© ZTG Zentrum für Telematik und Telemedizin GmbH
Artikel • Start-up erhält Telemedizinpreis
Durch Auswertung von Smartwatch-Daten Schlaganfälle vermeiden
In Deutschland nutzen laut Statistischem Bundesamt mehr als 15 Millionen Menschen Smartwatches. Technisch sind die meisten dieser modernen Armbanduhren in der Lage, mit großer Genauigkeit EKGs aufzuzeichnen und dadurch Herzrhythmusstörungen zu erkennen. Doch die erhobenen Daten werden bislang nicht genutzt. Das junge Start-up ‚novadocs‘ möchte das mit Hilfe der ‚smartcor‘-App ändern und Patienten die Möglichkeit bieten, unkompliziert und schnell eine qualifizierte ärztliche Einschätzung einzuholen. Für diese Idee wurde das Unternehmen jetzt in Berlin mit dem Telemedizinpreis der Deutschen Gesellschaft für Telemedizin (DGTelemed) ausgezeichnet.
Artikel: Sonja Buske
Ende 2022 hat Dr. Christian Flottmann zusammen mit dem Marketing-Experten Stephan Garl und dem IT-Spezialisten Daniel Zenz die ‚novadocs‘ gegründet und die App ins Leben gerufen. Das Projekt ist dem Kardiologen im wahrsten Sinne des Wortes eine Herzensangelegenheit. „Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind die häufigste Todesursache in Deutschland. Unter den Rhythmusstörungen bei Erwachsenen ist das Vorhofflimmern, das mit einem deutlich erhöhten Schlaganfallrisiko einhergeht, Spitzenreiter. Wenn die Daten, die über Smart Watches gesammelt werden, professionell ausgewertet würden, könnte sehr vielen Patienten geholfen und eine schlimmere Erkrankung vermieden werden“, ist sich der Mediziner sicher.
Dauerhafte Rhythmusüberwachung über Lichtsensor
Die Vorgehensweise ist einfach: Über den Lichtsensor in der Uhr wird der Herzrhythmus ohnehin dauerhaft überwacht. Ist er unregelmäßig, erhält der Nutzer eine Rückmeldung, und kann ein EKG durchführen lassen. „Die Qualität ist so gut, dass sogar die europäischen Leitlinien besagen, dass ein Arzt anhand dieser Rückmeldung eine Diagnose stellen kann“, so Flottmann. Er empfiehlt zwar nicht, die gesamte Bevölkerung auf diesem Weg zu screenen, aber Menschen mit einem erhöhten Risiko sollten seiner Meinung nach diese Funktion nutzen. Für die Auswertung des EKGs mussten Patienten bisher eine Arztpraxis aufsuchen. Für den Start-up-Gründer ist das nicht mehr zeitgemäß: „Für eine einfache Rhythmusdiagnostik sollte heutzutage niemand mehr auf einen Termin warten und persönlich bei einem Facharzt vorstellig werden müssen. Die Bewertung kann bequem auf elektronischem Wege vorgenommen werden.“ Selbstverständlich sei dabei die Einhaltung des Datenschutzes sowie die Nutzung von Servern im europäischen Raum Voraussetzung.
Das selbst erhobene EKG ist als PDF-Datei auf dem Smartphone verfügbar und kann auf sicherem Wege entweder über die Website oder über die App verschickt werden. Dabei ist es unerheblich, mit welchem zertifizierten Smart Device das EKG geschrieben wurde, denn ‚smartcor‘ ist offen für alle Anbieter. Vor dem Versenden wird der Nutzer nach seinen Beschwerden und zu möglichen Vorerkrankungen befragt. „Das ist wichtig, um eine Bewertung abgeben zu können“, erläutert Flottmann. Im nächsten Schritt kann sich der Patient aus einer Liste den Kardiologen seiner Wahl aussuchen, an den das Dokument versendet werden soll. Flottmann kennt alle beteiligten Ärzte entweder persönlich oder hat sich zumindest selbst von deren Expertise überzeugt. Die Auswertung kommt innerhalb von zwei Werktagen direkt aufs Handy. „‚Smartcor‘ ist jedoch kein Notfalltool“, betont Flottmann, „sondern vielmehr die Möglichkeit, schnell und unkompliziert eine Rückmeldung bei einem Herzstolpern bekommen zu können.
Bisher wird die Auswertung des EKGs über smartcor nur von den privaten Krankenkassen übernommen. Für gesetzlich Versicherte erfolgt die Abrechnung nach der Gebührenordnung für Ärzte und es fallen Kosten in Höhe von 40 bis 50 Euro an, je nach Aufwand. Flottmann würde es sehr begrüßen, wenn die Leistung in die Regelversorgung übernommen werden würde. „Es wäre schade, wenn derart gute Daten nicht genutzt würden. Zudem sparen die Krankenkassen durch ‚smartcor‘ auch Geld, da ein zeit- und kostenintensives Langzeit-EKG zur Erkennung von Vorhofflimmern nicht mehr nötig ist.“
© novadocs GmbH
Ihr Publikum und die Jury haben die ‚novadocs‘ beim 13. Nationalen Fachkongress Telemedizin am 16. Mai in Berlin bereits von ihrem Projekt überzeugt. Als nächstes wollen die Mediziner nun die Krankenkassen mit ins Boot holen. Die Auszeichnung mit dem Telemedizin-Preis könnte für die anstehenden Gespräche von Vorteil sein.
Profil:
Dr. Christian Flottmann ist seit 2020 Chefarzt der Medizinischen Klinik II – Kardiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Allgemeine Innere Medizin – am Lukas Krankenhaus Bünde. Zuvor war er Oberarzt mit den Schwerpunkten Intensivmedizin und interventionelle Kardiologie in der Funktion des leitenden intensivmedizinischen Arztes an der Klinik für Allgemeine und Interventionelle Kardiologie/Angiologie am Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen. 2022 gründete er das Start-up ‚novadocs GmbH‘.
19.05.2023