Starre Strukturen adé!

Flexibilität ist das Motto der modernen Neuroradiologie

Zwar gilt beim akuten Schlaganfall nach wie vor der Leitsatz „Time is brain“, die individuelle Zeitspanne, die für eine Intervention wie der Thrombolyse oder der mechanischen Rekanalisation zur Verfügung steht, kann jedoch je nach Patient sehr stark variieren.

Einsatz des Flow diverter
Einsatz des Flow diverter

Prof. Dr. Arnd Dörfler, Leiter der Neuroradiologischen Abteilung am Universitätsklinikum in Erlangen, fordert darum mehr Flexibilität bei der Auslegung des „starren Zeitfensters“ und sieht einen multimodalen Bildgebungsansatz als adäquates Mittel, um dieses Ziel besser zu erreichen. Doch nicht nur bei den modernen Diagnostikmethoden, sondern auch in der interventionellen Neuroradiologie, also der minimal-invasiven Behandlung zerebrovaskulärer Erkrankungen, haben sich durch eine Vielzahl neuer Materialien die Möglichkeiten erheblich erweitert.

radiologia bavarica: Herr Prof. Dörfler, wie sieht ein multimodaler Ansatz in der Diagnostik des Schlaganfalls im Erlanger Uniklinikum konkret aus?

Arnd Dörfler: In unserem Schlaganfallzentrum arbeiten Neurologie, Neuroradiologie und Neurochirurgie interdisziplinär sehr eng zusammen. Ziel ist es dabei, für jeden Patienten eine möglichst individuelle Entscheidung zu treffen, denn nicht jeder Schlaganfall ist gleich und bei einigen Patienten ist das Gehirn auch nach 4,5 Stunden nur verhältnismäßig leicht geschädigt – diese Patienten haben therapeutisch viel zu gewinnen! Wir folgen in unserem Zentrum eingespielten Abläufen: Der Patient kommt in die Notfallambulanz, wird zügig untersucht, bekommt ein schnelles Labor und geht dann weiter zur Neurobildgebung in die Neuroradiologie, die unmittelbar neben der Notfallambulanz angesiedelt ist. Befindet sich der Patient innerhalb der ersten 4,5 Stunden nach Symptombeginn, führen wir primär eine Computertomographie durch. Liegen die ersten Symptome bereits mehr als 4,5 Stunden zurück, handelt es sich um einen sogenannten Wake-up-Stroke oder klinisch um eine Pathologie im Hirnstamm, führen wir primär eine MRT-Untersuchung durch. Zeigen diese Aufnahmen, dass auch nach fünf oder mehr Stunden noch gute Chancen für einen Therapieerfolg durch Rekanalisation oder Thrombolyse bestehen, erhält der Patient umgehend die entsprechende Versorgung. Für beide Verfahren – CT und MRT – fahren wir ein sogenanntes multimodales Protokoll. Wir machen also nicht nur ein „normales“ CT, das nach Leitlinie ausreichen würde, um eine Lyse innerhalb der Einschlusskriterien zu indizieren. Vielmehr führen wir auch eine Perfusionsmessung des ganzen Gehirns sowie eine Gefäßdarstellung (CT- oder MRT-Angiographie) der Hirn- und Halsgefäße durch. So können wir sowohl Blutungen als auch Gefäßstenosen entdecken und erhalten patientenindividuell ein Maximum an Informationen.

Welche Entwicklungen gibt es in der interventionellen Neuroradiologie?

Die interventionelle Neuroradiologie mit Aneurysmabehandlung, Gefäßrekanalisation und -embolisation hat sich in den vergangenen zehn Jahren enorm weiterentwickelt. So verfügen die Kardiologen schon lange über miniaturisierte Stents, aber diese starren Stents eigneten sich zwar für die Koronarien, nicht aber für das Gehirn – obwohl sie mangels Alternativen auch im Kopfbereich eingesetzt wurden. Mittlerweile gibt es aber auch für den Einsatz im Gehirn eine Vielzahl miniaturisierter Implantate, vor allem speziell designte, hochflexible Stents, die das therapeutische Spektrum in der Behandlung von Stenosen und Aneurysmen der Hirngefäße erheblich erweitert haben. Auch für die mechanische Rekanalisationsbehandlung des akuten Schlaganfalls gibt es spezielle rückholbare Stents, sogenannte Retriever, die es ermöglichen, auch aus kleinsten Hirngefäßen Thromben zurückzuziehen und so das Gefäß zu rekanalisieren. Bei der Therapie zerebraler Aneurysmen hat sich in den vergangenen Jahren ebenfalls viel getan. Ganz neu sind die sogenannten Flow-Diverter. Dabei handelt es sich um Stents, die eine Veränderung des Blutflusses nach sich ziehen: Über dem Aneurysmeneingang wird sozusagen ein sehr dichtes Netz gespannt, das den Bluteinfluss in das Aneurysma verringert. Nachfolgend kommt es so zu einer Thrombosierung des Blutes im Aneurysma, das Aneurysma wird damit verschlossen.

Durch die besser werdenden Materialien und Methoden der kathetergestützten Interventionen verschwimmen die Grenzen zwischen Neurochirurgie und interventioneller Neuroradiologie immer stärker. Ist es da noch möglich, die Kompetenzen klar abzugrenzen?

Tatsächlich haben sich minimal-invasive Verfahren wie das Aneurysma-Coiling gegenüber konventionellen chirurgischen Eingriffen als überlegen erwiesen und stellen damit per se eine Konkurrenztherapie zum neurochirurgischen Clipping dar. Konkurrenz gibt es in unserem Zentrum aber nicht wirklich. Im Gegenteil: Als interdisziplinäres Team arbeiten wir hier eng zusammen. Jedes Aneurysma wird als Einzelfall im Team gemeinsam von Neuroradiologie und Neurochirurgie besprochen und die bestmögliche Therapie wird ausgewählt. Wie in anderen Bereichen der Medizin auch ist der Schulterschluss mit anderen Disziplinen eine Grundvoraussetzung erfolgreicher – also vor allem risikoarmer – Therapieverfahren. Ist aufgrund der Aneurysmakonstellation, der Gefäßanatomie etc. die endovaskuläre Versorgung des Aneurysmas möglich, dann ist das auch unsere erste Wahl. Wir haben hier eine Vielzahl von Überweisungen auch aus externen neurochirurgischen Kliniken, eben weil wir diesen neurointerventionellen Service anbieten. Denn wichtig ist hierbei doch vor allem, dass diese hochspezialisierten Therapien in großen neurovaskulären Zentren von erfahrenen Neuroradiologen oder Operateuren durchgeführt werden. Vielen Dank für das Gespräch.

I M P R O F I L

Nach dem Studium in Heidelberg und Zürich erwarb Prof. Dr. Arnd Dörfler seine Facharztausbildung im Fach Diagnostische Radiologie mit Schwerpunkt Neuroradiologie am Uniklinikum Heidelberg und Essen. Nach der Habilitation 2002 an der Universität Duisburg-Essen absolvierte er 2006 den Masterabschluss „Management von Gesundheits- u. Sozialeinrichtungen“. Seit 2004 hat Dörfler die C3-Professur für Neuroradiologie der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg inne und ist Leiter der Abteilung für Neuroradiologie am Universitätsklinikum Erlangen. Prof. Dörfler ist Autor von mehr als 200 Originalarbeiten und 35 Buchbeiträgen und betätigt sich außerdem als Gutachter für diverse internationale Fachzeitschriften. Seine klinischen und wissenschaftlichen Schwerpunkte sind die Interventionelle Neuroradiologie, die multimodale Bildgebung bei zerebrovaskulären Erkrankungen, Tumoren und Epilepsien sowie die Experimentelle Neuroradiologie.

25.09.2012

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