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Unstillbare Blutungen verlangen MTRAs alles ab

Hört ein Patient nicht auf zu bluten, heißt es: einen kühlen Kopf zu bewahren – das gilt natürlich auch für die Medizinisch-technischen Radiologieassistenten (MTRAs).

Bericht: Wolfgang Behrends

Quelle: Prof. Dr. Boris Radeleff

Prof. Dr. Boris Radeleff, Chefarzt am Sana Klinikum Hof und Leiter der Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, erklärt, warum die MTRA eine so zentrale Rolle bei der Versorgung von Patienten mit unstillbarer Blutung spielt. Der Radiologe spricht in seinem Vortrag auf dem Bayerischen Röntgenkongress in Augsburg über die häufigsten Blutungsarten, aber auch die wichtigsten Fallstricke, mit denen es die Assistenten zu tun bekommen.

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Prof. Dr. Boris Radeleff ist Chefarzt am Sana Klinikum Hof und Leiter der Abteilung für Diagnostische und Interventionelle Radiologie

Unstillbare Blutungen lassen sich grob in vier Gruppen einteilen: sie können nach einer OP auftreten, als sogenannte Spontanblutungen, durch Trauma oder tumorassoziiert. Am häufigsten ereignen sich diese Blutungen im Retroperitonealraum, innerhalb von Muskeln sowie an den epigastrischen Arterien. „Die Zahl postoperativer Blutungen nimmt tendenziell zu, da Operationen immer größer und komplexer werden“, erklärt Radeleff. Sie treten beispielsweise nach großen Eingriffen an Leber oder Pankreas auf, wenn durch undichte Nähte Galle aus der Leber oder Verdauungsenzyme aus der Bauchspeicheldrüse austreten, die umliegenden Gefäße per Arrosion angreifen und so massive Blutungen, sogenannte Sentinel-Blutungen, auslösen.

Spontanblutungen werden häufig durch falsch dosierte Medikamente ausgelöst, etwa durch eine zu hohe Antikoagulation bei Patienten mit eingesetzter Herzklappe: „Dann kann es zu einer Gerinnungsentgleisung kommen“, erklärt der Radiologe.

Bei Trauma: Stabil oder nicht stabil?

Wenn die MTRA gute Arbeit leistet, macht das das beim Eingriff einen enormen Unterschied

Boris Radeleff

Traumablutungen machen einen wachsenden Anteil der Fälle aus, da durch eine immer bessere Erstversorgung es Menschen nach schweren Unfällen überhaupt bis in die Klinik schaffen. Wichtig ist hier die Unterscheidung zwischen hämodynamisch stabilen und instabilen Blutungen. Beispiel für eine hämodynamisch stabile Blutung ist ein Patient, der sich bei einem Verkehrsunfall eine Beckenfraktur zugezogen hat: „Auch wenn die Unfallchirurgen diesem Patienten eine Beckenzwinge angelegt haben, kann es vorkommen, dass die Blutung dennoch nicht aufhört – im CT zeigt sich, dass dank kleiner Frakturen weiterhin Blut austritt.“ In solchen Fällen rät der Experte zur Angiografie in Embolisationsbereitschaft, bei der kleine Blutungen über einen in die Arteria iliaca interna eingeführten Mikrokatheter gezielt verschlossen werden. So lässt sich der Schaden für umliegende Organe – etwa durch eine Ischämie – geringhalten.

Bei einer hämodynamisch instabilen Blutung ist der Patient dagegen in akuter Lebensgefahr. Ein typisches Beispiel ist durch einen Verkehrsunfall verursachte Milzruptur. „Diese Art der Blutung geht mit einem sehr niedrigen Hämoglobin (Hb)-Wert einher, niedrigem Blutdruck und hohem Puls. “Eine Angiografie ist hier nicht sinnvoll, der Patient muss intensivmedizinisch im OP versorgt und mittels Splenektomie versucht werden, sein Leben zu retten.

Die MTRA hält das Rettungs-Ensemble zusammen

Radeleff: „Die Entscheidung, um welche Art Blutung es sich handelt, muss bereits im Schockraum getroffen werden, und zwar multidisziplinär. “Die Zusammenarbeit zwischen Notfallmediziner, Anästhesisten, Unfall- und Viszeralchirurgen und dem Radiologen muss perfekt abgestimmt sein, um schnell die richtige Diagnose zu stellen und die notwendigen Schritte – Angiografie und Embolisation oder OP – durchzuführen. In dieser Choreografie spielt die MTRA eine wichtige Rolle: Sie muss vorplanen, dann den Überblick behalten und durch Vorausblick die Arbeit der übrigen Akteure erleichtern. „Entscheidend ist zum Beispiel die Aufbereitung der CT-Aufnahmen (mit Nachweis der Blutung), sodass Rekonstruktionen nicht nur axial vorliegen, sondern auch koronar und sagittal“, sagt Radeleff. Dann weiß der Interventionalist schon vor der Angio genau, wo er eingreifen muss. „Wenn die MTRA gute Arbeit leistet, macht das beim Eingriff einen enormen zeitlichen und planerischen Unterschied.“

Um den dafür nötigen Überblick zu behalten, müssen die Assistenten neben den Indikationen für die jeweiligen Eingriffe auch die Materialien aus dem Effeff beherrschen. Ihnen obliegt die Vorbereitung des Eingriffs und des Patienten sowie das Anschließen und Vorbereiten der Geräte. Auch bei der Assistenz am OP-Tisch sind die MTRAs oft vollständig integriert. Daher müssen sie wissen, welche Zugangssysteme von wo verwendet werden und zu welchem Zeitpunkt welches Embolisationsmaterial oder Stentgraft auf welche Weise angereicht wird. Radeleff: „Es dauert allerdings, die MTRAs soweit auszubilden, dass sie alle Notfälle kennen und bestmöglich unterstützen können.“

Strukturen für die Notfallversorgung schaffen

Das Wissen der Assistenten muss nicht nur umfassend, sondern auch schnell abrufbar sein. Radeleff: „Wir streben an, dass das Notfall-CT nach Meldung binnen 20 Minuten gefahren wird, der Patient anschließend für die Notfall-Angiografie aufgelegt und stabilisiert wird, um innerhalb von 30 Minuten für den angiografischen Eingriff bereit zu sein. Da hilft nur eine entsprechende Struktur, die allerdings stark von den lokalen Gegebenheiten abhängt: Hat das Haus eine eigene Radiologie oder nur eine Praxis? Zu welchen Zeiten hat der zuständige Radiologe Dienst? Kann er angiografieren? Sind ausreichend MTRAs vorhanden? Diese Fragen stellen sich vor allem in kleineren Kliniken – das durchschnittliche deutsche Krankenhaus hat weniger als 300 Betten, wodurch eine eigene Radiologie oder eine Bereitschaft rund um die Uhr nicht überall selbstverständlich sind.“ Langfristig fordert der Radiologe daher einen Strukturaufbau. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat im April 2018 beschlossen, dass eine Klinik für die umfassende Notfallversorgung (Stufe 1) 24 Stunden an 7 Tagen pro Woche CT- Diagnostik (und in der Stufe 2 gar eine 24/7 MRT- Diagnostik) vorhalten muss – eine Regelung zur Notfallversorgung von Blutungen durch interventionelle Maßnahmen fehlt in dieser Staffelung jedoch, kritisiert Radeleff. „Medizinisch ist das inzwischen möglich, Standard ist es jedoch nur an Universitätskliniken und großen Zentren.“

Vorsicht, falsche Klinik!

Nur wenn das richtige Protokoll gewählt wird, können nachher auch alle Fragen zur Art der Blutung beantwortet werden

Boris Radeleff

Mitdenkende MTRAs sind gefragt, denn längst nicht jeder Patient landet perfekt vorbereitet bei ihnen, warnt Radeleff. „Es kommt durchaus vor, dass in der klinischen Information für ein dringendes CT keine Hinweise auf eine Blutung und sinkende Hb-Werte vermerkt sind. Wenn der Assistent nicht aufpasst, lässt er womöglich – zugunsten des Strahlenschutzes – bei der Wahl des Protokolls für die CT-Untersuchung wichtige Phasen aus und wichtige Informationen fehlen später.“ Die native Phase gibt einen guten Überblick über Prothesen, Drainagen, OP-Clips und ähnliche Gegebenheiten. In der arteriellen Phase ist die Blutung gut zu erkennen, in der venösen Phase demarkiert sich die Blutung weiter und ist besonders gut abzugrenzen. „Nur wenn das richtige Protokoll gewählt wird, können nachher auch alle Fragen zur Art der Blutung beantwortet werden“, bekräftigt Radeleff. Dazu muss die MTRA die klinische Information auf Plausibilität prüfen und sich im Zweifelsfall eng mit den zuständigen Radiologen und Klinikern austauschen. „Diese Umsicht verhindert, dass es zu unvollständigen Untersuchungen und damit zu falschen Ergebnissen kommt“, betont Radeleff. Selbst nach der Behandlung endet die Arbeit der MTRAs nicht; zu ihren Aufgaben zählt meist auch, die anschließende Umlagerung, das Mitgeben des Kurzbefundes und den anschließenden Transport sowie ggf. die radiologische Nachsorge der Patienten zu koordinieren. „Kurzum: der Arzt ist im Notfall nichts ohne sein erfahrenes MTRA-Team“, so Radeleff abschließend.

Profil:
Prof. Dr. Boris Radeleff ist Chefarzt der Abteilung für Diagnostische und Interventio-nelle Radiologie am Sana Klinikum Hof. Er ist DEGIR-zertifizierter interventioneller Radiologe der Stufe 2 für Gefäßmedizin, Embolisation, minimal-invasive Therapie und interventionelle Onkologie. Prof. Radeleff ist unter anderem Mitglied der Cardiovascular and Interventional Radiological Society of Europe (CIRSE), der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG), der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimal-invasive Therapie (DEGIR) sowie der European Society of Radiology (ESR).

Veranstaltungshinweis:
Freitag, 28. September 2018, 15:00 – 16:00
Raum: Hounsfield-Saal:
Session: MTRA 4: Angiologischer Notfall/Abdomen – Becken-Bein
Die unstillbare Blutung
Prof. Dr. Boris Radeleff (Hof)

27.09.2018

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