Genderperspektive
Antidepressiva bei männlichen und weiblichen Patienten gleich häufig eingesetzt
In den letzten Jahren mehren sich Untersuchungsergebnisse, wonach geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Entstehung, dem Verlauf und der Therapie von Erkrankungen existieren. Diesem Thema wird auch beim diesjährigen Bundeskongress Gender-Gesundheit am 21./22. Mai in Berlin Beachtung geschenkt. IMS Health hat am Beispiel der Depression untersucht, ob bei dieser Erkrankung geschlechtsspezifische Ausprägungen der gesundheitlichen Versorgung im Hinblick auf die Kriterien Arzneimitteltherapie, haus-/fachärztliche Behandlung und Überweisung zur Psychotherapie festzustellen sind.
Die Berücksichtigung von Gender-Aspekten in der gesundheitlichen Versorgungsforschung bedeutet, die geschlechtsspezifische Ausprägung der Versorgung unter anderem hinsichtlich der Diagnose und Therapie sowie der fachärztlichen Behandlung von Erkrankungen in der Alltagspraxis zu untersuchen. Nach einer Prognose der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden Depressionen bis zum Jahr 2030 die Volkskrankheit Nummer eins sein. Dies verweist auf die Relevanz der Erkrankung, die individuell sehr belastend und für die Gesellschaft mit hohen Kosten verbunden ist.
Für Deutschland hat das Robert-Koch-Institut eine Prävalenz von 8,1% in der erwachsenen Gesamtbevölkerung ermittelt, unter Frauen 10,2%, bei Männern 6,1%. [1] Nach Analysen von IMS Health hat sich der Absatz von Antidepressiva in Deutschland in den letzten zehn Jahren von Jahr zu Jahr in unterschiedlichem Ausmaß erhöht, in 2014 gegenüber dem Vorjahr um 2% auf 24,4 Millionen Packungen [2]. Antidepressiva befanden sich in 2014 unter den führenden 10 Arzneimittelklassen [3] mit verschreibungspflichtigen Präparaten.
In der IMS Health Studie, die auf Daten aus dem Versorgungsalltag basiert [4], wurden männliche und weibliche Depressionspatienten hinsichtlich der Häufigkeit der medikamentösen Therapie sowie der Dauer bis zum Beginn der Therapie miteinander verglichen. Die Diagnose „Depression“ wird danach bei Frauen viel häufiger gestellt als bei Männern, ein Ergebnis, das sich mit anderen Untersuchungen deckt [5]. Von 100.725 Patienten mit der ersten Depressionsdiagnose bei Hausärzten im Zeitraum 2009 bis 2013 waren 65% Frauen; bei Fachärzten (Nervenärzte/Psychiater/Neurologen) betrug der Anteil weiblicher Patienten 62% (von insgesamt 100.373 Patienten). Diese Zahlen spiegeln jedoch weniger die Häufigkeit der Erkrankung bei beiden Geschlechtern wieder als vielmehr die höhere Bereitschaft von Frauen sich wegen depressiver Symptome an einen Arzt zu wenden.
Verordnung neuerer Therapien bei beiden Geschlechtern vergleichbar
Antidepressiva neuerer Generationen werden vor allem Vorteile in puncto Verträglichkeit gegenüber älteren Therapieprinzipien zugeschrieben. Von daher interessierte in der IMS Health-Analyse, ob beide Geschlechter zu vergleichbaren Anteilen diese neueren Präparate verordnet bekommen.
Sobald eine Depression diagnostiziert ist, unterscheidet sich die Verteilung der Therapieklassen zwischen weiblichen und männlichen Patienten nicht. Bei Hausärzten erhielten 38% der Frauen und 39% der Männer selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) oder selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI). Bei den Fachärzten beträgt der Anteil dieser Therapieklasse bei Frauen 53% und bei Männern 51%. Auch wenn SSRI und SSNRI Vorteile wie eine bessere Wirkung und weniger Nebenwirkungen zugeschrieben werden und der Anteil der Patienten, die mit diesen Klassen therapiert werden, insgesamt geringer ist als erwartet, so besteht also kein nennenswerter Unterschied zwischen Frauen und Männern. Dies gilt auch für den Zeitpunkt der Erstverordnung. Beim Hausarzt erhalten 38% der Frauen und 37% der Männer ihre erste Antidepressiva-Verordnung am Tag der ersten Diagnosestellung, beim Facharzt liegt der Anteil der Frauen und auch der Männer, die sofort mit der Therapie starten, bei 50%. Innerhalb eines Jahres nach der Diagnosestellung erhöht sich dieser Anteil bei den Fachärzten auf 80%, ebenfalls für beide Geschlechter.
Neben der medikamentösen Therapie wird ein Teil der Patienten an Psychotherapeuten überwiesen, entweder anstelle oder aber zusätzlich zur medikamentösen Behandlung. Vom Facharzt erhalten 36% der Frauen und 34% der Männer eine entsprechende Überweisung.
„Während mancherorts Studien [6] darauf hinweisen, dass Frauen mehr günstige, ältere Antidepressiva verordnet werden als Männern, stellt sich die heutige Versorgung in Deutschland nach unseren Studienergebnissen im Blick auf die Geschlechter vergleichbar dar, auch wenn der Einsatz neuerer Antidepressiva sicherlich noch gesteigert werden kann. Die Untersuchung bietet auch eine nützliche Grundlage, um zukünftige Bedarfe in der Versorgung abzuschätzen und die Versorgung als solche zu optimieren sowie weitere Versorgungsaspekte im Detail zu analysieren“, resümiert Prof. Dr. Karel Kostev, Senior Research Advisor bei IMS Health.
1 Quelle: Statista 2015 (unter Bezug auf DEGS1 des Robert-Koch-Instituts, Umfragezeitraum 2008-2011)
2 Quelle: IMS PharmaScope National
3 ATC3-Niveau
4 Die Daten stammen aus der Datenbank IMS® Disease Analyzer, die mehr als 20 Millionen aEMR (anonymized Electronic Medical Records) niedergelassener Ärzte beinhaltet.
5 Wittchen, H.-U., Jacobi, F., Klose, M. und Ryl, L., 2010: Depressive Erkrankungen. Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 51,
Hrsg. Robert-Koch-Institut, Berlin
6 Österreichischer Frauengesundheitsbericht 2010/11:
Quelle: IMS Health
20.05.2015