Röntgen sichert bei Rheuma nachhaltig die Diagnose

Obwohl neuere bildgebende Verfahren in vielen Bereichen der Rheumatologie wissenschaftlich untersucht werden oder schon mehr oder weniger regelmäßig zum Einsatz kommen, bleibt das konventionelle Röntgen der Goldstandard für die Diagnostik und Verlaufsbeurteilung bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen.

Dr. Siegfried Wassenberg
Dr. Siegfried Wassenberg

„Bei den häufigsten entzündlich rheumatischen Erkrankungen, der rheumatoiden Arthritis, der Psoriasisarthritis und auch bei der Spondylitis ankylosans ist es weiterhin für die Diagnosestellung und vor allem für die Verlaufsbeurteilung unentbehrlich, um bei regelmäßigen Kontrollen feststellen zu können, ob die Krankheiten progredient sind oder nicht“, sagt Dr. Siegfried Wassenberg, Chefarzt der Rheumaklinik am Evangelischen Krankenhaus Ratingen, der seit vielen Jahren Rheumapatienten nicht nur therapiert, sondern auch die Röntgendiagnostik verantwortet. Damit vertritt Dr. Wassenberg den international geltenden Konsens. Die zuletzt 2010 gemeinsam von der amerikanischen Rheumagesellschaft und der europäischen Liga gegen Rheuma neu formulierten Diagnosekriterien für die rheumatoide Arthritis werten nur den typischen Befund im konventionellen Röntgenbild als Diagnose sichernd. Die Ergebnisse anderer bildgebender Verfahren wurden – obwohl sie diskutiert wurden – nicht berücksichtigt. Auch in den aktuell gültigen Diagnosekriterien für die Psoriasisarthritis spielt nur der Befund im Röntgenbild eine wichtige Rolle. Nur für die Erkrankung des Achsenskeletts wird der im MRT nachweisbare Befund einer Sakroiliitis als Kriterium für eine sogenannte präradiographische Spondyloarthritis, die als neuer Begriff eingeführt wurde, verwandt. Für die sichere Diagnose einer Spondylitis ankylosans wird unverändert der röntgenologische Nachweis einer Sakroiliitis gefordert.

Röntgen aller vier Extremitäten

Bei der Diagnosestellung von polyartikulären entzündlich rheumatischen Erkrankungen gibt es häufig schon sehr früh im Krankheitsverlauf im Röntgenbild sichtbare typische Veränderungen. Dafür sind immer Röntgenaufnahmen von beiden Händen und Füßen erforderlich. In Ratingen erstellt man dafür insgesamt drei Aufnahmen: jeweils eine Hand und beide Füße auf einer 13:18-Kassette. „Man erlebt dabei Überraschungen, weil die für die Arthritis typischen Veränderungen insbesondere an den Füßen häufig nicht mit dem aktuellen klinischen Befund korrelieren. Im deutschsprachigen Raum unterscheidet man zwischen direkten und indirekten Arthritisanzeichen. Zu den direkten Anzeichen zählen die typischen Erosionen und die Gelenkspaltverschmälerung beziehungsweise die Knorpelzerstörung. Typische Erosionen gibt es an den Prälidektionsstellen. Dazu zählen der Griffelfortsatz an der Elle, die Fingergrundgelenke und die Zehengrundgelenke – vor allem das fünfte – und das Großzehenendgelenk. Indirekte Anzeichen sind Weichteilschwellungen, die sich im MRT besser beurteilen lassen als beim Röntgen, und die gelenknahe Osteopenie. Die Strahlenbelastung ist bei diesen Untersuchungen mit etwa 0,05 mSv pro Aufnahme so gering, dass die in den ersten beiden Jahren nach Symptombeginn empfohlenen halbjährlichen Aufnahmen kein Argument gegen diese einfache Art der Diagnostik sind. Weitere Vorteile der Röntgendiagnostik sind ihre weltweite Verfügbarkeit, die Erfahrung, die man in mehr als 100 Jahren gesammelt hat und die vielfachen differentialdiagnostisch unter Umständen entscheidenden Zusatzinformationen, die das Röntgenbild liefern kann. So erlauben es winzige, bisher nur im Röntgenbild erkennbare Details, wie zum Beispiel Ostoproliferationen an typischer Stelle, die Diagnose einer Psoriasisarthritis mit großer Sicherheit zu stellen.

Dagegen gibt es für die MRT-Untersuchungen der Gelenke bislang keine für alle Geräte und alle Standorte standardisierten Protokolle und die Ergebnisse der Ultraschalluntersuchungen sind außer von der Qualität des benutzten Geräts sehr von der Erfahrung und der Interpretation des Untersuchers abhängig. Auch für die Verlaufsbeurteilung sind die Ergebnisse aus MRT und Sonographie nicht standardisiert und schwierig zu interpretieren. Deshalb werden in allen Studien, in denen geprüft wird, inwieweit ein Medikament die Zerstörung der Gelenke aufhalten kann, immer Röntgenbilder eingesetzt. „Wir wissen, dass im MRT Erosionen früher sichtbar sind als beim Röntgen. Bisher ist aber nicht geklärt, welchen Einfluss die Therapie auf diese Veränderungen haben kann. Es gibt Patienten, die klinisch über lange Zeit in völliger Remission sind, bei denen die Erosionen im MRT an Größe und Zahl zunehmen, während das Röntgenbild des gleichen Patienten über Jahre stabil bleibt. In anderen Worten: Um moderne Verfahren gibt es viel Diskussion, für den Rheumatologen allerdings bleibt das konventionelle Röntgen weiter unverzichtbar“, stellt Wassenberg fest.
 

Schweregradeinteilung nach renommierten Scorings

Für die Messung des Ausmaßes der Gelenkzerstörung in Studien werden Schweregradeinteilungen – sogenannte Scorings – genutzt: Die weltweit gebräuchlichste Klassifikation ist der Sharp-Score, in Skandinavien wurde der Larsen-Score entwickelt. Aufbauend auf den Erfahrungen mit diesen Methoden wurde in der Rheumaklinik in Ratingen der Ratingen-Score entwickelt: Abhängig vom Ausmaß der Zerstörung der Gelenkoberfläche erfolgt eine Schweregradeinteilung von 0 bis 5 an 38 Gelenken, wodurch der Score-Wert zwischen 0 (keine Erosion) und 190 (alle Gelenke komplett zerstört) variieren kann. „In den Vergleichsuntersuchungen zwischen den Methoden hat sich gezeigt, dass der Ratingen-Score ein einfach anzuwendendes Instrument ist. Er hat zwar den Nachteil, dass er kleine Veränderungen nicht so gut erfasst wie der Sharp-Score, dafür ist er aber einfacher und schneller abzuarbeiten.“ Zwar gibt es auch für die MRT-Evaluierung inzwischen eine Schweregradeinteilung, den RAMIS-Score. Die Validität dieser Methode ist aber wesentlich schlechter als die der Röntgen-Scoring-Methoden, sodass er sich als Maß für die Gelenkdestruktion in klinischen Studien und auch für die Bewertung der krankheitsmodifizierten Wirkung durch die Zulassungsbehörden bislang nicht durchsetzen konnte“, schließt der Rheumatologe.

I M P R O F I L

Dr. Siegfried Wassenberg studierte an der Universität zu Köln Humanmedizin und war nach seiner Facharztausbildung von 1994 bis 1997 Chefarzt der Rheumaklinik Bad Rappenau. Seit Januar 1998 ist der Internist Chefarzt der Rheumaklinik am Evangelischen Fachkrankenhaus Ratingen. Hier war er bereits als Assistenz- und Oberarzt tätig und während dieser Zeit an der Entwicklung des Ratingen-Scores beteiligt. Wassenberg hat an mehr als 80 klinischen Studien der Phasen 2 bis 4 teilgenommen, von denen die meisten den Einsatz verschiedener Biologika bei rheumatoider Arthritis, Psoriasisarthritis oder Spondylitis ankylosans untersuchten. Seit 2004 ist Dr. Wassenberg Sprecher der Projektgruppe „Diagnose und Therapieempfehlungen“ der AG Regionaler Kooperativer Rheumazentren in der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie, zudem ist er Mitglied in den Kommissionen „Bildgebung“ und „Pharmakotherapie“ der Gesellschaft.

25.09.2012

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