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„Abtauchen in den Mikrokosmos der Hand“
Hohe Orts- und Kontrastauflösungen erleichtern das Aufspüren von kleinsten und komplexen Strukturen an der Hand.
Bericht: Brigitte Dinkloh
„Die Bildgebung der Hand weist anatomische und technische Besonderheiten auf, die sie anspruchsvoll und beim allgemein tätigen Radiologen nicht besonders beliebt macht“, erklärt Prof. Dr. Rainer Schmitt, einer der erfahrensten Radiologen für die Diagnostik der Hand und ehemaliger Chefarzt der Radiologie und Ärztlicher Direktor am Rhön-Klinikum in Bad Neustadt an der Saale.
Zunächst sind da die vielen und komplizierten Strukturen auf kleinstem Raum. Die Hand besteht aus 27 Knochen und einer Vielzahl von Muskeln, Bändern und Sehnen, die komplex auf kleinstem Raum agieren. Entsprechend muss das Untersuchungsfeld auf nur wenige Zentimeter eingegrenzt werden. Des Weiteren können sich an den Handgelenken viele Systemerkrankungen – wie z.B. die rheumatoide Arthritis – manifestieren, wodurch die Diagnostik besonders anspruchsvoll wird. Prof. Schmitt: „Der Laie erwartet an der Hand einen Bruch, Abnutzungserscheinungen und ggf. noch einen Tumor, tatsächlich können aber die meisten Erkrankungen, selbst neurologische Erkrankungen, an der Hand nachgewiesen werden.“
In drei Schritten zu aussagekräftigen Bildern
Das A und O einer guten Untersuchung – nicht nur der Hand, hier aber ganz besonders – ist eine fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen dem klinischen Zuweiser und dem Radiologen. Nur wenn der Radiologe einen Zielauftrag mit präzis formuliertem Verdacht erhält, kann er seine Untersuchungsstrategie fokussieren. So stehen den Radiologen in Bad Neustadt allein 32 optimierte MRT-Sequenzprotokolle für die Handdiagnostik zur Verfügung.
Wegen der Kleinheit der Strukturen sind eine hohe Ortsauflösung und Schichtdicken im Millimeter- und Submillimeterbereich entscheidend. Für die CT von Frakturen empfiehlt Prof. Schmitt Dünnschichten zwischen 0,5 und 0,75 mm, keinesfalls aber auf 2 oder 3 mm hochgerechnete Schichten. Ebenso müssen die Ligamente an der Handwurzel und an den Fingern in der MRT-Diagnostik mit lückenlosen Schichten von 1,5 oder 2,0 mm Dicke untersucht werden, am besten ergänzt durch einen 3D-Datensatz mit Partitionsschichten von 0,4 oder 0,5 mm. „Wenn über ein 1 mm dünnes Ligament eine 3 mm dicke Schicht gelegt wird, sieht man nur noch ein nebulöses Grau, jedoch kein Band mehr. Leider müssen wir viele externe Untersuchungen wiederholen“, schildert Schmitt den Alltag in Bad Neustadt.
Die dritte Prämisse für eine gute Handuntersuchung ist die hohe Kontrastauflösung. Eine solche kann durch die Optimierung der MRT-Akquisitionsparameter sowie die Applikation von Kontrastmitteln erzielt werden. Ein Steckenpferd von Prof. Schmitt ist die direkte Injektion von Kontrastmittel in das Gelenk mit nachfolgender MRT- oder CT-Untersuchung. Mit der direkten MR- und CT-Arthrographie werden dreidimensionale Bilder erstellt, die feinste Detailanalysen gestatten. „Dank dieser semiinvasiven Maßnahme schauen wir Radiologen heute genauso in ein Gelenk hinein wie der Arthroskopiker und müssen uns definitiv nicht hinter diesem verstecken.“ Der Effekt beruht zum einen auf der distendierenden Wirkung des verabreichten Volumens, zum anderen auf einer Kontrasterhöhung um die Gelenkstrukturen. Häufigste Indikationen sind Läsionen des ulnokarpalen Komplexes (TFCC) und des skapholunären Ligaments, wobei die CT-Arthrographie der MR-Arthrographie gleichwertig ist.
Fast Food statt Gourmet wegen schlechter Vergütung
Eine fachgerecht durchgeführte CT- oder MR-Arthrographie beansprucht einen Radiologen und seine Mitarbeiter bis zu eine Stunde. Der Aufwand hierfür wird von den gesetzlichen Krankenkassen mit ca. 80 € nicht adäquat vergütet, was zusammen mit den eingangs skizzierten Hürden zur Folge hat, dass arthrographische Untersuchungen an nur wenigen Röntgeninstituten durchgeführt werden. Angemessen wäre eine Vergütung von 400 € plus Kontrastmittelkosten. „Leider geht hier, wie auch in anderen Bereichen, die Quantität zu Lasten von Untersuchungsqualität. Verbände und Kassen kennen das Problem, handeln aber nicht“, so Prof. Schmitt. Ähnlich ist die Situation beim Dünnschicht-CT, das aufgrund des erforderlichen Patientendurchsatzes häufig schon nach 10 Minuten beendet ist.
Update Kahnbeinbruch
Häufig ist unsicher, ob eine Fraktur oder nur eine Kontusion vorliegt
Rainer Schmitt
Im Jahre 2015 wurde von mehreren Fachgesellschaften eine S3-Leitlinie für die Kahnbeinfraktur einschließlich diagnostischen Algorithmus verabschiedet. Im konventionellen Röntgen werden nur ca. 70 % der Kahnbeinfrakturen erkannt. Deshalb empfiehlt die Leitlinie im zweiten Schritt eine hochaufgelöste Spezial-CT, die 95 bis 97 % aller Brüche aufdeckt, und erst im dritten Schritt eine MRT. „In der MRT erkennt man jede Fraktur, ist häufig aber unsicher, ob eine Fraktur oder nur eine Kontusion vorliegt.“ Das Kahnbein ist zu den Standardraumebenen um jeweils 45 Grad geneigt. Prof. Schmitt: „In der Schnittbilddiagnostik des Kahnbeins müssen die Abbildungsebenen parallel zu dessen Anatomie anguliert werden, was nicht nur für die korrekte Diagnose, sondern auch für den Chirurgen in der Operationsplanung enorm hilfreich ist. Auch in der CT des Kahnbeins muss die Schichtdicke zwischen 0,5 und 0,75 mm liegen." Prof. Schmitt verweist auf die sozioökonomischen Folgen, wenn bei jungen Menschen eine Kahnbeinfraktur nicht oder zu spät erkannt wird.
Profil:
Prof. Dr. Rainer Schmitt beschäftigt sich seit 35 Jahren mit der Diagnostik der Hand. Gemeinsam mit Prof. Dr. Ulrich Lanz, einem seiner akademischen Lehrer und führendem europäischen Handchirurgen, hat er das Standardwerk „Bildgebende Diagnostik der Hand“ in drei Auflagen herausgegeben. Nach seiner Ausbildung arbeitete Schmitt zunächst an mehreren Universitätskliniken in der allgemeinen Radiologie, bevor er sich 1998 nach seiner Berufung zum Chefarzt in Bad Neustadt auf die radiologische Bildgebung der Hand und des Herzens spezialisierte. Seit Beginn des Jahres hat er alle Leitungsfunktionen abgegeben, ist aber weiterhin umfänglich in die Radiologie der Hand involviert und zudem als Hochschullehrer an der Universität Würzburg tätig.
Veranstaltungshinweis:
Raum: Audimax – W.-C. Roentgen-Saal
Freitag, 29. September 2017, 14:10 – 14:30
FFF–MSK 3 - Hand
Diagnostik der instabilen Handwurzel
Vorsitz: Rafael Jakubietz (Würzburg), Rainer Schmitt (Bad Neustadt, Würzburg)
28.09.2017