Artikel • "Time is brain"

Ursachen, Diagnose und Behandlungswege beim Schlaganfall

Der Schlaganfall ist die dritthäufigste Todesursache in Deutschland nach Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs. Die Neuerkrankungen in Deutschland belaufen sich auf jährlich 200.000 bis 250.000. Derzeit leiden in Deutschland rund 700.000 Patienten unter den Folgen eines Schlaganfalls. Prof. Dr. Friedhelm Brassel, Klinischer Direktor der Radiologie und Neuroradiologie am Klinikum Duisburg, über Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten dieser Volkskrankheit.

Was versteht man unter einem Schlaganfall?

portrait of friedhelm brassel
Prof. Dr. Friedhelm Brassel ist Klinischer Direktor der Radiologie und Neuroradiologie am Klinikum Duisburg

Unter einem Schlaganfall versteht man einen unvermittelt ("schlagartig") einsetzenden Ausfall bestimmter Hirnfunktionen infolge von Hirndurchblutungsstörungen (ca. 75%) bzw. Blutungen (ca. 25%) im Bereich des Hirns. Bei den Hirnfunktionsausfällen handelt es sich z.B. um Lähmungserscheinungen, Gefühlsstörungen, Gangunsicherheit, Seh- und Sprachstörungen.

Die Ursache von Hirndurchblutungsstörungen sind unterschiedlich. Sie werden beispielsweise durch das Verschleppen eines Gerinnsels (Embolus) aus dem Herzen oder aus Gefäßen in die Hirnarterien ausgelöst und verschließen die Gefäße. Man spricht dann vom embolischen Infarkt. Gründe für die Durchblutungsstörungen können auch hochgradige Einengungen von Hals- und Hirngefäßen mit resultierender Mangeldurchblutung von betroffenen Hirnbezirken sein (hämodynamischer Infarkt). Schließlich gibt es Verschlüsse kleinster Arterien im Inneren des Gehirns, die zu wenige Millimeter großen Defekten im Hirngewebe (lakunärer Infarkt) führen.

Bei den Hirnblutungen platzen Hirnarterien, die bereits durch Arteriosklerose, durch Bluthochdruck oder entzündliche Gefäßerkrankungen vorgeschädigt sind. Das Blut dringt in das umgebende Hirngewebe ein. Der entstehende Druck schädigt benachbarte Nervenzellen und -bahnen. Eine andere Ursache für Hirnblutungen ist das Platzen von – zumeist angeborenen –  Hirngefäßfehlbildungen (Aneurysmen, arteriovenöse Malformationen und Fisteln, Cavernome). Bei diesen Rupturen erfolgt eine Blutung in den Raum zwischen Gehirn und der weichen Hirnhaut (Subarachnoidalblutung). Eine Blutung in diesen mit Hirnwasser (Liquor cerebrospinalis) gefüllten Raum äußert sich durch plötzliche heftigste Kopfschmerzen („wie nie zuvor erlebt“) mit ausgeprägter Nackensteifigkeit (Meningismus) und meist einer Bewusstseinsstörung.

Welche Rolle spielt die Bildgebung bei der Diagnose des Schlaganfalls?

Eine sehr hohe. Bildgebende Diagnostik in der Akutphase wird vor allem mit der Computertomografie erhoben. Obwohl die primäre Diagnostik mit dem MRT vielfach propagiert wird, ist die MRT in der Akutdiagnostik des Schlaganfalls bisher nicht flächendeckend etabliert. Auch mit neueren CT-Verfahren (CT-Angiografie, CT-Perfusion) lassen sich die für akute Therapieentscheidungen relevanten Informationen erheben. Bei der späteren Ursachenabklärung des Schlaganfalls in der postakuten Phase ist dagegen die MRT ein wichtiger Baustein.

Mehr und mehr sind Radiologen auch in der minimalinvasiven Therapie des Schlaganfalls tätig…

Ja, das stimmt. Es gibt hier viele Möglichkeiten des minimalinvasiven Vorgehens. Eine der wirksamsten Methoden ist der Thrombus-Retriever. Mit einem speziellen Katheter, der über die Leistenarterie bis in das verschlossene Hirngefäß vorgeschoben wird, wird das Gerinnsel aus dem Hirngefäß entfernt. Der Katheter verfügt hierzu über einen Fangmechanismus, der zunächst am Gerinnsel vorbeigeschoben wird und dann hinter dem Gerinnsel entfaltet wird.

Wo sehen Sie Verbesserung in der Therapie?

Auf vielen Gebieten der Schlaganfall-Therapie gibt es Ansätze zur Verbesserung. So bei den gerinnselauflösenden Verfahren, der Lyse-Therapie, bei der medikamentösen Behandlung (z.B. Neuroprotektion zur Verbesserung der Ischämietoleranz des Hirngewebes) und bei den Verfahren zur mechanischen Wiedereröffnung eingeengter oder verschlossener Hirngefäße.

Derzeit nehmen Kliniken im Ruhrgebiet an vielen Studien teil, endgültige optimale Therapie noch nicht absehbar. Oberstes Ziel die Verkürzung der Zeit, die zwischen Schlaganfall und Behandlungsbeginn vergeht. „Time is brain“ –  es steht dem Behandler nur ein schmales Zeitfenster für die Behandlung zur Verfügung, bevor irreversible Schäden auftreten. 

23.10.2008

Verwandte Artikel

Photo

Artikel • Auf falscher Fährte

Diagnostik mit Hindernissen: Stroke Mimics und kindlicher Schlaganfall

Wenn es bei einem Kind aussieht wie ein Schlaganfall und sich auswirkt wie ein Schlaganfall, dann ist es doch sicher auch ein Schlaganfall – oder? Ganz so einfach ist es nicht immer, warnt Prof.…

Photo

Artikel • Flying Docs

Schlaganfall: In Bayern kommt die Hilfe aus der Luft

Bei einem Schlaganfall sind die Wege von der Erstdiagnose bis zur erfolgreich durchgeführten Thrombektomie oder Lysetherapie manchmal lang, insbesondere wenn der Patient im ländlichen Raum mit dem…

Photo

Artikel • Hauptsache schnell?

Schlaganfall: Warum der Umweg oft viel Zeit spart

„Time is brain“ ist nicht die ganze Wahrheit, die so häufig zitiert wird, wenn es um den Schlaganfall geht: Dr. Heinz Voit-Höhne vom Klinikum Nürnberg Süd erklärt, warum Geschwindigkeit bei…

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren