen informiert werden. Hier sind Pläne gefordert, die die Kommunikation regeln. Vorab definierte Sprachregelungen können hilfreich sein, mit den richtigen Worten überlegt zu argumentieren.

In Krisen kommt so mancher Betroffene an seine Grenzen. „Krisenmanagement sollte auch immer den Faktor Mensch mit berücksichtigen“, unterstreicht Prof. Maegele. „Besondere Schadenslagen bedeuten als Ausnahmesituation für Patienten, Angehörige und Mitarbeiter eine hohe psychische Belastung, die zu unerwarteten Reaktionen führen können. Auch daran sollten alle, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, denken.“

people walking towards a conference room at a medical fair
Die MEDICA Academy ist eine Konferenzplattform, bei der sich Ärzte austauschen können.

Quelle: MEDICA

Kein Standardrezept für Krisen

Vorfälle wie beispielsweise die Anschläge im November 2015 in Paris werden von Expertengruppen ausgewertet und auf Fachtagungen diskutiert. Zudem simulieren Feuerwehr, Rettungsdienste und Freiwillige reale Szenarien in praktischen Übungen. Daneben gibt es externe Institutionen, Organisationen und Netzwerke, die in Vorbereitung auf den Ernstfall helfen können. Durch diese Erfahrungen sind Krankenhäuser in Zukunft für unerwartete Großschadenslagen besser gerüstet. „Es gibt kein Standardrezept, wie mit Krisen umzugehen ist; aber wir können aus der Vergangenheit lernen und vorhandenes Wissen nutzen“, diese Meinung teilen alle drei Experten. Die Bedeutung von Notfallplänen und das Bewusstsein, dass es jederzeit zu einem Ernstfall kommen kann und dass sich Krankenhäuser darauf vorbereiten können und müssen – das sind die zentralen Botschaften, die der Workshop im Rahmen der diesjährigen MEDICA Academy vermitteln möchte.

Weitere Informationen zum Workshop gibt es unter diesem Link.


Quelle: Medica / Autorenhinweis: Gabriele Brähler, freie Medizinjournalistin (Berlin)

02.08.2018

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