Artikel • Vorgestellt auf dem MS Experts Summit
Update: MRT bei multipler Sklerose
Der MS Experts Summit, der in diesem Jahr online über den Sommer verteilt in sieben Sitzungen stattfindet, steht unter dem Motto „People with MS: 360º evidence-based daily management“. 18 internationale Kliniker und Forscher, alle Spezialisten zu unterschiedlichen Aspekten der multiplen Sklerose (MS), stellen ihre jüngsten Erkenntnisse zum Management von MS-Patienten vor.
Bericht: Cornelia Wels-Maug
In seinem Vortrag „MRI imaging in MS, an update: diagnostic criteria and techniques“ erläuterte Professor Dr. Mike P. Wattjes, Leiter der Neuroinflammatorischen und Neuroinfektiologischen Neuroradiologie der Medizinischen Hochschule Hannover, wie MS mithilfe der Magnetresonanztomografie (MRT) des Gehirns und des Rückenmarks früh und korrekt diagnostiziert werden kann. So sprach sich Wattjes für standardisierte MRT-Untersuchungsprotokolle aus, mahnte jedoch gleichzeitig zur Vorsicht, da sich mehrere neurologische Erkrankungen in bestimmten Aspekten häufig wie MS darstellen. Darüber hinaus ging der Experte auf die neuesten Erkenntnisse über das Potenzial von Biomarkern als Prädiktoren eines möglichen MS-Verlaufs ein.
Präzisere Aussagen durch Standardisierung
Die Standardisierung von MRT-Untersuchungen des Gehirns und des Rückenmarks ist für die frühe und spezifische MS-Diagnose unerlässlich. Ohne solche Standards ist die Verlaufskontrolle schwieriger, da kaum zu beurteilen ist, ob neue Läsionen entstanden sind, oder ob bestehende Läsionen größer oder kleiner geworden sind. Für den Vergleich eines Folge-MRT-Scans mit einem Referenz-Scan ist daher eine Standardisierung mehrere Parameter erforderlich, einschließlich Auswahl der Sequenzen, räumliche Auflösung, Kontrastmitteldosis, Magnetfeldstärke oder die Positionierung des Gehirns im Scanner durch die Auswahl bestimmter anatomischer Landmarks wie der Hy-fa-Linie.
Die Bildgebung ist nur ein Teil der heiligen Dreifaltigkeit. Auch die klinische Darstellung, einschließlich Cerebrospinalflüssigkeit, sollte in die Diagnose einbezogen werden
Mike Wattjes
Wattjes führte die Leitlinien zur MRT-Bildgebung bei multipler Sklerose (MAGNIMS) als ein Beispiel für die Standardisierung von MRT-Aufnahmen auf. Ziel der im Jahr 2016 ausgearbeiteten MAGNIMS war die Verbesserung der damals angewendeten McDonald-Kriterien aus dem Jahr 2010, die auf Evidenz und Experteninput basieren. Die MAGNIMS-Leitlinien, die inzwischen aktualisiert wurden und derzeit erneut überprüft werden, können jetzt auch bei pädiatrischen Patienten herangezogen werden.
Für die MRT-Bildgebung des Gehirns empfiehlt Wattjes einen 3T-MRT, da dieses System mehr Läsionen entdeckt als der 1,5 Tesla-Scanner; dies sei jedoch nicht obligatorisch. Für die Rückenmarksbildgebung dagegen empfiehlt er einen 1,5 T MRT, da hier der 3T-Scanner keinen Mehrwert in Bezug auf die Erkennung von Läsionen biete.
Wie wichtig die Bildgebung für die MS-Diagnostik auch sei, so dürfe man sich jedoch nie allein auf sie verlassen, betonte Wattjes. Vielmehr müsse man die Bildgebung grundsätzlich im Kontext klinischer und labormedizinischer Befunde, insbesondere der Cerebrospinalflüssigkeit (CSF), sehen, um eine falsch-positive Diagnose zu vermeiden: „Die Bildgebung ist nur ein Teil der heiligen Dreifaltigkeit. Auch die klinische Darstellung, einschließlich Cerebrospinalflüssigkeit, sollte in die Diagnose einbezogen werden”.
Die Bedeutung von Rückenmarksläsionen
Zu Beginn des Krankheitsverlaufs weisen Vorhandensein und Anzahl der Läsionen der grauen Substanz im Rückenmark nicht nur auf einen Übergang zu einem sekundär progredienten Verlauf in späteren Phasen der Krankheit hin, sondern auch auf die zeitlichen Intervalle zwischen Einsetzen der Erkrankung und dem Beginn der sekundär progredienten Phase der MS. Daher ist es besonders wichtig, Rückenmarksläsionen im Rahmen der MS-Diagnose zu erkennen. Sie sind im MRT jedoch nur schwer nachzuweisen. Auch wenn die Sensitivität der Erkennung von Rückenmarksläsionen durch MRT-Sequenzen wie double-inversion recovery (DIR) oder phase sensitive inversion recovery (PSIR) verbessert werden kann, besteht ihr Nachteil in einer erstaunlich hohen Interrater-Variabilität. Das heißt, die Beurteilung von Rückenmarksläsionen wird für die MS-Diagnose empfohlen, nicht jedoch für die MS-Verlaufskontrolle, da das Risiko eines falsch-negativen oder falsch-positiven Befunds zu hoch ist und somit auch das Risiko einer falsch-positiven oder falsch-negativen Eskalation der MS-Therapie.
Die MRT ist ein äußerst hilfreiches Tool nicht nur für die Diagnostik, sondern auch zur Prädiktion des Krankheitsverlaufs. Wichtig ist dabei eine gute Baseline-Beurteilung, einschließlich Fossa cranii posterior (insbesondere Hirnstamm), graue Rückenmarkssubstanz und Rückenmark. Die Krankheitsaktivität, wie sie sich insbesondere durch die Präsenz kontrastverstärkter Läsionen und aktiver T2-Läsionen in der Frühphase der Krankheit zeigt, kann einen prädiktiven Wert in Bezug auf die Entwicklung des sekundär progredienten Verlaufs der MS haben.
Ein weiterer wichtiger Marker für die Langzeitprognose des Krankheitsverlaufs sind infratentorielle Läsionen im Hirnstamm oder Kleinhirn. Die Anzahl solcher Läsionen, insbesondere im Hirnstamm, hat einen hohen prädiktiven Wert hinsichtlich einer langfristigen Behinderung.
MS oder Differentialdiagnose?
Die Bildgebung ist ein wichtiger Baustein der MS-Diagnostik, dient aber auch der Abgrenzung von Krankheiten, die sich klinisch und in der Bildgebung ähnlich wie die MS darstellen (s. Abb. 1). Da dies zu einer falsch-positiven MS-Diagnose führen kann, muss die MS unbedingt von Krankheiten unterschieden werden, die MS-Kriterien nachahmen. Im Falle einer ischämischen Small Vessel Disease (SVD), die die häufigste Ursache einer falsch-positiven MS-Diagnose ist, kann dies mithilfe einer Rückenmarks-MRT erfolgen. SVD-Patienten zeigen typischerweise keine anormalen Rückenmarksbefunde, während dies bei MS-Patienten meist der Fall ist. Hier bietet die Rückenmarks-MRT Sicherheit. Das Susac-Syndrom ist eine weitere wichtige Differentialdiagnose. Bei dieser Krankheit zeigen Patienten unter Umständen den vollständigen diagnostischen Kriterienkatalog einer MS, auch wenn keine MS vorliegt. In diesem Falle ist die Beurteilung des Central Vein Sign zur Differenzierung von MS und Susac-Syndrom hilfreich, da Letzteres kein Central Vein Sign zeigt.
Profil:
Nach seinem Medizinstudium an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) war Dr. Mike Wattjes ab 2001 zunächst Assistenzarzt in der Neuroradiologie der Universitätsklinik Bonn. 2002 begann er seine Facharztausbildung in der Abteilung für Radiologie der Universitätsklinik Bonn, wo er seine Forschung zur Anwendung der Hochfeld-MRT in der Neuroradiologie aufnahm und bereits zum Schwerpunkt neuroentzündliche Erkrankungen wie multiple Sklerose (MS) arbeitete. Ab 2007 war Wattjes Research Fellow und ab 2009 Senior Staff Radiologist am MS- und Alzheimer-Zentrum des VU University Medical Center Amsterdam. 2017 wechselte Wattjes an das Institut für Diagnostische und Interventionelle Neuroradiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), wo er seit Februar 2019 Professor für Neuroradiologie ist.
15.07.2020