Wächst da was?
Über die Tücken bei der Beurteilung des Therapieansprechens in der Neuroonkologie
Die Einführung der Strahlen-Chemotherapie sowie einer neuen Generation von Medikamenten bei der Behandlung von malignen Gliomen stellte Radiologen lange Zeit vor große Probleme: Durch neue Chemotherapeutika und das Eingreifen in die vaskuläre Biologie des Tumors gestaltete sich die Diagnostik mit Kontrastmitteln schwierig. Es begann die Suche nach objektiven Beurteilungskriterien, die dabei helfen können, das Therapieansprechen sicherer einzuschätzen.
Nun wurden solche klaren Responsekriterien für die reproduzierbare Erfassung von sowohl kontrastmittelaufnehmenden als auch nicht-kontrastmittelaufnehmenden Läsionen von der amerikanischen RANO(Response Assessment in Neuro Oncology)-Arbeitsgruppe definiert.
„Die bislang zumeist verwendeten Beurteilungskriterien für die MRT-Diagnostik bei malignen Gliomen, die zu den kontrastmittelaufnehmenden Tumoren zählen, wurden bereits 1990 von David Macdonald veröffentlicht. Macdonald wollte nicht nur ein standardisiertes Messverfahren für die klinische Praxis, sondern vor allem auch für klinische Studien auf den Weg bringen“, erklärt Dr. Oliver Schnell, Oberarzt an der Neurochirurgischen Klinik und Poliklinik am Klinikum der Universität München-Großhadern. Die vier wichtigsten Fragen, die sich damals auch schon Macdonald stellte, lauten: Ist der Tumorverlauf stabil? Gibt es ein Rezidiv? Liegt ein Therapieansprechen vor? Wenn ja, ist dieses Therapieansprechen komplett oder nur teilweise?
Mit der Etablierung der kombinierten Strahlen-Chemotherapie als neuen Standard in der Behandlung von Glioblastomen sowie durch neuartige pharmazeutische Therapieansätze, die die Gefäßneubildung unterbinden, haben sich die Grenzen der Macdonald-Kriterien gezeigt. Dr. Schnell nennt dafür drei Hauptgründe: „Man hat erstens festgestellt, dass große Tumoranteile oft kein Kontrastmittel mehr aufnehmen und damit durch die alten Kriterien gar nicht mehr zu erfassen waren. Die Angiogenesehemmer reduzieren die Kontrastmittelaufnahme des Tumors so weit, dass sie sich in der Bildgebung als ein falschpositives Therapieansprechen darstellen. Desweiteren ist bei einigen Patienten, die das Standardmedikament Temozolomid einnehmen, vermehrt zu beobachten, dass noch vier bis sechs Wochen nach der Strahlen-Chemotherapie Kontrastmittelaufnahmen zu sehen sind, die auf den ersten Blick wie ein neues Tumorwachstum erscheinen, in Wirklichkeit aber einer sogenannten Pseudoprogression entsprechen. Das heißt, eigentlich sehen wir nur Nachwirkungen der Strahlen-Chemotherapie. Und drittens, haben wir es häufig mit multiplen Läsionen, also Veränderungen an mehreren Stellen, zu tun. Das können Tumoren, aber auch z.B. Zysten sein, die sich nur sehr unscharf vom umliegenden Gewebe abgrenzen lassen. Dann ist es oftmals sehr schwierig, die Menge der Kontrastmittelaufnahmen und die Größe der Veränderung überhaupt zu bestimmen.“
Diesen Herausforderungen nehmen sich die neuen RANO-Kriterien an. Darin enthalten sind Responsekriterien sowohl für die T1-, die T2- als auch die FLAIR(fluid attenuated inversion recovery)-Wichtung. Während in der T1-Wichtung überprüft wird, ob die Kontrastmittelaufnahme komplett verschwunden ist, eine Abnahme um mindestens 50 % oder zwischen 25 % und 50 % vorliegt oder sogar eine Zunahme der Kontrastmittelaufnahme um mehr als 25 % zu verzeichnen ist, wird in den anderen Sequenzen bewertet, ob die Veränderungen stabil, zu- oder abnehmend sind. Anhand dieser Kennzahlen wird beurteilt, ob eine komplette Revision, eine partielle Revision, ein stabiler Status oder ein Tumorwachstum besteht. „Die RANO-Kriterien schließen neben der Magnetresonanztomographie aber auch klinische Parameter mit ein. Dazu gehören Fragen zu neurologischen Symptomen, also zum körperlichen Befinden des Patienten, ebenso wie solche zur Medikation: Nimmt der Patient zum Beispiel Kortison-Präparate? Ist es also notwendig, dass er Medikamente einnimmt, die z.B. einer Hirnschwellung entgegenwirken?“, ergänzt Dr. Schnell.
Wie gut sich die RANO-Kriterien anwenden lassen, das muss sich noch zeigen. Es zeichnet sich jedoch schon heute ab, dass sie die Macdonald-Kriterien zumindest in den künftigen klinischen Studien ablösen werden. Denn hier ist man im besonderen Maß auf objektivierbare Daten angewiesen. Ob sie aber auch Eingang in die klinische Routine finden werden, das, so der Neurochirurg, bleibe noch abzuwarten: „Ich persönlich versuche schon in meiner Sprechstunde nach den Kriterien zu beurteilen, einfach, um selbst ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie sinnvoll sie sind.“ Allerdings, räumt er ein, gebe es schon die ersten kritischen Einwürfe zu den neuen Responsekriterien: „In der FLAIR-Aufnahme wird zum Beispiel die Größenveränderung nicht wirklich gemessen, sondern vom Untersucher beurteilt. Das ist natürlich nicht sehr objektiv. Wie so häufig, haben wir es auch bei den RANO-Kriterien mit einem Kompromiss zu tun, einem kleinsten gemeinsamen Nenner. Würden die Responsekriterien noch weiter verfeinert werden, dann könnten bereits kleinere Abweichungen von der Untersuchungsmethode oder der Gerätetechnik wieder ein Hindernis für globale klinische Studien darstellen. Wir brauchen eine Standarduntersuchung, die weltweit möglich und verfügbar ist.“
12.10.2011