Artikel • Liquorzirkulationsstörungen

Stau im Gehirn

Verschiedene Ursachen können dazu führen, dass der Fluss des Liquors in den vier Ventrikeln des Gehirns und in den äußeren Liquorräumen nur ungenügend erfolgt. Diese Liquorzirkulationsstörungen sind glücklicherweise selten. Dies kann allerdings dazu führen, dass das Thema im radiologischen Praxisalltag allzu leicht in Vergessenheit gerät.

Prof. Dr. Michael Freund, Chefarzt der Klinik für Radiologie und Neuroradiologie am Klinikum Aschaffenburg, ist sensibilisiert für die Problematik und erläutert die neuroradiologische Diagnostik. Als Refresher in aller Kürze: Der Liquorraum ist ein System, das aus zwei Komponenten in Gehirn und Rückenmark besteht, durch die der Liquor im gesamten Zentralnervensystem zirkuliert. Produziert wird der Liquor in den Ventrikeln. Diese stehen über lochartige Strukturen miteinander in Verbindung und bilden das innere Nervenwassersystem. Der Liquor fließt aus den beiden Seitenventrikeln in den 3. Ventrikel und von dort über den Aquäduktus Cerebri in den 4. Ventrikel. Von hier gelangt das Nervenwasser in den Zentralkanal des Rückenmarks sowie in das externe Nervenwassersystem.

Ursachen und Wirkung

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Prof. Dr. Michael Freund, Chefarzt der Klinik für Radiologie und Neuroradiologie am Klinikum Aschaffenburg.

Liquorzirkulationsstörungen entstehen u. a., wenn das dynamische Gleichgewicht zwischen Produktion und Rückresorption des Liquors aus dem Tritt geraten ist. Wie aber kommt es zu diesem Ungleichgewicht? Eine Ursache kann die Überproduktion des Nervenwassers sein. Aufgrund des zunehmenden Flüssigkeitsvolumens in den Ventrikeln kann ein Hydrozephalus entstehen. Ein anderes Szenario tritt bei einer Hirnblutung ein: Die Resorptionsareale verkleben durch das eindringende Blut, so dass sie für den Liquor nicht mehr passierbar sind. Auch eine tumorbedingte Raumforderung, zum Beispiel ein Meningiom, kann der Auslöser sein. Ist ein Tumor soweit gewachsen, dass er das durch die Schädelknochen limitierte Volumen erreicht hat, so drückt er die Verbindungen zwischen den Ventrikeln zusammen und verhindert den Liquorfluss.

Notfallsetting

Wenn die Reservemechanismen, mit denen die Flüssigkeitsverhältnisse bis zu einem gewissen Grad ausgeglichen werden können, erschöpft sind, kommt es zur Dekompensation des gesamten Systems: Die Zirkulation kommt zum Erliegen, so dass sich die Flüssigkeit staut. Die Ventrikel weiten sich und drücken in das Hirngewebe. Im weiteren Verlauf dringt der Liquor durch die Ventrikelwände in das Gehirngewebe ein und verursacht dort sogenannte „Druckkäppchen“, im CT und auch im T1-gewichteten MRT gut erkennbar als schwarze Areale. Die typischen klinischen Hirndruckzeichen sind Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma. Spätestens in diesem Stadium, oft auch schon früher, kommt der Patient als akuter Notfall in die Klinik.

Diagnostik – CT oder MRT?

„Grundsätzlich und das ist längst bekannt, ist die MRT die überlegenere Methode für Untersuchungen von Gehirn und Rückenmark. Aufgrund der schnellen Verfügbarkeit und kurzen Untersuchungsdauer ist die Computertomographie bei Liquorzirkulationsstörungen in der Akutsituation jedoch das diagnostische Verfahren der Wahl“, erläutert Prof. Freund. Auf der Basis der CT-Bilder wird das weitere Vorgehen entschieden. In der Akutsituation wird mithilfe einer Ventrikel-Drainage, dem Shunt, die Flüssigkeit nach außen abgeleitet, so dass der Hirndruck nachlässt. Bei Verdacht auf einen Tumor, wird der Patient zunächst stabilisiert. Die zusätzliche Gabe von Kortison sorgt für eine Abnahme der Schwellung und damit für eine Entspannung der klinischen Situation des Patienten. Im Kontext der weiterführenden Differenzialdiagnostik kommen dann kernspintomographische Untersuchungen zum Einsatz.

MRT-Sequenzen: Standard und MOVIE

Das MRT-Programm sieht üblicherweise folgende Standardsequenzen vor: T2 sagittal, axiale FLAIR-Sequenz, Diffusionsgewichtung, Berechnung von ADC-MAPS, T1-gewichtete Sequenz axial sowie eine koronare Hämo-Sequenz. Ergänzend kommt eine MR-Angiographie und, bei Verdacht auf Tumor oder Entzündung, die Kontrastmittelgabe hinzu, verbunden mit den entsprechenden Axial-, Sagittal- und Koronar-Sequenzen. Ein Verfahren jenseits des Standards stellen sogenannte „MOVIE“ oder „Cine“-Sequenzen dar, die den Liquorfluss sichtbar machen. Vor allem bei Verdacht auf eine Verengung des Aquädukts kommt diese dynamische Untersuchung zum Einsatz. „Denn der Liquor rauscht so schnell durch das Aquädukt, dass im MRT kein Signal akquiriert werden kann, ein Phänomen das auch als „Flow-Void“ bekannt ist“, erläutert Freund. „Bei einem Tumor oder einer Blutung macht dieses besondere Verfahren aber keinen Sinn.“

Und wie weiter?

Die Verlaufskontrolle richtet sich nach der Ursache der Zirkulationsstörung. Zeigen die Ventrikel-Drainagen ihre Wirkung? Bilden sich die Ausweitungen der Ventrikel zurück? Oder handelt es sich um sogenannten gefangene Ventrikel, die sich trotz Drainage nicht mehr zurückbilden? Bei diesen Fragestellungen ist die CT-Kontrolle ausreichend. Wurde dagegen ein Tumor entfernt, so muss mithilfe der MRT nachbeobachtet werden. Grundsätzlich werden für die Verlaufskontrolle aber beide Verfahren eingesetzt.

Fazit

„Im Gegensatz zu den Klassikern in der täglichen Praxis, also Rücken- und Kopfschmerzen, stellen Liquorzirkulationsstörungen für Kliniker und Niedergelassene eine eher seltene Indikation dar. Umso wichtiger ist es, auf dieses Thema hinzuweisen“, schließt Freund.
 

17.10.2013

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