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Therapieassoziierte Veränderungen der Lunge
Nicht nur moderne Krebstherapien werden immer komplexer, sondern auch die Nebenwirkungen, die sie hervorrufen.
Hinzu kommt, dass Krebspatienten durch die neuartigen Behandlungskonzepte sehr viel bessere Überlebenschancen haben als früher, sodass Spätfolgen unterschiedlichster Behandlungszyklen überhaupt erst in Erscheinung treten. Für den Radiologen bedeutet das, dass er sich immer öfter mit röntgenologisch sichtbaren Veränderungen, die typischerweise durch moderne Therapieverfahren entstehen, konfrontiert sieht. Prof. Dr. Stefan Diederich, Chefarzt des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Marien Hospital Düsseldorf, erklärt, woran man solche therapiebedingten Begleiterscheinungen speziell im Thorax erkennt.
Noch vor zehn Jahren standen bei der Diagnose „Krebs“ praktisch nur zwei nichtoperative Behandlungsmöglichkeiten zur Auswahl: Chemotherapie und/oder Bestrahlung. Beiden Therapieformen gemeinsam ist ihre zytotoxische Wirkung, die nicht nur zur Folge hat, dass Tumorzellen absterben, sondern auch jedes andere schnell teilende Gewebe im Körper geschädigt wird. Ein verheerender Nebeneffekt, aber ein eindeutig nachvollziehbarer. Heute kommen neben den klassischen Zellgiften noch viele weitere Substanzen zum Einsatz, die auf ganz andere Weise wirken, aber auch ganz andere Nebeneffekte verursachen. Einige hemmen den Stoffwechsel im Tumor, andere die Angiogenese, wieder andere setzen Antikörper gegen die Krebszellen ein. Diese molekularen Wirkstoffe lassen den Tumor nicht unbedingt schrumpfen, sondern legen seine biologischen Aktivitäten lahm. Diese Prozesse lassen sich mit funktionellen Bildgebungstechniken wie der PET darstellen.
Aber nicht nur auf medikamentöser Ebene hat sich etwas getan. Auch die Radiotherapie hat große technische Fortschritte gemacht. „Früher waren die Bestrahlungsfelder häufig einfach nur rechteckig“, erinnert sich Prof. Diederich, „das heißt, man hat die Grenzen dieser Bestrahlungsfelder später in der Bildgebung genau sehen können, weil sie wie mit einem Lineal gezogen durch die Organe verliefen. Heute können Strahlentherapeuten den Patienten mit unterschiedlich konfigurierten Feldern aus verschiedensten Richtungen und intensitätsmodulierten Dosen bestrahlen.“
Dennoch kann die ionisierende Strahlung weiterhin zu Schäden im umliegenden gesunden Gewebe führen. In vielen Fällen muss die verträgliche Dosis überschritten werden, um den Tumor effektiv zu behandeln. Das kann zu entzündlichen Veränderungen führen, in der Lunge insbesondere zu einer Pneumonitis. Diese ist jedoch mitunter schwierig zu diagnostizieren, berichtet der Düsseldorfer Chefarzt: „Eine häufige Frage, die wir uns stellen, wenn wir eine Verdichtung um den Tumor herum entdecken: Handelt es sich um ein neues Tumorwachstum, also braucht der Patient weiterhin eine Chemo? Hat der Patient eine Pneumonitis, die durch die Bestrahlung entstanden ist, und braucht Kortison? Oder ist das Organ durch die Bestrahlung so geschwächt, dass Bakterien eine Pneumonie hervorgerufen haben und er mit Antibiotika behandelt werden muss?“
Wenn also die Verteilung dieser Veränderungen mit den stark bestrahlten Organabschnitten übereinstimmt, ist der Beweis erbracht, dass es sich um eine Pneumonitis handelt.
Prof. Dr. Stefan Diederich
Damit der Radiologe überhaupt die richtigen Schlüsse ziehen kann, muss er den Bestrahlungsplan des Patienten kennen. Denn nur, wenn er weiß, in welchem Lungenabschnitt wie viel Dosis zu welchem Zeitpunkt verabreicht wurde, kann er nachvollziehen, ob das Lungenparenchym eine Pneumonitis entwickelt hat oder nicht. „Unter 30 Gray passiert normalerweise nichts“, erläutert Prof. Diederich, „ab 40 Gray eigentlich immer und dazwischen kommt es auf die Konstitution des Patienten an und ob er parallel eine medikamentöse Behandlung erhält, die die Lunge zusätzlich schwächt.“
Zudem gibt es einen relativ typischen zeitlichen Verlauf, der bestimmte Symptome hervorruft: „Das Erste ist eine geringe Trübung des Lungengewebes, die etwa sechs Wochen nach Erreichen der Schwellendosis eintritt. Diese sogenannte Milchglasveränderung schreitet in der Regel zu einer Konsolidierung fort, also zu einer Verdichtung des Lungengewebes, bei der sich die Bronchien und Gefäße nicht mehr vom verdichteten Lungengewebe unterscheiden lassen. Diese Konsolidierung erreicht ihren Höhepunkt nach drei bis vier Monaten und beginnt dann relativ zügig, in einen fibrotischen Prozess überzugehen, sodass sich schon nach einem halben Jahr bestimmte Strukturen in der Lunge durch die Bildung von Narbengewebe verlagern. Die Bronchien, die sich normalerweise gleichmäßig vom Zentrum in die Peripherie verjüngen, sind dann beispielsweise erweitert, weil die Narbe daran zieht. Wenn also die Verteilung dieser Veränderungen mit den stark bestrahlten Organabschnitten übereinstimmt, ist der Beweis erbracht, dass es sich um eine Pneumonitis handelt und nicht um ein Rezidiv oder eine Pneumonie.“
Profil:
Prof. Dr. Stefan Diederich, geboren 1961 in Göttingen, ist Chefarzt des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Marien Hospital Düsseldorf und Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Thoraxdiagnostik der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG). Er ist Past President vom RadiologieKongressRuhr 2010 sowie 2011 und richtete 2014 als Kongresspräsident den 95. Deutschen Röntgenkongress in Hamburg aus. Darüber hinaus wurde Prof. Diederich mit dem Hanns-Langendorff-Preis (2000) der Vereinigung Deutscher Strahlenschutzärzte und der Hanns-Langendorff-Stiftung sowie dem Eugenie-und-Felix-Wachsmann-Preis (2006) der DRG ausgezeichnet.
30.10.2015