Strahlenschutz: Damit nichts mehr ins Auge geht
Prof. Dr. Dr. Reinhard Loose, Chefarzt am Institut für Radiologie im Klinikum Nürnberg-Nord ist Experte für Strahlenschutz und Mitglied der neu gegründeten Arbeitsgruppe Strahlenschutz bei der Cardiovascular and Interventional Radiological Society of Europe (CIRSE) und der International Commission of Radiological Protection (ICRP). Eines der im Augenblick aktuellen Topthemen – auch auf dem bevorstehenden CIRSE-Kongress in Barcelona – ist der Strahlenschutz der Augenlinse.
Denn seit Längerem ist bekannt, dass ein hohes Maß an Röntgenstrahlung die Linse trübt und grauen Star provoziert. Im Sommer wird das Europäische Parlament nun entscheiden, ob die jährlichen Grenzwerte für die berufliche Strahlenexposition des Sehorgans drastisch verringert werden sollen. Die ICRP spricht sich aktuell für eine Reduktion von 150 auf 20 mSv aus. Unter anderem werden hier jüngste Daten aus Tschernobyl als Referenz genutzt. Nachuntersuchungen von dort tätigen Soldaten, sogenannte Liquidatoren, geben Anlass zur Sorge.
In Tschernobyl hatten Tausende junger Armeeangehöriger bei den Sicherungs- und Aufräumarbeiten des Reaktors geholfen. Außer bei den Liquidatoren, die zuerst am Unglücksort eintrafen und heute zum Teil bereits verstorben sind, wurde die Strahlungsbelastung der dort Beschäftigten stets überwacht. Heute, also 27 Jahre nach dem Reaktorunglück, wurden diese Soldaten einer Nachuntersuchung unterzogen. Die Ergebnisse waren überraschend: Schon bei einer Strahlung von wenigen Hundert Millisievert hatten deutlich mehr Untersuchte einen Katarakt entwickelt, als man nach den bisherigen Modellannahmen, die von einem Schwellenwert mit einer Mindestdosis ausgehen, vermutet hatte. Auf den Untersuchungsalltag übertragen, ergeben sich hieraus zwei relevante Fragestellungen, nämlich die nach dem Schutz des Patienten sowie natürlich auch des beruflich strahlenexponierten Arztes. Für Patienten gibt es keine Dosisgrenzwerte, sondern nur Richtwerte. Sie unterliegen einer individuellen Ermessensentscheidung des behandelnden Arztes und müssen beispielsweise bei starkem Über- oder Untergewicht angepasst werden. Für Deutschland gelten als Orientierungspunkt die Dosisreferenzwerte des Bundesamts für Strahlenschutz. Dank technischer Neuerungen werden diese regelmäßig angepasst. Bei der letzten Überprüfung 2010 wurden fast alle Referenzwerte um 20 bis 40 Prozent gesenkt.
Für den Bereich des Strahlenschutzes beim ärztlichen Personal gelten weltweit die sogenannten Basic Safety Standards (BSS). Ein Mensch, der beruflich exponiert wird, darf als Ganzkörperdosis im Jahr eine effektive Dosis von 20 mSv nicht überschreiten, wobei die Haut und die Extremitäten nicht so strahlenempfindlich sind wie der Körperstamm. Hier beträgt der Jahresgrenzwert 500 mSv. Die heute verwendeten Schutzmaßnahmen für die Augen des Diagnostikers sind Bleiglasbrillen – wenngleich es hier auch gravierende Unterschiede in der Qualität gibt – und für den Hauptuntersucher mit dem geringsten Abstand zum Patienten ist es die Bleiglasscheibe, hinter die sich der Radiologie im Moment der Exposition stellt. Richtig angewandt bieten diese Maßnahmen durchaus den nötigen Schutz. Die Problematik in der täglichen Krankenhausarbeit gibt es vor allem dort, wo diese Abschirmung schwerer zu gewährleisten ist – bei biplanen Anlagen beispielsweise, weil es dort zwei Röntgenstrahler abzuschirmen gilt, aber vor allen Dingen bei Röntgenanlagen in OP-Sälen wie bei der Gefäß- oder Unfallchirurgie. Dort, wo das Leben des Patienten oft am seidenen Faden hängt und schnell Entscheidungen getroffen werden müssen, kommt der Strahlenschutz für das Personal leider oft zu kurz.
IM PROFIL
Prof. Dr. Dr. Reinhard Loose, Diplom-Physiker und Facharzt für Radiologie,leitet seit 16 Jahren das Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Klinikum Nürnberg-Nord. Seine Schwerpunkte sind unter anderem digitale Radiologie, digitale Bildkommunikation und Teleradiologie sowie Strahlenexposition und -reduktion. Prof. Loose ist langjähriges Mitglied in der Strahlenschutzkommission des Bundesministeriums für Umwelt und im Subcommittee „Radiation Protection“ der Europäischen Röntgengesellschaft. Außerdem ist er 1. Vorsitzender der Bayerischen Röntgengesellschaft. Er wurde von der Deutschen Röntgengesellschaft mit der Albers-Schönberg-Medaille (2004) und dem Felix-Wachsmann-Preis (2006) ausgezeichnet.
29.05.2013