Mandel-OP: In der jetzt gestarteten TOTO-Studie testen HNO-Ärzte, ob eine Teilentfernung genauso gut gegen häufige Halsentzündungen hilft wie die Komplettentfernung.

Foto: Christin Ebert/UKJ

News • Tonsillotomie-Studie

Wann müssen die Mandeln komplett raus?

In einer prospektiven, kontrollierten, multizentrischen Studie, die am Universitätsklinikum Jena geleitet wird, testen HNO-Ärzte, ob eine Teilentfernung der Gaumenmandeln genauso gut gegen wiederkehrende Halsentzündungen hilft wie die vollständige Entfernung.

Die Gaumenmandeln, auch kurz Mandeln genannt, gehören zum Immunsystem und sind Teil des Schutzwalls, der Krankheiterreger erkennen und abwehren soll, die über den Mundraum in den Körper eindringen wollen. Damit tragen sie zur Ausbildung des immunologischen Gedächtnisses bei. Als Kämpfer an vorderster Front können sie dabei selbst von Entzündungen betroffen sein, vor allem im Kindes- und bis zum jungen Erwachsenenalter. Kehren die meist mit Fieber und starken Halsschmerzen verbundenen Mandelentzündungen trotz Antibiotikabehandlung immer wieder, besteht die Möglichkeit der Operation.

„Die vollständige Entfernung der Mandeln, die Tonsillektomie, ist einer der häufigsten im Krankenhaus unter Vollnarkose durchgeführte Operation im Kindes- und Jugendalter. Insgesamt wird der Eingriff in Deutschland etwa 75.000mal jährlich vorgenommen“, so Prof. Dr. Orlando Guntinas-Lichius, Direktor der Klinik für HNO-Heilkunde am Universitätsklinikum Jena. Sind die Mandeln entfernt, treten die als Angina bezeichneten Halsentzündungen kaum noch auf. Aber wie jede Operation birgt der Eingriff Risiken: Bei etwa 5% der Operierten kommt es zu Nachblutungen, die eine stationäre Behandlung erfordern und sogar lebensgefährlich werden können. Zudem fallen die Mandeln dann als Immunorgane aus, weshalb der Eingriff in der Regel nicht vor dem sechsten Lebensjahr vorgenommen wird.

Tonsillotomie oder Tonsillektomie?

Es ist wichtig zu vermitteln, dass der Zufall nicht entscheidet, ob die Patienten gut oder weniger gut operiert werden. Beide Verfahren sind über viele Jahre bewährt

Orlando Guntinas-Lichius

Weil die zuführenden Gefäße dabei weniger verletzt werden, ist eine teilweise Entfernung der Mandeln, die als Tonsillotomie bezeichnet wird, mit einem geringeren Blutungsrisiko verbunden. Dieser Eingriff ist auch weniger schmerzhaft und kann ambulant durchgeführt werden. Er gilt als die Standardtherapie, wenn vergrößerte Mandeln die Atmung einschränken und zu Schlaf-, Schluck- und Sprechproblemen oder vermehrten Atemwegsinfekten führen. Wegen der geringeren Risiken und der schnelleren Genesung rückte die Teilentfernung der Mandeln auch als Behandlung wiederkehrender Entzündungen in den Blickpunkt. Prof. Guntinas-Lichius: „Ob aber diese Operation gegen häufig auftretende Mandelentzündungen genauso nutzt wie die komplette Entfernung der Mandeln, ist nicht ausreichend wissenschaftlich untersucht.“

Genau das ist das Ziel der TOTO-Studie, die die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, der Deutsche Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte und das Studienzentrum der Universitätsmedizin Göttingen unter Leitung des Universitätsklinikums Jena jetzt starten. Der Verbund wurde nach europaweiter Ausschreibung vom Gemeinsamen Bundesausschuss, dem Selbstverwaltungsgremium des deutschen Gesundheitswesens, beauftragt zu prüfen, ob die Tonsillotomie in Sachen Anginaprävention mit der Tonsillektomie mithalten kann.

Etwas mehr als 450 Patienten, die mehrmals im Jahr an akuter Mandelentzündung leiden, sollen an den 20 beteiligten Zentren in die Studie aufgenommen werden, sowohl Kinder und Jugendliche als auch junge Erwachsene. Welche der beiden Operationsmethoden gewählt wird, entscheidet der Zufall. Diese Randomisierung ist für die Aussagekraft des Studienergebnisses von zentraler Bedeutung, sie stellt aber für die Aufklärung der Patienten in den Studienzentren eine große Herausforderung dar. „Es ist wichtig zu vermitteln, dass der Zufall nicht entscheidet, ob die Patienten gut oder weniger gut operiert werden. Beide Verfahren, die Tonsillektomie und die Tonsillotomie, sind über viele Jahre bewährt, die beteiligten HNO-Chirurgen setzen sie täglich in der klinischen Routine ein. Es wird also kein neues operatives Verfahren erprobt – es geht um die Wirksamkeit gegen chronische Angina“, so Prof. Guntinas-Lichius.

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Forscher nutzen Mandeln als 'Immun-Testgelände'

Was normalerweise als Klinikabfall gilt, ist für Dirk Baumjohann und sein Team wertvolles Forschungsmaterial: Gewebe, das bei einer gewöhnlichen Mandel-OP anfällt. Für den Immunologen hat es einige Vorteile: Es ist frisches menschliches Gewebe, in dem sich die Zellen des Immunsystems und ihr Zusammenspiel besonders gut an intaktem Material untersuchen lassen.

Nach der Operation dokumentieren die Studienteilnehmer nämlich in einer zweijährigen Nachbeobachtungphase Woche für Woche mit Hilfe einer App, ob sie unter Halsschmerzen leiden oder deswegen gar Antibiotika nehmen müssen und krank geschrieben sind. Die Randomisierung stellt sicher, dass sich eventuelle Unterschiede eindeutig auf die Operationsmethode zurückführen lassen. In Deutschland werden in der Chirurgie immer noch vergleichsweise wenige randomisierte Studien vorgenommen.

„Die TOTO-Studie ist ein hervorragendes wissenschaftliches Beispiel für die gute Zusammenarbeit von stationärem und ambulanten Sektor“, betont Dr. Dirk Heinrich, Präsident des Deutschen Berufsverbandes der Hals-Nasen-Ohrenärzte. Anlass für die Erprobungsstudie war der Antrag der Patientenvertreter, die Tonsillotomie als schonendere Operationsmethode gegen chronische Mandelentzündung zuzulassen und entsprechend in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen. „Die Studie wird die wissenschaftliche Entscheidungsgrundlage herstellen, um diese häufige Erkrankung möglichst risikoarm und effektiv zu behandeln“, so Prof. Dr. Stefan Plontke, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, „sie ist damit aus Sicht der HNO-Heilkunde und der Patienten von großer Bedeutung.“


Quelle: Universitätsklinikum Jena

23.09.2020

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