Top-down oder Bottom-up: Managed Care in den Niederlanden und der Schweiz
Der erhöhte Bedarf alternder Gesellschaften an medizinischer Versorgung sorgt europaweit für Kostexplosionen. Einige Länder begegnen der Herausforderung mit Managed Care Prozessen: Kontrollierten Eingriffen in das Gesundheitssystem, die darauf abzielen Ärzte, Patienten und Versicherer wieder auf einen ausbalancierten, zukunftsfähigen Kurs zu bringen. Mit unterschiedlichen Steuerungsmodellen zeigen die Niederlande und die Schweiz, dass erhebliche Kosteneinsparungen ohne Verlust an Versorgungsqualität möglich sind.
Wettbewerb, Prämien und kompetente Patienten sichern die Zukunft
„Immer weniger Arbeiter mussten immer mehr Patienten versorgen. Unser System stand kurz vor dem Kollaps – es musste etwas passieren“, erklärt Prof. Dr. oec. Jo Caris von der TIAS Business School, Tilburg, Niederlande auf der BMC Fachtagung „Managed Care in Europa“.
Im Januar 2006 trat in den Niederlanden ein neues Krankenversicherungsgesetz in Kraft. Weg vom Prinzip umfassender Solidarität, hin zu einem auf Wettbewerb, Selbststeuerung und Wahlfreiheit basierendem Versicherungssystem: Jeder volljährige Niederländer schließt ein staatlich reglementiertes Basis-Leistungspaket bei einem privaten Krankenversicherer zu einem einkommensunabhängigen Beitrag von derzeit jährlich 1050.- Euro ab. Zusätzlich werden 6,5% einkommensabhängige Beiträge erhoben, die zum größten Teil von Arbeitgebern getragen werden und Grundlage des Risikostrukturausgleichplans bilden.
„Eine veränderte Finanzierungsgrundlage allein stoppt aber noch nicht den ungezügelten Konsum von Gesundheitsleistungen. Wir mussten den Patienten klarmachen, dass medizinische Versorgung Geld kostet und ihnen einen Anreiz geben Geld zu sparen“, fährt Caris fort. In den Niederlanden wurde daher zusätzlich ein Schadensfreiheits-Erstattungssystem etabliert, das bei einer nur notwendigen Inanspruchnahme medizinischer Grundversorgung im Rahmen der Hausarztbehandlung eine Prämien-Rückerstattung von bis zu 255.- Euro vorsieht. Versicherte sparen zusätzlich, indem sie sich Gruppenverträgen anschließen oder Selbstbeteiligungen an den Behandlungskosten übernehmen. „Diese einfachen Maßnahmen haben sich als sehr effektiv erwiesen. Die Menschen kümmern sich nun selbst darum Geld zu sparen und entwickeln realistische Ansprüche. Zu viel Kontrolle und Reglementierung sind hingegen Gift für ein Gesundheitssystem.“
Nach Ansicht des Experten besteht nun aber auch seitens der Ärzte Handlungsbedarf. Eine effiziente Behandlung beruhe auf drei Säulen: Der zielgerichteten medizinischen Therapie, der Vermittlung an unterstützende soziale Einrichtungen und der Stärkung der Gesundheitskompetenz des Patienten. „Wir starten groß angelegte Kampagnen, in denen wir die Menschen auf einen schädlichen Lebensstil hinweisen und sie z.B. dazu auffordern, aktiv mit dem Rauchen aufzuhören. Sind die Menschen dann aber krank, beteiligen wir sie nur passiv an der Behandlung. Der Patient wird somit entmündigt. Er fühlt sich allein gelassen, hat Angst und ihm fehlt die Kompetenz, sich bei einer Erkrankung selbst zu helfen. Wir müssen die Menschen auch im Rahmen der Behandlung besser über ihre Erkrankungen informieren und ihre Handlungsfähigkeit steigern. Denn kompetente Patienten helfen in erheblichem Maße dabei unnötige Kosten zu vermeiden.“ Als positives Beispiel führt Caris die Behandlung von Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHD) an. Hier erzielt die Kombination aus medikamentöser Therapie, unterstützender Familientherapie und Stärkung der Eigenkompetenz, beispielsweise durch Strukturierung des Tagesablaufs, maximalen Effekt. „Mehr Qualität bei geringen Ausgaben – um dieses Ziel zu erreichen, müssen Ärzte und Patienten für den Markt bereit sein”, schließt Prof. Caris ab.
Steuerung der medizinischen Behandlung und Qualitätssicherung sind Sache des Hausarztes
In der Schweiz wurde die Einführung von Managed Care Maßnahmen schon 1996 per Gesetz verabschiedet. Anders als in den Niederlanden, nicht Top-down sondern Bottom-up reguliert, überlässt der Gesetzgeber aber den behandelnden Ärzten die Verantwortung für eine effiziente und möglichst kostengünstige medizinische Versorgung der Bevölkerung beinahe vollkommen. Den Grundstock für ein solches Behandlungssystem bilden die Mediziner durch Ärztenetze - rund 56% von ihnen entschieden sich bislang für die fächerübergreifende Kooperation in einem integrativen Netzwerk. „Im Ärztenetz ist der Hausarzt als Gatekeeper die zentrale Anlaufstelle der Patienten. Im Krankheitsfall lassen diese sich immer erst von ihm behandeln. Der Hausarzt steuert das Leistungsgeschehen und überweist Patienten bei Bedarf zu einem Facharzt seines Netzwerks. Durch die koordinierte Steuerung aus einer Hand ist die Therapie effizient und kostengünstig, Doppeluntersuchungen werden vermieden“, erklärt PD Dr. med. Peter Berchtold vom Forum Managed Care, Schweiz. „Im Vergleich zur traditionellen Versorgung spart dies zwischen zehn bis fünfunddreißig Prozent an Kosten ein“, fährt er fort.
„Die in den Netzwerken engagierten Mediziner legen sehr viel Eigeninitiative an den Tag. Ihnen geht es nicht nur um Einsparung, sondern auch um Qualitätssicherung. Vor allem die Weitergabe von Informationen hat sich deutlich verbessert. Hier entstand in den vergangenen Jahren nicht nur ein Ärztenetzwerk, sondern auch ein Informatik-Netzwerk, in dem die therapeutischen Maßnahmen für alle Behandelnden einsehbar elektronisch dokumentiert werden. Die Patientensicherheit wurde deutlich erhöht.“
Mehr Qualität und mehr Sicherheit – das neue System findet auch bei den Patienten Anklang, zumal es sich auch finanziell lohnt. Rund 30% aller Versicherten legten sich auf die Behandlung in einem Ärztenetzwerk fest und erhalten dadurch Prämien von bis zu 20%. Durch höhere Kostenbeteiligung können die Beitrage zusätzlich gesenkt werden. „In der Schweiz findet die differenzierte Zuzahlung eine hohe Akzeptanz. Viele Patienten nutzen auch die neu eingerichteten Telefonberatungsdienste. Hier wird kompetent informiert, bevor überhaupt Kosten entstehen.“
Bislang beschränken sich die getroffenen Managed Care Maßnahmen eher auf die ambulante Versorgung, weniger auf den stationären oder poststationären Bereich. Kliniken, Rehabilitationseinrichtungen und ambulante Pflegedienste müssen nach Berchtolds Ansicht nachziehen. „Kooperation und Netzwerk werden immer wichtiger, da Gesundheit eine interdisziplinäre Angelegenheit ist. Wer nicht kooperiert, kann auf dem Gesundheitsmarkt der Zukunft nicht bestehen.“
26.11.2007